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THW-Freiwilliger aus Burg berichtet Nepal: "Das große Nachbeben war ein Horror"

16.06.2015, 01:14

Johannes Anger aus Burg kommt gerade aus einer anderen Welt. Nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal war er für drei Wochen als Freiwilliger für das Technische Hilfswerk (THW) im Einsatz. Im Volksstimme-Interview mit Reporterin Elisa Sowieja berichtet der 29-Jährige von seiner Arbeit und seinen Eindrücken.

Volksstimme: Wenn Sie die Augen schließen und an Ihre Zeit in Nepal zurückdenken, welches Bild haben Sie zuerst vor Augen?

Johannes Anger: Den Himalaya im Anflug, der war sehr einprägsam. Als wir dann in Kathmandu gelandet sind, haben wir uns zuerst gefragt: Wo war überhaupt das Erdbeben? Auf dem Weg zu unserer Unterkunft sahen wir die Stadt weitestgehend unzerstört. Auch als ich dann als Laborant in der Region herumgereist bin, habe ich zuerst nur wenige zerstörte Gebäude gesehen. Es war ein komisches Gefühl: Da liest man in den Medien von einem Erdbeben mit 8000 Toten und bekommt davon auf den ersten Blick nichts mit. Nach fünf Tagen habe ich in den nördlichen Ausläufern der Stadt zum ersten Mal großflächige Zerstörung gesehen. Da stand kaum noch ein komplettes Gebäude.

Wie sah dort der Alltag aus?

Einige Stunden, nachdem ich gelandet war, gab es ein schweres Nachbeben. Gerade war so etwas wie Normalität eingekehrt, das schlug nun wieder um. Es entstanden Zeltlager, die sich erst kurz zuvor aufgelöst hatten. Wir hatten Probleme, eine offene Apotheke zu finden. Die Schulen hatten geschlossen. Außerdem waren die Wasserleitungen gebrochen, sodass viele Menschen auf Brunnen angewiesen waren. Doch durch das Erdbeben gaben viele Brunnen kein Wasser ab. Außerdem war die Qualität schlecht. Trinkwasser kauft man in Nepal zwar normalerweise in Flaschen. Doch auch wenn es subventioniert ist, können sich das viele nicht leisten und trinken Brunnenwasser. Hinzu kommt, dass sich in Notsituationen schnell Krankheiten ausbreiten. Daher war es wichtig, dass die Menschen sauberes Wasser haben.

Wie konnten Sie und die Kollegen in Ihrem THW-Team helfen?

Meine Kollegen haben auf dem Gelände des Wasserversorgers einen Brunnen reaktiviert und dort zwei Aufbereitungsanlagen aufgebaut. Ich habe dieses Wasser kontrolliert, außerdem habe ich für Hilfsorganisationen die Qualität in Brunnen und vor allem in kleinen Wasserwerken der Region überprüft.

Wieso waren Sie in Wasserwerken?

Bei einem Erdbeben können zum Beispiel Kiesfilter beschädigt werden, sodass dreckiges Wasser durch einen Spalt sickert. Ich habe ein Wasserwerk besucht, bei dem das ankommende Rohwasser im gleichen Zustand war wie das ausgehende Trinkwasser. Nach meinen Proben habe ich Empfehlungen gegeben. Oft half es schon, Chlor ins Wasser zu geben. Manchmal mussten aber auch Filter instandgesetzt und Flockungsmittel hinzugegeben werden.

"Wir haben unter freiem Himmel geschlafen. Da konnte die Erde beben, wie sie mochte."

Wie groß war Ihre Angst vor den Nachbeben und vor Krankheiten?

Wir haben unter freiem Himmel geschlafen, da konnte die Erde beben, wie sie mochte. Außerdem waren unsere Zelte sehr robust. Ich habe gefühlt das meiste überschlafen. Nur das große Nachbeben hat uns sehr erschrocken, das war ein Horror für alle. Danach waren wir aber relativ entspannt. Wir hatten ja das Schlimmste hinter uns - das redeten wir uns zumindest ein. In Bezug auf Krankheiten waren wir gut vorbereitet. Zum einen hatten alle zuvor eine Tropentauglichkeitsuntersuchung abgelegt, zum anderen haben wir einen vollständigen Impfschutz. Aber natürlich ist man vorsichtig. An manche Sachen, vor allem an Flüssigkeiten, gehe ich nur mit Handschuhen ran.

