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Finanzminister Bullerjahn über Steuernachlässe "Da käme ich in Teufels Küche"

30.03.2015, 01:37

Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) erklärt, warum der Firmengruppe des Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten Hübner geholfen wurde. Es fragten die Volksstimme-Reporter Michael Bock und Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Finanzminister, wann hat Klaas Hübner Sie erstmals auf Steuererleichterungen für seine Unternehmensgruppe angesprochen?
Jens Bullerjahn: Im Frühjahr 2011 kamen Klaas Hübner und sein Vater, der übrigens CDU-Mitglied ist, zu mir und fragten mich, ob ich einen Kontakt zur Oberfinanzdirektion herstellen könne. Anlass war eine sich über drei Jahre hinziehende Betriebsprüfung mehrerer Unternehmen von Hübners Schlossgruppe. Beide fragten, ob man die vielen Verfahren nicht zusammenfassen könne.

Die Unternehmer fragten auch, ob man ihnen Nachzahlungszinsen erlässt?
Nein. Um Steuern und Erlasse ging es bei unserem Gespräch gar nicht. Es ging um eine Verkürzung der Verfahren. Ich habe den beiden Unternehmern gesagt, dass ich das an meine Fachleute weiterleite und diese ihr Anliegen prüfen. So, wie ich das auch mit Sportverbänden, anderen Betrieben, Gemeinden oder Anfragen von Landtagsabgeordneten mache - übrigens schon hunderte Male und das jahrelang.

Wie ging es weiter?
Ich habe meinen damaligen Staatssekretär Heiko Geue gebeten, dass er sich mit der Oberfinanzdirektion und Vertretern der Unternehmensgruppe trifft. Nach Geues Weggang hat Staatssekretär Jörg Felgner die Gespräche geführt. Die OFD, die zuständigen Finanzämter und die Steuerberater der Unternehmensgruppe haben dann gemeinsam eine Lösung gefunden. Das ist ein gängiges, rechtlich sauberes Verfahren. Finanztechnisch gesprochen handelt es sich hier um eine sogenannte "tatsächliche Verständigung". Man hat die Wahl zwischen jahrelangen Prozessen oder einer Verständigung. Die Finanzbehörden und die Steuerberater haben sich für den Weg der Verständigung entschieden.

Wie viele Steuern sollte die Unternehmensgruppe noch zahlen?
Einzelheiten unterliegen dem Steuergeheimnis. Nur so viel: Es ging um einige Hundert strittige Bescheide, die uns jahrelang beschäftigt hätten.

Das war also ein Deal?
Wir dealen nicht. Es war eine Art Vergleich. Wenn es solch eine Gesprächskultur nicht gäbe, würden schon viele Betriebe und Vereine nicht mehr existieren. Da hängen ja auch hunderte Arbeitsplätze dran.

Das heißt, Finanzbehörde und Unternehmen haben sich auf eine bestimmte Steuerzahlung geeinigt?
Wir haben die Steuer in voller Höhe festgesetzt.

Aber warum wurden dann der Unternehmensgruppe Nachzahlungszinsen erlassen?
Das ist durchaus üblich. Ehe sich Firmen und Finanzbehörden einig sind, gehen oft Monate ins Land. Ein Unternehmen kann dann zum Beispiel sagen: Dass das so lange gedauert hat, lag an den Behörden - da zahlen wir doch nicht noch Stundungszinsen. Die Behörde entgegnet dann vielleicht, dass Unterlagen fehlten. So ein Streit kann sich ziehen. Eine Einigung kann dann so aussehen, dass das Unternehmen eine Summe x Steuern zahlt, die Finanzbehörden dann im Gegenzug Zinsen erlassen. Für den konkreten Fall kann ich sagen: Das Land hat Plus gemacht. Wir haben ordentlich Steuern eingenommen und dafür auf Nachzahlungszinsen verzichtet. Die erzielte Lösung war für alle Seiten erträglich.

In Medien war davon die Rede, dass rund 200000 Euro Nachzahlungszinsen erlassen wurden.
Da die Zahlen ohnehin in der Welt sind: Es waren etwa 270000 Euro.

Ab 100000 Euro wäre eine Meldung an das Bundesfinanzministerium nötig. Das geschah nicht. Ist hier bewusst gestückelt worden?
Der Vorwurf ist unsinnig. Jeder Betrieb einer Unternehmensgruppe wird einzeln veranlagt. In keinem Fall wurde die Grenze überschritten.

Wie viele Steuerschulden erlassen Sachsen-Anhalts Finanzämter pro Jahr?
2014 waren es 31,2 Millionen Euro, im Jahr zuvor 29,1 Millionen Euro. Dazu gehören Steuerschulden und auch steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen. In dieser Summe sind auch Steuerschulden enthalten, die wegen Firmenpleiten nicht mehr eingetrieben werden können. Aber im Fall der Unternehmensgruppe von Klaas Hübner haben wir es mit einem speziellen Fall zu tun. Finanzämter wollten zunächst keine Zinsen erlassen, bis die Oberfinanzdirektion das anwies. Die OFD schaltete sich ein, um eine einheitliche Steuererhebung zu gewährleisten. Wenn eine Unternehmensgruppe in mehreren Landkreisen tätig ist und - wie im Falle der Unternehmensgruppe - drei Finanzämter damit befasst sind, kann es schon vorkommen, dass ein Finanzamt A anders entscheidet als ein Finanzamt B, da jedes Amt auf einen einzelnen Betrieb schaut. Die OFD hat die Gesamtsicht. Und jedes Unternehmen hat ein Recht auf einheitliche steuerliche Behandlung. Daher war es gut und richtig, dass die OFD den Fall an sich zog.

