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Kriminalität Ladendiebstahl: 90 Prozent bleiben unentdeckt

Magdeburg ist die Hauptstadt der Ladendiebe, geht aus einer aktuellen Studie hervor. Unter 80 Städten landete die Stadt auf Platz 1 und Halle auf Platz 23. Auch in ganz Sachsen-Anhalt steigen die Fallzahlen.

Von Matthias Fricke und Oliver Schlicht 24.02.2015, 01:29

Magdeburg l Genau 338.761 Ladendiebstähle wurden deutschlandweit 2013 angezeigt. Ein Jahr zuvor waren es noch 345.873 Fälle. Dies geht aus Angaben der Polizeidienststellen der Länder und des Bundeskriminalamtes hervor, die das Online-Portal Shopping.de jetzt auswerten ließ.

"Für 2014 liegen aktuell noch keine vergleichbaren Daten vor", sagte der Projektleiter der Studie, Thomas Neubert in Leipzig. In Bezug auf Magdeburg sei aber ein Trend erkennbar. "Schon vor zwei Jahren war die Stadt unter den ersten zehn Plätzen bei Ladendiebstählen. Und im vergangenen Jahr war sie beim Vergleich zu Fahrraddiebstählen auch ganz vorn dabei", so der Statistiker.

In den sechs führenden Städten des Vergleichs wurden mehr als 1000 Delikte je 100000 Einwohner gezählt. In Magdeburg waren es 1233 Fälle - 2834 Fälle kamen hier insgesamt zur Anzeige. Gibt es in Magdeburg mehr Ladendiebe? Neubert: "Nicht unbedingt. Es könnte auch sein, dass in Magdeburg einfach mehr Diebstähle angezeigt werden." Auch liege Magdeburg für Diebe geostrategisch fluchtgünstig an der Autobahn.

Milliardenschaden für den Handel
Interessant: Der Schaden, der durch Diebstahl entsteht, bildet nur einen Bruchteil des tatsächlichen Verlustes ab, den der Handel erleidet. Er ist nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Die Studie hat Angaben vom "EHI Retail Institut" ausgewertet, die jährlich Inventurdifferenz-Vergleiche anstellen. Das heißt: Erst die Inventurzahlen der Unternehmen zeigen, was wirklich alles abhanden kommt. Ergebnis: Über 90 Prozent der Abgänge bleiben unentdeckt. Neubert: "Das sind Diebstähle durch Kunden, aber auch durch Mitarbeiter oder Zulieferer."

Der offizielle Schaden, der durch die Anzeigen bei der Polizei abgebildet wird, summiert sich deshalb bundesweit auf vergleichsweise niedrige 27,1 Millionen Euro. Den Gesamtverlust durch Ladendiebe beziffern die Experten für 2013 aber auf bis zu fünf Milliarden Euro. Rolf Lay, Geschäftsführer des Karstadt-Kaufhauses in Magdeburg, bestätigt diese Schieflage bei der Inventarabrechnung. "Das ist bei uns ähnlich."

Wird zu wenig getan, um den Diebstahl im Kaufhaus zu verhindern? "Wir machen technisch alles, was der Gesetzgeber zulässt. Bei uns kommt niemand mit Textilien über die Rolltreppe in eine andere Etage. Da geht sofort der Alarm los." Die Überwachung, so Lay, müsse sich aber auch im Rahmen halten. "Wir wollen nicht, dass sich die Kundschaft ständig beobachtet fühlt."

Was die Anzahl der angezeigten Ladendiebe betrifft, kann Lay keine Sonderstellung Magdeburgs innerhalb der Kaufhaus-Kette ausmachen. "Im Vergleich zu anderen Standorten bewegen wir uns im mittleren Durchschnitt. Man kann nicht sagen, dass hier besonders viel gestohlen wird." Jeder Ladendieb werde bei Karstadt angezeigt. Jeder minderjährige Dieb werde an die Eltern übergeben.

Und was wird gestohlen? Nach Angaben der Leipziger Studie stehen kleine, schnell zu stehlende und vor allem werthaltige Produkte im Fokus. Dies reicht von einfachen Rasierklingen über Kosmetik, Parfüms, Markenmoden, die bekannten Zigaretten und Alkohol bis hin zu Smartphones. Das Diebesgut lässt sich via Internet oder auf Flohmärkten zu Geld machen. Doch auch sogenannte Auftragsdiebstähle nehmen immer mehr zu. Ähnlich wie beim Autoklau Richtung Osteuropa, können sich "Kunden" Produkte aussuchen, welche dann für sie gestohlen werden.

Die Täter werden immer dreister
Heribert Wolf ist Kaufhausdetektiv in einem großen Elektronikmarkt in Magdeburg. Er stellt fest: "Die Aggression der Täter hat in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Sie werden auch immer dreister." Vor allem die organisierten Banden stellen ihn und seine Mitarbeiter immer häufiger vor neue Herausforderungen. So basteln sich die Kriminellen spezielle Taschen, die Alarmanlagen am Geschäftsausgang umgehen können. Diese sind mit Aluminiumfolie im Innenfutter so präpariert, dass sie sämtliche Signale der diebstahlgesicherten Ware blockieren. Solche professionellen Täter seien entweder Drogenabhängige, die das Diebesgut in Geld umsetzen wollen. Aber auch ausländische Banden agieren immer häufiger bei den gezielten Diebstählen.

Das bestätigt auch die aktuelle Statistik der Ladendiebstähle des vergangenen Jahres für das Land Sachsen-Anhalt. Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen stieg nach Angaben von Oberstaatsanwalt Klaus Tewes von der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 35,5 Prozent. "Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass gerade diese Verdächtigen im Geschäft auch besonders auffallen und dadurch besonders in den Fokus der Detektive rücken", meint Tewes. Auffällig sei aber, dass allgemein bei den Kindern und Jugendlichen ein Rückgang zu verzeichnen ist.

Die Strafe, die ein Ladendieb erwartet, reicht von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug. Allerdings kommt es bei der Bewertung des Einzelfalls auf mehrere Faktoren an, so der Oberstaatsanwalt. Wenn der Wert des Diebesgutes 50 Euro nicht übersteigt und der Beschuldigte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefallen ist, könnte das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße eingestellt werden. Die Tagessätze für die Geldstrafen berechnen sich hingegen nach dem Wert des Diebesgutes, den Umständen der Tat und den finanziellen Einkünften des Täters.

Hohe Aufklärungsquote ist täuschend
Auffällig in den Statistiken sind in fast allen Städten Aufklärungsquoten, die häufig über 90 Prozent liegen. Doch dieser Wert täuscht. Bei den Ladendiebstahlsanzeigen handelt es sich um eine sogenannte Hellfeld-Kriminalität. Andreas von Koß, Sprecher des Landeskriminalamtes: "Bei den Fällen, die der Polizei angezeigt werden, wird auch meist gleich ein Tatverdächtiger mitgeliefert. Deshalb liegt die Aufklärungsquote auch weit über 90 Prozent. Ein Anstieg der Zahlen widerspiegelt so gesehen möglicherweise nur die gute Arbeit der Ladendetektive, aber nicht die tatsächliche Kriminalitätsbelastung."