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Zehn Minuten vor Ultimo entschied sächsisches Oberverwaltungsgericht gegen Teilnahme des NPD-Spitzenkandidaten "Nazis raus!": Der Saal steht wie ein Mann

Von Bernd Kaufholz und Josephine Schlüer 03.03.2011, 04:31

Magdeburg. Auf der großen Bühnen-Leinwand des Magdeburger AMO-Kulturhauses "schwimmen" der Schriftzug "Wahlforum", die Logos von Volksstimme und MDR sowie das Sachsen-Anhalt-Wappen.

Wolfgang Meinke aus Magdeburg gehört zu den knapp 1000 Sachsen-Anhaltern, die Dienstagabend gespannt im Saal sitzen, die sich ein Bild von den Spitzenkandidaten und den Programmen von CDU, Linke, SPD, FDP und Grünen machen wollen: "Ich hoffe, dass ich ein paar Fragen loswerde. Und bin gespannt, wie die Kandidaten darauf reagieren." Den 77-Jährigen interessiert zum Beispiel das Thema Renten.

Andreas Leißner (28) aus Magdeburg erhofft sich eine Bestätigung seiner Entscheidung. "Wie die aussieht, verrate ich aber nicht."

Anders Ursula Schlack, ebenfalls aus der Landeshauptstadt: "Entschieden habe ich mich noch nicht." Vom Forum erhoffe sie sich mehr Informationen, die ihr weiterhelfen.

Doch die Spitzen der Listenplätze haben eine Viertelstunde vor Forumsbeginn ganz andere Sorgen. Die NPD hat sich am Mittag über das Verwaltungsgericht Leipzig eingeklagt. Hintergrund: Der MDR ist öffentlich-rechtlich. Und darin leitet die NPD das Recht auf einen Podiumsplatz ab.

Die Uhr tickt

Die Nerven bei einigen Protagonisten liegen blank. Soll das Forum ganz abgesagt werden? (Grünen-Front-Frau Claudia Dalbert: "Mit den Rechten setze ich mich nicht an einen Tisch"). CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff denkt über Rückzug nach.

Landesfunkhauschefin Elke Lüdecke hängt am Handy. Wartet auf eine Beschwerdeentscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts.

Die Uhr tickt.

NPD-Mann Matthias Heyder ist siegessicher. Sieht sich schon in Augenhöhe mit den eingeladenen Parteien.

Soll sich der MDR zurückziehen? Denn die Volksstimme als privatrechtlicher Alleinveranstalter könnte die NPD-ler sofort vor die Tür setzen.

Doch zehn Minuten vor Ultimo sind alle Planspiele Makulatur: Das OVG in Bautzen hat entschieden: Die NPD kriegt an diesem Abend keinen Fuß in die Tür.

Doch scheint das noch nicht bis zu Heyder vorgedrungen zu sein. Er springt bei der Eröffnungsrunde aufs kleine Podest, auf dem sich die "großen Fünf" postiert haben. Posiert einige Sekunden linksaußen neben FDP-Mann Veit Wolpert.

Buhrufe aus dem vollbesetzten Saal. Pfiffe über Parteiengrenzen hinweg. "Nazis raus!" von den mehr als 700 Sitzplätzen, denen, die rechts und links davon auf dem Parkett sitzen, von den gut 100 Besuchern, die im Eingangsbereich stehen.

Der Veranstalter überreicht Heyder das Fax mit dem Gerichtsbeschluss. Aus der Traum vom großen Auftritt.

Doch die im Saal verstreuten Sympathisanten wollen sich noch nicht in das Unausweichliche fügen. Sie brüllen und gestikulieren gegen das Forum an. Wollen den Moderator übertönen.

Ein Eklat droht.

Doch erneut steht der Saal wie ein Mann. Die NPD sieht keinen Stich.

"Ich mache vom Hausrecht Gebrauch und verweise sie des Gebäudes", so die Ansage vom Podium.

Der Staatsschutz der Polizei im Saal per Handy: "Der Veranstalter macht von seinem Hausrecht Gebrauch ..." Einsatzbereitschaft!

Flammender Aufruf

Heyder und Anhang bleibt nur der Abgang. Ihr "Wir sehen uns wieder", verhallt im "Auf Wiederseeehn!" und "Gute Nacht!" der 1000.

Die Spitzenkandidaten vorerst nur auf der Leinwand – dann im Frage-und-Antwort-Spiel von MDR und Volksstimme.

Wulf Gallert (Linke) und Jens Bullerjahn (SPD) punkten. Reiner Haseloff (CDU) hat‘s schwer, Veit Wolpert (FDP) und Claudia Dalbert (Grüne) noch mehr.

Euphorischer Beifall, "Bravo"- genauso wie "Lügner"-Rufe. Die Zuhörer gehen mit. Kommentieren beinahe jeden Satz. Sind zufrieden oder unzufrieden. Je nach Standpunkt.

Zwischenrunde mit Saalfragen zum Diskussionsverlauf: "Die stellen sich doch bloß selbst dar. Langweilig", "Was Konkretes habe ich noch nicht gehört – was sie ändern wollen", "Kam noch nichts rum", "Alle wollen das Beste, aber wie?"

Eine Frau aus dem Publikum nutzt das Mikrofon für einen flammenden Aufruf: "Gehen Sie wählen – ganz gleich welchen der Fünf dort vorn. Aber nicht wählen zu gehen, das wäre falsch."

Schluss nach zwei Stunden und Fazit aus dem Publikum: es blieben viele Fragen offen. Meinung