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Erinnerungen an Zeit in der Volkskammer "Es war sehr anstrengend, aber wir haben viel geschafft"

Von Christin Käther 18.03.2015, 02:25

Pretzier/Fleetmark l "Wir glaubten, wir können die DDR verändern. Dass die Wiedervereinigung so schnell kommt, hatte niemand erwartet", erinnert sich Willibald Toscher an seine politische Tätigkeit während der Wende. Der heute 66-Jährige aus dem Salzwedeler Ortsteil Pretzier war einer von vier Personen aus dem Altmarkkreis, die 1990 als Abgeordnete in die Volkskammer einzogen.

Willibald Toscher merkte an der Unzufriedenheit seiner Mitmenschen, dass sich eine politische Wende abzeichnete. Weil er helfen wollte, etwas zu verändern, trat er im Frühjahr 1989 in die CDU ein, wurde kurz darauf stellvertretender Kreisvorsitzender. Nicht ohne Angst, wie Toscher berichtet. Aus Erfahrung sei man darauf gefasst gewesen, überwacht zu werden, was folglich selten ohne Konsequenzen blieb.

Die Kreis-CDU machte es sich zur Aufgabe, den politischen Ist-Zustand zu kritisieren und ihre Meinung dem Präsidium und der Regierung kundzutun. Dafür kassierte die Partei natürlich ordentlich Gegenwind, ließ sich aber trotzdem nicht entmutigen, sagt Toscher.

Weil er, wie er heute annimmt, "einen großen Mund" gehabt hat, wurde er als Kandidat für die Wahl am 18. März 1990 aufgestellt. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell eine freie Wahl kriegen, aber ich hatte es gehofft", erzählt der Pretzierer. Umso größer sei die Überraschung gewesen, als die Wahl tatsächlich auf ihn fiel. Nur wenige Tage später waren die Abgeordneten das erste Mal zusammengekommen. Willibald Toscher hatte viel in Berlin zu tun, schließlich galt es, alles neu zu sortieren und neue Gesetze zu formen. "Es war sehr anstrengend, aber wir haben viel geschafft", denkt Toscher nicht ohne Stolz an die Zeit zurück. Damals war er im Finanz- und Handelsausschuss tätig. Nach der Wiedervereinigung half er, das Direktorat der Treuhand-Zentrale in Berlin aufzubauen, bevor er Ende 1991 zurück nach Salzwedel ging und sich dort mit seiner Firma für Maschineninstandhaltung selbstständig machte.

Als einziger Vertreter der Demokratischen Bauernpartei (DBD) aus dem damaligen Bezirk Magdeburg kam auch Joachim Holz in die erste und letzte frei gewählte Volkskammer. "Wir waren mit zehn Leuten die kleinste Fraktion", erinnert sich der heute 70-Jährige an die ebenso aufregende wie nervenaufreibende Zeit als Laienparlamentarier.

Bauchschmerzen beim Bodenreformgesetz

"Wir standen damals stark unter Zeitdruck: Gesetze wie das zur Länderbildung, zur Parteienteignung, Landesverfassungen und vieles mehr waren zu erarbeiten und zu beschließen", zählt er auf. Denn statt der vier Jahre, wie man anfangs gedacht habe, seien nur knappe sechs Monate geblieben. Die Ausschuss-Sitzungen dauerten oft bis nachts 3 Uhr. "Da war so viel Politdebakel, ewiges Hin und Her - wohl üblich in einer Demokratie, aber unendlich zeitaufwendig", schätzt er ein. Manches sei komplett nach bundesdeutschem Recht übernommen worden.

Große Bauchschmerzen habe ihm als studiertem Landwirt und LPG-Vorsitzendem unter anderem das Gesetz zur Festschreibung der Bodenreform bereitet. "Obwohl daran nun wahrlich nichts Demokratisches war", betont er nachdrücklich. "Aber wir wollten altes Unrecht nicht mit neuem Unrecht vergelten."

So sei schließlich auch der Einigungsvertrag zustande gekommen - zu schnell vielleicht. "Das war echt ein Hauen und Stechen", so Holz. Andererseits hätten die ostdeutschen Betriebe nicht mehr länger mithalten können.

"Aber wer dann im Nachhinein kritisiert, ist fein raus - wir mussten handeln, da passieren auch Fehler", meint Holz.

Die Vereinigung beider deutscher Staaten indessen war alles andere als ein Fehler. Unvergesslich für ihn die Feierlichkeiten am 3. Oktober, die er mit seiner Fraktion und vielen Politgrößen in Berlin erlebte.

Für die CDU, der sich die Bauernpartei und auch Holz angeschlossen hatten, saß der Fleetmarker dann noch drei Monate im gesamtdeutschen Bundestag. Doch dann zog er sich aus der Politik zurück, als seine Landtagskandidatur nicht klappte. "Mir war das Politikgeschäft denn doch zu schmutzig", sagt er nachdenklich. Lieber habe er die neue Landwirtschaftsstruktur und das Amt für Landwirtschaft und Flurneuordnung aufgebaut. Trotzdem saß er bis 2004 im Fleetmarker Gemeinderat und war Vizebürgermeister.