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Angriffe auf Beamte Polizisten beklagen "Kuschel-Justiz"

In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der bei Angriffen verletzten Polizisten in Sachsen-Anhalt um mehr als die Hälfte auf 245 gestiegen. Etwa 200 davon im alltäglichen Einsatz. Die Täter werden nach Meinung der Polizeigewerkschaften oft viel zu milde bestraft.

Von Matthias Fricke 26.06.2015, 03:08
ARCHIV - Ein gewalttätiger Demonstrant schlägt am 26.03.2011 in Lübeck einen Polizeibeamten nieder. Polizisten in Sachsen-Anhalt werden häufiger Opfer von Gewalt als früher. Foto: Carsten Rehder/dpa (zu lah «Zahl der verletzten Polizisten steigt an» vom 05.05.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++
ARCHIV - Ein gewalttätiger Demonstrant schlägt am 26.03.2011 in Lübeck einen Polizeibeamten nieder. Polizisten in Sachsen-Anhalt werden häufiger Opfer von Gewalt als früher. Foto: Carsten Rehder/dpa (zu lah «Zahl der verletzten Polizisten steigt an» vom 05.05.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++ dpa

Magdeburg l "Ich habe mir das Urteil irgendwie anders vorgestellt", sagt Polizeihauptmeister Michael Kreuter. Ein Jahr und sechs Monate, ausgesetzt auf Bewährung, so lautete das Urteil vor einigen Wochen gegen seinen damaligen Angreifer in Magdeburg. Der Vater von vier Kindern war von einem 34-Jährigen mit einem Panzerkettenschloss angegriffen und schwer verletzt worden. Noch immer erinnern ihn die Schmerzen bei einem Wetterumschwung an den 9. Februar 2014, der als ganz normaler Tag im Streifendienst begonnen hatte. "Mich ärgert einfach, dass solch ein Mensch schon mehrmals wegen Angriffen gegen Polizisten aufgefallen ist und es keine Verurteilung gab", sagt der 47-Jährige.

So wie er haben immer weniger Polizisten Verständnis für die milde Gangart der Justiz. "Das Strafmaß wird einfach nicht ausgeschöpft", sagt auch Polizeiobermeister Manuel Schärf. Ihm hat ein Fußgänger den Kiefer zertrümmert, nur weil ihm eine Verkehrskontrolle in der Halberstädter Straße nicht gefiel. Der Angriff kam völlig überraschend, ohne Vorankündigung. Der damals 27-Jährige hatte keine Chance. Dreimal musste der Polizist operiert werden, drei Monate war er dienstunfähig. "Mit meinem Anwalt habe ich 3500 Euro Schmerzensgeld einklagen können", sagt Schärf. Doch weil der wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Täter keine ausreichenden Einkünfte hat, stottert er dem Beamten nun monatlich zehn Euro ab.

Wolfgang Ladebeck von der Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG: "Wir haben von dieser Kuschel-Justiz die Nase voll." Die Justiz müsse endlich handeln und die Strafmaße voll ausschöpfen. "Tagtäglich erleben wir Aggressionen und Respektlosigkeit", sagt er. Sein Kollege von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Uwe Petermann kritisiert: "Es muss erschwerend hinzukommen, dass Repräsentanten des Staates angegriffen werden. Das passiert aber nicht. Ansonsten sind die Strafrahmen ausreichend, sie müssen eben nur genutzt werden."

Nach einer Statistik des Innenministeriums gab es 2014 in Sachsen-Anhalt im Zusammenhang mit Demonstrationen 25 verletzte Polizisten und bei Fußballeinsätzen 16. Die restlichen 204 Beamten wurden im allgemeinen Streifendienst, bei Kontrollen, Einsätzen bei häuslicher Gewalt und sonstigen Einsätzen verletzt.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) richtet seine Forderung ebenfalls an die Justiz: "Es kann einfach nicht sein, dass Menschen, die sich für unsere Sicherheit einsetzen, deshalb Opfer von Straftaten werden. Zwei Wege können diese Entwicklung stoppen. Auf der einen Seite reagiert der Gesetzgeber darauf und auf der anderen Seite sollte die Justiz auch ihre Möglichkeiten ausreizen." Es müssten auch Freiheitsstrafen ohne Bewährungszeit ausgesprochen werden. "Wenn wir bestimmte Werte erhalten wollen, müssen wir ein Zeichen setzen", sagt Stahlknecht.

Zu den Vorwürfen der "Kuscheljustiz" erklärt Oberstaatsanwalt Klaus Tewes von der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt: "Dieser Kritik kann ich mich nicht anschließen." Das Gericht müsse alle Milderungsgründe nun einmal berücksichtigen. Für den Bereich der Staatsanwaltschaften sagt er: "Wir legen in solchen Fällen immer Rechtsmittel ein, wenn uns Urteile zu milde erscheinen." Die Gerichte seien aber nun einmal unabhängig. Eine Verschärfung des Strafmaßes halte er nicht für erforderlich. Bei einer gefährlichen Körperverletzung, wenn zum Beispiel eine Flasche oder ein Panzerkettenschloss als Waffe verwendet werden, drohen schon jetzt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren. "Das reicht als Rahmen vollkommen aus", meint er. Allerdings betrachte auch er durchaus die zunehmende Respektlosigkeit und Aggression auf der Straße mit Sorge.

Betroffen von der steigenden Aggressivität auf der Straße sind nicht nur Polizisten. Auch Feuerwehrleute und Rettungssanitäter stellen dies immer wieder fest. Gegenwärtig wird vor dem Amtsgericht Wernigerode ein besonders dreister Fall verhandelt. Ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Blankenburg soll beim Absperren eines tödlichen Unfalls von einem Autofahrer angefahren und angegriffen worden sein. Der ehrenamtlich tätige Feuerwehrmann war eingesetzt, um einen Feldweg parallel der B6 abzusperren, damit beim Bergen von zwei Brandleichen keine Gaffer zuschauen.

Kai-Uwe Lohse, Chef des Landesfeuerwehrverbandes: "Pöbeleien bis hin zu Handgreiflichkeiten sind schon fast Alltag. Oft ist die Ordnung bei Einsätzen nur mit Hilfe der Polizei durchsetzbar." Besonders wenn die Menschen bei Einsätzen in ihrem Freiraum eingeschränkt werden müssen, seien solche Angriffe programmiert.

Zurzeit werden solche Straftaten wie jede andere behandelt. Nach einer Gesetzesänderung (Infokasten) im Strafgesetzbuch, wie sie jetzt vom Bundesland Hessen und dem Saarland vorgeschlagen ist, soll das künftig anders sein. Angriffe gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte werden mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In schweren Fällen sind bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug möglich.

GdP-Bundesvorsitzender Oliver Malchow überreichte am Donnerstag in Mainz dem Chef der Innenministerkonferenz eine Petition für den neuen Paragrafen.