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Wulf Gallert Ein politischer Generalist

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Volksstimme-Interview.

Von Michael Bock 30.07.2015, 13:01

Volksstimme: Herr Gallert, im dritten Anlauf wollen Sie Ministerpräsident werden. Wie groß sind diesmal die Chancen, Regierungschef zu werden?
Wulf Gallert: Die Aussichten sind deutlich besser als bei den vorangegangenen zwei Wahlen. Inzwischen wird die Situation im Land von vielen als unbefriedigend empfunden. In den letzten Monaten habe ich immer wieder den Satz gehört: Das kann doch nicht so weitergehen, Herr Gallert. Und: Es gibt mittlerweile deutlich kritischere Stimmen in der Sozialdemokratie, vor allem in Sachsen-Anhalt, zur Situation der SPD in der schwarz-roten Koalition. Die Konflikte in der Koalition häufen sich, wie zuletzt beim Thema Ehe für alle oder in der Flüchtlingsfrage. Wir haben eine Stimmung im Land, die nach einem Wechsel verlangt. Ich finde nur sehr, sehr wenige Akteure, die überzeugt und mit Inbrunst erklären, alles müsse so bleiben. Das war 2006 und 2011 deutlich anders.

Wie sehr hilft Ihnen Thüringen, wo die Linke mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt?
Dort sind alle Horrorszenarien nicht eingetreten. Die rot-rot-grüne Regierung wird positiv wahrgenommen. Ihre Performance ist deutlich besser als die der CDU/SPD-Vorgänger-Regierung. Die ersten Erfahrungen in Thüringen sind sehr wohl eine Empfehlung für Sachsen-Anhalt. Entscheidend sind aber die Probleme Sachsen-Anhalts und nicht die Situation in Thüringen.

Wie bewerten Sie den derzeitigen Zustand der CDU/SPD-Regierung in Sachsen-Anhalt?
Der Zustand schwankt zwischen katastrophal und desaströs. Es gibt einen massiven Realitätsverlust. So hat Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU im Untersuchungsausschuss zur IBG-Affäre von einer Erfolgsgeschichte gesprochen. Alles andere sei eine überflüssige, das Land hemmende Fehlerdiskussion. Er ist tatsächlich überzeugt: Hier ist alles super. Die harten Fakten und auch die Stimmung im Land widerlegen das aber. Wer die Probleme nicht erkennt, kann auch nicht über Lösungen diskutieren. Das sind keine normalen Untiefen, in die eine Regierung immer mal gerät. Die Menschen im Land bekommen Realitätsverweigerung und Ideenlosigkeit mit. Die Landesregierung strahlt inzwischen das Signal aus, dass sie nicht mehr weitermachen kann.

Sie haben zuletzt massiv die Wirtschaftspolitik kritisiert.
Sachsen-Anhalt hat eine zehnjährige Wachstumsschwäche. Wir sind das einzige Land, das mit seiner Wirtschaftskraft immer noch nicht im Vorkrisenjahr 2008 angekommen ist. Alle anderen ostdeutschen Länder haben uns klar abgehängt. Das zentrale Problem ist, dass wir nach wie vor gut ausgebildete Fachkräfte verlieren. Die Landesregierung sieht nicht, welche negativen Signale sie etwa mit den Hochschul- und Kulturkürzungen oder dem Personalkonzept bei Polizisten und Lehrern, inklusive Schulschließungen, ausgelöst hat.

Wo sehen Sie die größten Schnittmengen zur SPD?
Die Sozialdemokraten befinden sich in einer schwierigen Situation. Immerhin sind sie seit 2006 in einer Koalition mit der CDU. Ich bemerke aber schon, dass es derzeit eine starke Entwicklung bei den Sozialdemokraten hin zu Rot-Rot-Grün gibt. SPD-Chefin Katrin Budde lässt eine deutliche Präferenz für dieses Modell erkennen. In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber auch im Bildungsbereich gibt es die größten Schnittmengen mit der SPD. Nach der Landtagswahl 2016 wird sich zeigen, wie glaubwürdig die Sozialdemokraten sind. Viele Positionen, die sie jetzt öffentlich vertreten, werden sie mit der CDU nicht oder nur sehr beschränkt umsetzen können.

Und die Differenzen?
Die Sozialdemokraten haben in den zurückliegenden Jahren Einschnitte bei den Kommunen, der Kultur, der Bildung und der öffentlichen Sicherheit mitgetragen. Da habe ich die sozialdemokratische Handschrift vermisst. Mittlerweile frage ich mich aber: Haben wir diese Differenzen mit SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn, oder haben wir sie mit den Sozialdemokraten? Gerade bei den Hochschulen haben ja auch Sozialdemokraten gegen die Kürzungen mit demonstriert. Wir sollten also vermeiden, die Sozialdemokraten mit dem Kollegen Bullerjahn zu verwechseln, der an vielen Stellen originär und besser als alle anderen CDU-Politik gemacht hat.

Es gibt in der SPD durchaus Vorbehalte gegen Ihre Person.
Möglicherweise rechnet mir manch einer Durchsetzungsfähigkeit als Manko an. Das kann man aber auch anders sehen. In einer rot-rot-grünen Regierung hat aber ohnehin jeder Partner seine spezifische Bedeutung - und das geht nur gemeinsam.

Wie beschreiben Sie sich selber?
Ich bin ein politischer Generalist. Ich begebe mich nur selten in die Details einer Fachfrage. Mich interessiert der Konflikt, der hinter jeder Sache steht. Und meine Aufgabe ist es dann, Lösungsmöglichkeiten auszuloten. Was ich in über 20 Jahren im Landtag gelernt habe, ist: Es ist wichtig, Menschen in Entscheidungsprozesse einzubinden und Beschlüsse zu treffen, mit denen alle leben können. Das ist die höhere Kunst, als Recht zu haben.

Sollte die Linke nach der Landtagswahl hauchdünn vor der SPD liegen, würden Sie dann das Ministerpräsidenten-Amt teilen? Zweieinhalb Jahre für die SPD, zweieinhalb Jahre für die Linke?
Nein. Die stärkere Partei stellt den Ministerpräsidenten. Und das über die kompletten fünf Jahre.