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Bürgermeister tritt wegen NPD-Demo zurück Tröglitz wird zum Politikum

Der kleine Ort Tröglitz im Süden des Landes wird über Nacht bundesweit bekannt, weil sein ehrenamtlicher Bürgermeister zurücktritt. Er fühlt sich als persönliche Zielscheibe von NPD-Demos - und nicht genügend geschützt von der Politik.

10.03.2015, 01:24
Der zurückgetretene ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, spricht am 09.03.2015 in Tröglitz mit Medienvertretern. Nierth war wegen einer vor seinem Haus geplanten Demonstration der rechtsextremen NPD von seinem Ehrenamt als Ortsbürgermeister zurückgetreten. Foto: Jan Woitas/dpa (zu lah "Zurückgetretener Ortsbürgermeister: Tröglitz kein braunes Nest" am 09.03.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Der zurückgetretene ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, spricht am 09.03.2015 in Tröglitz mit Medienvertretern. Nierth war wegen einer vor seinem Haus geplanten Demonstration der rechtsextremen NPD von seinem Ehrenamt als Ortsbürgermeister zurückgetreten. Foto: Jan Woitas/dpa (zu lah "Zurückgetretener Ortsbürgermeister: Tröglitz kein braunes Nest" am 09.03.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ dpa-Zentralbild

Tröglitz/Magdeburg (dpa/epd) l Das Haus leuchtet gelb an einer Tröglitzer Hauptstraße. "Zu vermieten" steht an vielen blanken Fensterscheiben. Es ist frisch saniert und leer, aber der bisherige parteilose Ortsbürgermeister Markus Nierth wollte das ändern und darin 40 Flüchtlingen Raum geben. Er ist nun nicht mehr Bürgermeister, denn gegen seine Pläne gab es massive Proteste von Rechten.

Als die vor sein Haus ziehen wollten, offiziell angemeldet, trat er zurück - zum Schutz seiner Familie. Gerüchte um den Zuzug waberten schon länger durch den knapp 3000 Einwohner zählenden Ort in der Nähe von Zeitz, wie Anwohner am Montag berichten. Viele sind verunsichert, kein Verantwortlicher rede Tacheles. Die rechtsextreme NPD nutzte die Unsicherheit der Tröglitzer, organisierte Demos, Mini-Pegida-Spaziergänge. 150 Teilnehmer seien es anfangs gewesen, zuletzt nur noch 60, schätzt Nierth. Die nächste Anti-Flüchtlings-Demo sollte direkt an seinem Wohnhaus vorbeiführen. Der 46-Jährige zog die Reißleine, er beklagt mangelnden Schutz.

Am Montag steht der Theologe vor der Kirche des Ortes, umringt von Fachwerkhäusern und Fernsehkameras und erklärt sich. Er habe diese Entscheidung nicht aus Angst vor den Rechtsextremen getroffen. Er sei zurückgetreten, weil der Landkreis die Demoroute direkt an seinem Haus vorbei nicht verhinderte. "Meine Frau und ich wurden persönlich zur Zielscheibe", sagt der 46-Jährige. Er vermisse rechtlichen Schutz und Rückhalt. "Die Parteien haben sich bisher zurückgehalten, genauso die schweigende Mitte." Nierths Schritt sorgte zunächst nur lokal für Wirbel und hat die Landesebene sowie die überregionalen Medien erst mit rund zwei Tagen Verzögerung erreicht. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) war am Sonntagabend zu einem Friedensgebet nach Tröglitz gefahren, auch um mit dem Zurückgetretenen zu sprechen. "Das Signal ist fatal - da muss man politisch konsequent gegensteuern", sagte Stahlknecht nun. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Demonstranten Entscheidungsträger zum Rücktritt bewegen könnten.

Der Pfarrer der Gemeinde, Matthias Keilholz, kritisiert die Zurückhaltung des Landkreises. "Ich verstehe, dass sie erst über Unterbringungen informieren wollen, wenn die Pläne auch beschlossen sind", sagt er. "Aber diese Strategie leistet Gerüchten Vorschub." Da würden Horrorszenarien ausgemalt, statt es positiv anzupacken. "Hier ging es schief, weil die NPD das Thema am schnellsten besetzt hat."

Die Verunsicherung, die Keilholz allgemein beschreibt, ist einer Tröglitzerin anzusehen. "Es heißt, da sollen 40 bis 50 Männer kommen, nur Männer", sagt sie. "Das wollen wir nicht." Sie seien nur zu dritt in ihrem Haus, ihre Nachbarin lebe allein. "Die hat Angst."

Es fehle an klaren Informationen, wer da nun in das gelbe Haus ziehe. Familien aus Kriegsgebieten wären okay, sagt die 59-Jährige. "Aber nur Männer - das muss doch Ärger geben." Auch der zurückgetretene Ortsteilbürgermeister Nierth sagt, sein Tröglitz sei kein braunes Nest. Er wünsche sich, dass die Politik reagiert und seinen Nachfolger und alle anderen Bürgermeister im Land besser schützt. Dafür will Innenminister Stahlknecht mit einem Erlass sorgen, der Behörden erlaubt, Demonstrationen vor den Wohnhäusern ehrenamtlicher Politiker zu untersagen.

Die Grünen-Landtagsfraktion kritisierte den geplanten Erlass. Eine Verschärfung des Versammlungsrechts könne nicht die Antwort auf die Bedrohung durch Neonazis sein, erklärte der innenpolitische Fraktionssprecher Sebastian Striegel. Jetzt Grundrechte einzuschränken, wäre "ein Sieg für Nazis und Rassisten". Stattdessen sei die ganze Gesellschaft gefordert, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen.

Auch bundesweit blieben Reaktionen auf den Rücktritt Nierths nicht aus. Führende Politiker von SPD und Grünen reagieren empört. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger", der Fall des ehrenamtlichen Lokalpolitikers Markus Nierth in Tröglitz bewege sie.

Sie verstehe die Sorge, die sich Nierth um sich und seine Familie mache, sagte sie. "Und ich verstehe die Verzweiflung, die Nierth angesichts der Untätigkeit der Behörden verspürt hat, die offenbar zu wenig getan haben gegen die rechtsextremistischen Umtriebe in dem Ort." Es könne nicht angehen, dass jemand zurücktreten muss, weil er sich für Minderheiten engagiert und Neonazis in den Weg gestellt hat.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der "Berliner Zeitung": "Wenn sich in unserer rechtsstaatlichen Demokratie ein gewählter Bürgermeister vor einem braunen Mob nicht mehr geschützt sieht, müssen alle Alarmglocken schrillen." Politik und Zivilgesellschaft müssten klar Position beziehen.

Der Kreisstag in Naumburg hat am Abend den Beschluss gefasst: In Tröglitz wird die Unterkunft für 40 Flüchtlinge geschaffen. Eine Einwohnerversammlung dazu ist am 31. März geplant.