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Neuer Rechnungshofpräsident Barthel Schlaflos in Osterweddingen

Kay Barthel hat unruhige Zeiten hinter sich. Denn seine Wahl zum
obersten Kassenprüfer war alles andere als sicher. Nun ist er es. Gleich
zu Beginn wird er ein Förder- und Gönnerdickicht durchleuchten und sich
mit Regierenden anlegen müssen. Kay Barthel hat unruhige Zeiten vor
sich.

Von Jens Schmidt 27.03.2015, 02:18

Magdeburg l Kay Barthel hält privat etwas Abstand zum hektischen Politbetrieb in Magdeburg. Er ist in Osterweddingen daheim, dem kleinen Dorf in der Gemeinde Sülzetal. Im Eigenheim mit Frau und zwei Kindern. Doch seit ein paar Monaten verfolgt ihn eine Sache aus der Machtzentrale bis nach Hause. Es begann im vorigen September. Die CDU war auf der Suche nach einem Nachfolger für Ralf Seibicke, dessen Amtszeit bald enden würde. Es fiel der Name Barthel, aber er nahm das zunächst nicht allzu ernst.

Eine Idee, eine Variante, nicht mehr. Anfang Oktober bekommt Kay Barthel eine SMS von Ex-Minister Karl-Heinz Daehre, der im Nachbardorf wohnt. "Herzlichen Glückwunsch" steht im Display und Barthel wunderte sich: "Der weiß doch, wann ich Geburtstag habe ..." Beim Blick in die Volksstimme klärte sich die Sache auf. Da stand die Nachricht, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff ihn, Kay Barthel, vorschlagen will.

"Seitdem habe ich kaum eine Nacht ruhig geschlafen", gesteht Kay Barthel. Denn: Wer Rechnungshofpräsident werden will, braucht eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag. Das ist eine hohe Hürde. Die Linke winkt schon bald ab. Da reichen ein paar Abweichler aus den eigenen CDU-Reihen oder vom Koalitionspartner SPD oder aber von den oppositionellen Grünen, und schon steht man blamiert da. "Ich bin ein schlechter Verlierer", sagt Barthel, weswegen der näherrückende Wahltermin an den Nerven nagt.

Verbergen kann Barthel so etwas nicht. Gestern im Plenum sitzt er - jede Faser gespannt - nach vorn gebeugt, mit blassem Gesicht auf seinem Stuhl. Barthel in Lauerstellung. Eine halbe Stunde lang. So lange dauert es, bis jeder der 103 anwesenden Abgeordneten in einer Wahlkabine sein Kreuz gemacht hat. Gürth liest das Ergebnis vor: 74-mal Ja. Fünf Stimmen mehr als nötig. Barthel sitzt nun gerade. Blumen, Beifall. Hände schütteln. Seine Frau Vera auf der Besuchertribüne klatscht. "Ich bin erleichtert."

Doch Barthels Unruhe hat noch einen weiteren Grund. Der heißt Ralf Seibicke, sein Vorgänger. Seibicke, der als Präsident Gnadenlos in die jüngere Geschichte des Landes eingeht, hat einige Minen gehoben. Seibickes stoische Standhaftigkeit nötigt Barthel eine Menge Respekt ab. Er schaut mit sehr viel Ehrfurcht auf Seibicke. Ein Vorbild, das er zwar nicht kopieren will und kann, das ihm aber Orientierung ist.

Seibickes Meriten lösen bei Barthel auch einen gewissen Bammel aus. Denn er selbst beschreibt sich als einen eher vorsichtigen Menschen. "Ich bin nicht tollkühn." Wie ist es, wenn der Sturm der Entrüstung auf einen hineinbricht? Und alte Weggefährten plötzlich einen Bogen machen? Denn nach heiter bis wolkig sieht es derzeit nicht gerade aus, was da an Themen auf den obersten Prüfer zukommt. Viele neue Freunde macht man sich da nicht. Nun ist das Amt zwar kein Schleuderposten: Zwölf Jahre lang sitzt ein Rechnungshofpräsident felsenfest in seinem Stuhl und niemand darf ihm dann Vorschriften machen.

Doch Kay Barthel ist ehrgeizig, die ruhige Rolle eines Frühstücksdirektors ist nicht nach seinem Geschmack. Auch er will anerkannt sein. "Die schwierigen Themen werde ich nicht vor mir herschieben", sagt er. "Manche unkten ja, ich sei so ein Weichgespülter." Jetzt schaut Barthel wie: Ihr werdet schon noch sehen. Solche Nadelstiche sind es auch, die ihm genügend Antrieb geben, seine Unerschrockenheit zu zeigen.

Eine Chance dafür gibt es sofort nach Amtsantritt. Vorgänger Seibicke hatte noch ein paar heikle Themen angeschoben - nun schauen alle auf Barthel, wie er sie zu Ende bringt. Für die nächsten Wochen stehen einige Prüfberichte auf dem Programm. Ganz oben stehen die fragwürdigen wie undurchsichtigen Praktiken der landeseigenen Fördergesellschaft IBG. Es geht um Millionen, die jahrelang Firmen bekamen, aber wohl nicht bekommen durften. Aufsichtsratschef der IBG war seinerzeit Wirtschaftsminister Reiner Haseloff, heute Ministerpräsident.

Es geht auch um einen Steuernachlass für die Firmengruppe des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Klaas Hübner. Rechtmäßig oder nicht? Im Fokus hier auch Hübners Weggefährte und Freund Jens Bullerjahn, als Finanzminister und Vize-Regierungschef kein politisches Leichtgewicht. Und weiter geht es mit einem dritten Thema: Die umstrittene Förderung einer Sporthalle im Wolmirstedt und die Rolle des damaligen Landrats Thomas Webel - der als CDU-Landesvorsitzender und Verkehrsminister kein Irgendwer ist.

Barthels Urteil kann die gesamte Regierungskoalition in Bedrängnis bringen. Jene Koalition, für die er bis eben noch politisch wirkte. Vor allem die Linke hat daher Zweifel, ob er das hohe Prüfamt fair aber hart ausführen kann. Von den 28 Nein-Stimmen stammen mit ziemlicher Sicherheit 27 von ihnen - so viele Abgeordnete der Linken sind gestern bei der Abstimmung dabei.

Der Ingenieur Kay Barthel kam über die Ingenieurkammer vor gut zehn Jahren ins Bauministerium. Wurde die rechte Hand des damaligen Ministers Karl-Heinz Daehre. 2011 schaffte CDU-Mitglied Barthel den Sprung in den Landtag. Barthel weiß, dass er wohl noch Jahre mit Vorbehalten leben muss. Doch entscheidend sind die Taten.

Und da will er der Linie seiner Vorgänger treu bleiben: Er wird nicht nur Quittungen prüfen, sondern sich auch finanzpolitisch einschalten. "Ein moderner Rechnungshof schaut auch nach vorn." Wenn einer Regierung einfiele, wieder munter Schulden zu machen und keine Rücklagen zu bilden, "dann ziehe ich blank." Kay Barthels Stimme klingt jetzt sehr entschlossen. Er meint es ernst.