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DDR-Frauengefängnis Hoheneck war ein dunkler Ort ohne Hoffnung

Am Mittwochabend ist in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn eine Wanderausstellung zum Frauengefängnis Hoheneck eröffnet worden. Die Schicksale der häufig aus politischen Gründen inhaftierten Frauen sind beklemmend.

19.06.2015, 01:15

Marienborn l Plötzlich standen die Russen vor ihrer Tür und holten sie ab. 10. März 1947 - dieses Datum wird Anneliese Gabel nie vergessen. An diesem Tag wurde sie verhaftet. Warum, wusste die damals 20-Jährige nicht.

Anneliese Gabel hatte in Berlin gerade eine Lehre begonnen. Augenoptikerin wollte sie werden, unbedingt. Und nun stand sie vor dem russischen Militärtribunal. Der Vorwurf: "Mitglied einer illegalen Untergrundorganisation". Das Urteil: Todesstrafe. Als eine der ersten Insassinnen kam Anneliese Gabel nach Hohenschönhausen. Der jungen Frau wurden zwei Bekanntschaften zum Verhängnis. Sie hatte Kontakt zu kritischen Studenten der Humboldt-Universität.

Zwangsarbeit in Hoheneck

Teil der Untergrundbewegung war sie nicht. "Für solche Sachen hatte ich keine Zeit und auch kein Interesse daran", sagt Anneliese Gabel heute. Es fällt der 88-Jährigen immer noch schwer, über die Ereignisse zu sprechen. Vieles aus dieser Zeit würde sie gern vergessen. "Aber das vergisst man nicht. Ich wurde behandelt wie der letzte Dreck", sagt Anneliese Gabel.

Über die Lager Bautzen und Sachsenhausen kam die junge Frau schließlich nach Hoheneck. In Viehwaggons wurden 1950 mehr als 1000 Frauen nach Stollberg ins Erzgebirge gebracht. In ein Zuchthaus, das gerade einmal für 600 Häftlinge ausgelegt war. In der alten Burg verbüßten kriminelle Straftäterinnen und politische Häftlinge ihre Strafen - 20 Insassinnen in einem Raum waren keine Seltenheit. Es waren sogar Mütter mit ihren Säuglingen darunter.

Einige Wochen nach ihrer Ankunft in Stollberg durfte sich Anneliese Gabel das erste Mal eine Zahnbürste schicken lassen. Drei Jahre lang hatte sie keine besessen. "Der Alltag in Hoheneck bestand aus Schikane und Arbeit", sagt sie. Ihr Todesurteil war in 25 Jahre Zwangsarbeit umgewandelt worden. Sie musste in der Schneiderei schuften und stach Tag für Tag Knopflöcher.

Flucht in den Westen

Die Kameradschaft trug die junge Frau in dieser Zeit. Sie sang im Häftlingschor und fand Trost bei älteren Insassinnen. Eine Mutter von sechs Kindern war für sie da. Kinder, ja, die wünschte sich Anneliese Gabel auch. Doch das schien damals aussichtslos. Sie sollte erst mit Mitte 40 entlassen werden. "Zu wissen, dass ich keine Familie mehr gründen kann, war das Schlimmste", sagt sie heute. Damals baute sich Anneliese Gabel ein Schutzschild auf. Es war aus Wut. "Ihr kriegt mich nicht kaputt", hat sie sich geschworen.

Erst 1953, nach Stalins Tod, schöpfte die junge Frau erstmals Hoffnung. In der Sowjetunion wurden viele deutsche Gefangene aus den Lagern entlassen. In der Zeitung las Anneliese Gabel, dass auch der Hauptangeklagte aus der Studentengruppe der Humboldt-Uni dazugehörte. Gemeinsam mit anderen Insassinnen trat sie in Hungerstreik. Die Frauen wollten mit den Russen sprechen. "Die Deutschen bewahrten uns nur auf, die kannten nicht mal die Gründe unserer Inhaftierung. Die Akten lagen in Moskau", sagt sie.

Gebracht hat der Streik nichts. Erst knapp zwei Jahre später, am 5. Mai 1955, durfte Anneliese Gabel Hoheneck verlassen. Damals hatte sie nur einen Wunsch: "Nie mehr hungern, nie mehr frieren, keine Nachtschicht mehr." Sie ging in den Westen und wurde später Inhaberin einer Handelsagentur in Dortmund.

Frauengefängnis soll Gedenkstätte werden

Bis zu 10.000 Frauen sollen nach Schätzungen von 1948 bis 1990 in Hoheneck gelitten haben. "Sie kamen aus allen Regionen der DDR", sagt die Historikerin Mechthild Günther. "Sehr oft wurden die Frauen willkürlich verhaftet. Bei manchen gab es politische Gründe, andere wollten einfach nur zu ihrem Partner in den Westen", sagt die gebürtige Halberstädterin, die 1972 selbst einige Monate in Hoheneck inhaftiert war. Die Häftlinge litten unter Kälte, minderwertigem Essen und brutalem Wachpersonal. Für geringste Vergehen gab es Arrest in der Dunkelzelle. "Dieser Ort wirft ein markantes Licht auf den Unrechtsstaat DDR", sagt die Historikerin.

Aus dem ehemaligen Frauengefängnis soll eine Gedenkstätte werden. "Der Ort muss einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden", fordert Mechthild Günther. Hoheneck wurde bereits ins Gedenkstättengesetz Sachsens aufgenommen. Die bauliche Sanierung steht bevor. Ein Förderverein setzt sich schon jetzt für ein "ehrendes Gedenken an die Opfer" ein und will "künftige Generationen informieren und vor einer Wiederkehr solcher menschenverachtender Systeme warnen". Auf Anfrage kann Hoheneck besichtigt werden.

In Marienborn ist bis zum 31. Juli eine Wanderausstellung der Heinrich-Böll-Stiftung zu sehen, die die Schicksale von 25 inhaftierten Frauen präsentiert. Die Schau verdeutlicht, dass viele der Frauen die Wunden der Haftzeit bis heute mit sich tragen. Die häufigsten Spätfolgen sind Angstzustände und Schlafstörungen.

Kein Wort der Entschuldigung

Auch Anneliese Gabel hat lange gebraucht, um das Erlebte zu verarbeiten. Mehr als acht Jahre ihres Lebens hat sie in Gefängnissen verbracht. "Heute denk ich immer: Das bin ich gar nicht. Das muss eine andere gewesen sein", sagt die 88-Jährige, die heute in Berlin lebt. Erst im Jahr 2009 - 54 Jahre nach ihrer Entlassung - wurde sie offiziell durch die russische Generalstaatsanwaltschaft rehabilitiert. In Deutsch und Russisch erhielt sie einen Brief aus Moskau. Ein Wort der Entschuldigung fand sie in den Zeilen nicht.

Die Wanderausstellung "Der dunkle Ort - Das Frauengefängnis Hoheneck" ist bis 31. Juli in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn zu sehen. Sie ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.