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Ärztliche Schweigepflicht "Altmärker" forscht Mitarbeiter aus

Die Einführung des Mindestlohns zu Jahresbeginn hat die Stendaler Fleischereikette "Altmärker" dafür genutzt, ihren 400 Beschäftigten neue Arbeitsverträge auszustellen. Die Gewerkschaft NGG hält Regelungen in den neuen Verträgen für rechtswidrig.

15.06.2015, 05:37

Stendal l Wer sich eine Grippe einfängt, muss das Bett hüten. Beim Arbeitgeber muss er sich in dem Fall krankmelden und ein Attest vom Arzt nachreichen. So weit, so normal. Die Fleischereikette Altmärker Fleisch- und Wurstwaren GmbH hat ihren 400 Beschäftigten im Zuge der Einführung des Mindestlohns neue Arbeitsverträge ausgestellt und dabei auch neue Regeln für den Krankheitsfall in den Papieren festgeschrieben, die über die üblichen hinausgehen.

Bei mehr als zwei Wochen andauernder Arbeitsunfähigkeit sollen sich Mitarbeiter "von einem Facharzt auf Wunsch der Firma" untersuchen lassen. "Altmärker" will seinen Beschäftigten hierbei zwei Fachärzte zur Wahl stellen. Lehnen die Beschäftigten die beiden Ärzte ab, soll der Medizinische Dienst der Krankenkasse einen Arzt benennen.

Damit nicht genug: Bei einer länger als dreimonatigen Erkrankung soll der betroffene Beschäftigte seinen Facharzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Im Vertragstext betont die Firma: "Die Entbindung bezieht sich nicht auf den medizinischen Befund, sondern nur auf die Mitteilung zum Umfang der Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer."

Streit um "Altmärker"-Verdienste

Holger Willem, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), ist über die vertraglichen Regelungen entsetzt. "Das Unternehmen forscht hier seine Mitarbeiter aus, es mischt sich völlig rechtswidrig in ihre Privatsphäre ein." Willem streitet sich seit Monaten mit der "Altmärker"-Geschäftsführung um die neuen Arbeitsverträge. Ihm geht es dabei nicht nur um die Krankheitsregelungen. Seiner Meinung nach hat die Fleischereikette auch deshalb im Dezember 2014 neue Arbeitsverträge ausgestellt, um den Mitarbeitern nach Einführung des Mindestlohns im Januar nicht deutlich mehr Geld zahlen zu müssen.

Früher verdienten die Beschäftigten bei "Altmärker" je nach Beruf und Betriebszugehörigkeit zwischen sechs und acht Euro die Stunde. Dazu erhielten sie noch eine zweiprozentige Umsatzbeteiligung und zwei- bis zehnprozentige Funktionszulagen. Nach den neuen Verträgen verdienen die Mitarbeiter 8,50 Euro die Stunde, ab Oktober 8,60 Euro. Die Umsatzbeteiligung und die Zulagen wurden jedoch gestrichen. Für Willem ist klar: "Die neuen Verträge stellen die Beschäftigten schlechter."

Die neuen Konditionen, inklusive der umstrittenen Krankheitsregelungen, hätten die Beschäftigten jedoch nicht akzeptieren müssen - ihre alten Verträge hätten weiter gegolten. Tatsächlich haben aber nur zehn der 400 Mitarbeiter die neuen Verträge nicht unterschrieben. Holger Willem wirft der "Altmärker"-Geschäftsführung vor, die Beschäftigten in Gesprächen unter Druck gesetzt zu haben. "Da gab es Mund-zu-Mund-Beatmung für die Unterschriften."

Geschäftsführer verteidigt Krankheitsproblematik als Transparenz

"Altmärker"-Geschäftsführer Jörg Viehmann weist die Vorwürfe der Gewerkschaft zurück. "Bei uns verdient kein Mitarbeiter weniger als vor Einführung des Mindestlohns", betont Viehmann. Die Umsatzbeteiligung und die Zulagen habe die Geschäftsführung gestrichen, weil die Mitarbeiter nun ohnehin mindestens 8,50 Euro die Stunde erhalten. Die neue Verdienstregelung treffe daher unter der Belegschaft auch auf Zuspruch.

Viehmann wehrt sich in dem Zusammenhang gegen den Vorwurf, die Belegschaft unter Druck gesetzt zu haben. "Wir haben die Belegschaft frühzeitig über unsere Vorhaben bei einer Betriebsversammlung informiert und sind die Verträge mit den Beschäftigten in persönlichen Gesprächen durchgegangen." Bis auf drei Ausnahmen würde das Gros der Beschäftigten zudem weiter 40 Stunden die Woche arbeiten. Viehmann betont dies, weil es auch Arbeitgeber gibt, die ihren Mitarbeitern zwar den Mindestlohn zahlen, sie dafür aber nur noch 25 Stunden die Woche arbeiten lassen, um die Lohnkosten zu drücken.

Im Recht fühlt sich der Geschäftsführer auch bei den Krankheitsregelungen. "Der Arbeitgeber hat das Recht, nachzufragen, wann der Mitarbeiter wieder arbeitsfähig ist." Die zwei Absätze lange Passage mit den Regeln habe er in die Verträge aufgenommen, um "größtmögliche Transparenz" zu schaffen. Er gibt allerdings zu: "Die von uns beabsichtigte Transparenz kann auch missverstanden werden."

Krankenheitsfall einzeln prüfen

Die Krankheitsregelungen bei der Fleischereikette sind aber nicht nur unüblich, sie sind wohl auch rechtswidrig, wie zwei erfahrene Arbeitsrechtsexperten der Volksstimme sagen. "Ein Arbeitnehmer kann pauschal nicht dazu gezwungen werden, sich nach zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt untersuchen zu lassen." Zudem gelte die freie Arztwahl. Darüber hinaus könne der Arbeitnehmer auch nicht dazu gezwungen werden, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.

Beide Juristen weisen darauf hin, dass der Arbeitgeber nur im konkreten Einzelfall das Recht hat, Informationen einzuholen. Etwa dann, wenn der Arbeitnehmer sich krank gemeldet hat, aber abends in der Disco oder beim Fußballspiel gesehen wird. "In diesem Fall kann der Arbeitgeber die Diagnose im Attest \\\\\\\'erschüttern\\\\\\\' und eine Prüfung beim Medizinischen Dienst beantragen." Der Arbeitgerber kann dann auch die Entgeltzahlung im Krankheitsfall stoppen.

Zwischen der Gewerkschaft und der "Altmärker"-Geschäftsführung bleiben die Fronten verhärtet. Viehmann will nicht mehr mit der NGG kooperieren. Die wiederum will Beschäftigte, die gegen die Fleischereikette klagen wollen, unterstützen.