Wie oft kommt es vor, dass sich die OFD in dieser Weise einschaltet wie im Fall der Unternehmensgruppe Hübner?
Genaue Fälle darf ich wegen des Steuergeheimnisses nicht nennen, aber es gab nicht nur den einen Fall.

Aber Sie dürfen doch die Gesamtsumme von Steuern nennen, die durch OFD-Entscheid erlassen wurden.
Darüber führen wir keine Statistik. Das zusammenzustellen wäre ein übermäßig hoher Aufwand.

Warum?
Es gibt zu solchen Fällen keine zentrale Akte bei der OFD. Alle Unterlagen liegen bei den einzelnen Finanzämtern. Wir haben auch einige Bundesländer gefragt, ob sie eine zentrale Statistik führen. Bis auf eines war das nirgendwo der Fall.

Sie und Klaas Hübner kennen sich gut. Haben Sie Druck auf die Behörde ausgeübt?
Nein, da käme ich in Teufels Küche. Würde ich so handeln, wäre ich nicht seit neun Jahren Finanzminister. Es kann aber auch nicht sein, dass ich ein Gespräch ablehne, nur weil wir uns gut kennen. Ich wundere mich schon sehr, wie einige in Parlament und Medien solche Mutmaßungen in die Welt setzen. Was würden die wohl sagen, wenn ihre steuerlichen Angelegenheiten so in der Öffentlichkeit ausgebreitet würden? Im Übrigen ging es nicht um das Privatvermögen von Klaas Hübner, sondern um das Betriebsvermögen einer Unternehmensgruppe mit über 40 Einzelfirmen. Die Kritiker sollten mit dem Vorhalt, so etwas ginge doch nur durch Druck von oben, vorsichtig sein. Das ist eine unerhörte Unterstellung, die ich strikt zurückweise. Jetzt konkret - erstens: Es handelt sich um einen seltenen Fall, da es in Sachsen-Anhalt nicht viele große Unternehmensgruppen gibt. Dass sich da eine OFD einschaltet, ist nur folgerichtig. Zweitens: Dem Land ist kein Schaden entstanden. Drittens: Ich kann niemandem einen Vorwurf machen. Und viertens: Die öffentliche Vermittlung ist schwierig, da das Steuergeheimnis eine detaillierte Erläuterung verbietet.

Sind vielleicht Ihre Staatssekretäre forscher als angemessen aufgetreten und die Behörden haben die Bitte als Befehl verstanden?
Nein. Das ist korrekt gelaufen, wie in vielen anderen Fällen auch - dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Wenn ein Finanzbeamter sich unter Druck gesetzt gefühlt hätte, hätte er remonstrieren - also schriftlich Widerspruch einlegen können. Das ist aber nicht geschehen; es gab zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis darauf, dass etwas widerrechtlich lief. Es wurde im Nachgang mit den Finanzamtsvorstehern geredet und gefragt, ob es Druck gegeben hat. Das war nicht der Fall. Ich nehme zur Kenntnis, dass sich nicht jeder einzelne Prüfer mit seiner Sicht im Endresultat wiederfindet. Aber ich bin mir sicher: Oberfinanzdirektion und Finanzämter haben nach Recht und Gesetz gehandelt.

Der Landesrechnungshof prüft den Vorgang und kommt womöglich zu einem anderen Ergebnis.
Ich habe mit dem Rechnungshof so meine Erfahrungen, deshalb wäre ich überrascht, wenn er uns Recht gibt. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir unterschiedlicher Auffassung sind. Dann werden wir uns das anschauen und unsere Schlüsse ziehen. Nur: Auch der Rechnungshof hat die Wahrheit nicht gepachtet; was er meint, ist nicht gottgegeben. Ich erinnere an seinen Vorwurf, wir hätten mit hochspekulativen Derivaten gezockt. Fakt ist: Wir sparen durch kluge Anlagepolitik jährlich 300 Millionen Euro Zinsen. Ich hoffe, dass der neue Rechnungshofpräsident einen anderen Stil als sein Vorgänger pflegt, so dass wir erstmal ohne öffentlichen Druck eine Chance bekommen, die Dinge zu bewerten. Das Agieren des Vorgängers Ralf Seibicke ist stark zu hinterfragen. Denn viele Details zu dem Steuerfall, die jetzt in der Öffentlichkeit kursieren, stammen aus Akten, die dem Steuergeheimnis unterliegen.

Dennoch: Würde der Rechnungshof meinen, Ihr Verhalten war falsch, würde Sie das vermutlich schwächen. Welche politischen Konsequenzen würden Sie ziehen?
Keine, da ich nicht glaube, dass mich eine andere Rechtsauffassung schwächt. Ich mache meinen Job und glaube, dass ich ein starker Finanzminister bin. Wenn ich den Eindruck gehabt hätte, dass in meinem Haus etwas nicht vernünftig läuft, hätte ich reagiert. Ich kann aber auch aus heutiger Sicht sagen: Ich habe nichts zu kritisieren.