Haben Sie sich denn vor Ihrem Flug nach Nepal Gedanken gemacht?

Man macht sich vorher immer Gedanken. Aber die Überlegung, ob man in ein Krisenland gehen möchte, sollte man schon hinter sich haben, wenn man sich grundsätzlich für eine Auslandseinheit meldet.

Wie stand Ihre Familie zu Ihrem Einsatz?

Natürlich spricht man mit der Familie, die Entscheidung muss man aber letztendlich alleine treffen. Meine Mutter kannte die Situation allerdings, denn ich war schon 2010 nach einem Erdbeben in Haiti im Einsatz.

Wie waren Sie auf Ihren Einsatz vorbereitet?

Zum Laboranten wurde ich bei einem vierwöchigen Kurs an einer THW-Bundesschule ausgebildet, durch mein Studium in Wasserwirtschaft hatte ich auch viel Vorerfahrung. Was die Krisensituation betrifft, ist die Vorbereitung schwer möglich. Unsere Auslandseinheit trifft sich einmal im Quartal zu Übungen. Dabei simuliert man auch Situationen, einmal wurden wir zum Beispiel nachts überraschend im Zelt überfallen. Direkt vor dem Einsatz habe ich dann noch Leitfäden zum Umgang mit Erdbeben gelesen.

Auf das menschliche Leid kann man sich kaum vorbereiten. Wie sehr hat Sie das getroffen?

Die schlimmen Bilder treffen uns nicht mehr so sehr wie jemanden, der noch nie in solch einer Situation war. Man ist schnell auf seine Aufgaben fokussiert und lässt sich relativ wenig ablenken.

Sie hatten viel Kontakt zu Nepalesen. Wie sind sie mit dem Erdbeben umgegangen?

Das starke Nachbeben knapp drei Wochen nach dem großen Beben war für viele ein Schock. Im Hinduismus trauert man 13 Tage lang, diese Zeit war also gerade vorüber. Von persönlichen Schicksalen haben mir aber nur wenige berichtet. Die Menschen in Nepal sind unheimlich zurückhaltend. Ehe sie einen damit "belästigen", muss schon viel passieren.

Nach dem Erdbeben gab es Kritik an der nepalesischen Regierung, weil die Unterstützung zu schleppend verlaufen sein soll. Was ist davon bei Ihnen angekommen?

Chaos gibt`s nach jeder Katastrophe. Um die Kritik im Einzelnen zu beurteilen, hatten wir zu wenig Einblick. Bei uns haben sich die Leute immer nur bedankt, weil wir da waren.

Wie war die Situation in Nepal, als Sie vor gut einer Woche die Heimreise antraten?

Drei Tage vor meinem Rückflug haben die Schulen geöffnet. Die Stadt war wieder rammelvoll. Wir brauchten mit dem Auto für Strecken, die wir sonst in zehn Minuten schafften, eine Stunde. Die Wasserversorgung hatte nach Aussagen des Versorgers wieder den Zustand vor dem Erdbeben. Im Großraum Kathmandu ist also ein Stück Normalität zurückgekehrt. In den Bergregionen gab es allerdings immer noch Probleme. Wir haben auf dem Rückflug Schweizer kennengelernt, die erzählten, dass dort weiterhin Hilfsgüter mit Hubschraubern abgeworfen werden mussten.

Momentan beginnt in Nepal die Regenzeit. Kann das aus Ihrer Sicht einen Rückschlag bewirken?

Der Monsun ist jedes Jahr anders. Wie er sich diesmal auswirkt, kann keiner vorhersehen.

Wie schwierig war es für Sie, wieder auf den deutschen Alltag umzuschalten?

Wir arbeiten in Krisengebieten sehr professionell. Allerdings reagiert jeder Mensch anders. Mir gelingt es überraschend gut, wieder auf den Alltag umzuschalten. Dass das immer so läuft, kann ich allerdings nicht garantieren. Sollte es mal nicht der Fall sein, bietet das THW Unterstützung an, zum Beispiel psychologische Beratung.