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Bund der Vertriebenen "Ohne Hilfe höchstens noch drei, vier Jahre"

Elfriede Hofmann, seit 25 Jahren Landesvorsitzende beim Bund der Vertriebenen, berichtet über Heimatlosigkeit gestern und heute.

Von Hagen Eichler 20.06.2015, 03:12

Frau Hofmann, an diesem 20. Juni gibt es zum ersten Mal einen staatlichen Gedenktag zu Flucht und Vertreibung. Wozu braucht es den?

Elfriede Hofmann: Bislang hatten die Vertriebenen verschiedene Gedenktage. Wir in Sachsen-Anhalt haben am ersten Sonnabend im September gedacht, andere am 5. August, weil da 1950 die Charta der Heimatvertriebenen beschlossen wurde. Endlich hat sich der Staat dazu durchgerungen, einen einheitlichen Gedenktag zu bestimmen. Der 20. Juni ist ein gutes Datum, weil er auch international bekannt ist und die mit einschließt, die heute auf der Flucht sind.

Was erhoffen sich die Vertriebenen von der Gesellschaft?

Wir wünschen uns mehr Geschichtsbewusstsein. Sicher haben auch die Menschen hier für den Krieg bezahlt, viele haben bei den Bombardierungen ihre Wohnungen verloren. Aber sie waren doch immer noch in ihrer Heimat, bei Verwandten und Freunden. Ich bin als Achtjährige mit meiner Mutter und den Großeltern in Bernburg angekommen, mit 25 Kilogramm Handgepäck. Aus meinem schlesischen Heimatort Waltersdorf waren wir die einzigen hier. Wir wurden als Polacken und Zigeuner beschimpft. Und in der DDR durften wir nicht mal über die Heimat sprechen. Meinen Kindern wurde in der Schule erzählt, dass ihre Mutter und ihre Großeltern Polen sind. Unser Großer hat am nächsten Tag widersprochen und dem Lehrer gesagt, dass die Familie aus Schlesien stammt. Da gab´s dann Ärger.

Was haben die Menschen aus den verlorenen Ostgebieten in ihrer neuen Heimat eingebracht?

Sie waren sehr fleißig, weil sie sich ja ein neues Leben aufbauen mussten. Für mich war mit acht Jahren die Kindheit vorbei, ich habe immer Druck bekommen, in der Schule gut zu lernen. "Wir sind arm, sieh zu, dass Du aus Deinem Leben etwas machst", hieß es immer. Heute bin ich dafür dankbar, weil ich studiert habe. Die Glashütte Derenburg am Harz wurde von Sudetendeutschen gegründet, die ihr Können mitgebracht haben. Der letzte aus der Generation ist im vergangenen Jahr in Rente gegangen.

Erkennen die Vertriebenen ihr Schicksal in dem heutiger Flüchtlinge wieder?

Auch heute noch werden Menschen vertrieben, ein schreckliches Unrecht. Wir haben ein Projekt für jugendliche Flüchtlinge, denen wir ihre neue Heimat zeigen. Mehr als 100 Jugendliche nehmen daran teil. Gerade war ich mit 14 Eritreern im Landtag und habe ihnen eine Ausstellung zum Thema Vertreibung gezeigt. Die verstehen kein Deutsch, aber ein junger Mann sagte, dass er zu Hause eine Mama und einen Papa hat. Da glitzerten ihm die Augen. Mehr brauchte er mir nicht zu sagen. Den habe ich in die Arme genommen.

Die Vertriebenen werden von Jahr zu Jahr weniger, der Landesverband Sachsen-Anhalt hat nur noch 800 Mitglieder. Wie lange können Sie noch weitermachen?

Anfang der 1990er Jahre hatten wir noch mehrere Tausend Mitglieder. Unseren Tag der Heimat im Magdeburger Amo haben wir das letzte Mal vor zwei Jahren gefeiert, da kamen nur noch 200 Mitglieder. So eine Veranstaltung können wir jetzt nicht mehr bezahlen. Wir bekommen einen Landeszuschuss, aber 35 Prozent müssen wir selbst tragen. Das ist zu viel für uns. Wenn uns die Landesregierung nicht hilft, gibt´s unseren Verband höchstens noch drei, vier Jahre.

Andere Landesverbände versuchen, auch die Nachkommen der Vertriebenen zu organisieren.

Das war bei uns nicht möglich, weil in der DDR niemand über sein Schicksal als Vertriebener reden durfte. Anfang der 90er Jahre gab es frühere Flüchtlingskinder, die überhaupt nicht wussten, wo sie herstammten. Da stand als Geburtsort ein polnischer oder tschechischer Ortsname im Personalausweis, und wenn ihre Eltern nicht mehr lebten, konnten sie niemanden fragen. Durch die DDR haben wir viele Jahre verloren.