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Spitzenkandidaten vor der Landtagswahl / Heute: Reiner Haseloff (CDU) Ein "Schwarzer Hasi" und das letzte Bollwerk gegen "die Kommunisten"

Von Michael Bock 16.03.2011, 05:28

Wirtschafts- und Arbeitsminister Reiner Haseloff ist Spitzenkandidat der CDU. Der 57-Jährige will Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, der nicht mehr antritt, im Amt beerben.

Magdeburg. Sind die Fußstapfen Wolfgang Böhmers nicht zu groß? Das ist eine dieser Fragen, die Reiner Haseloff so überhaupt nicht mag. "Meine Bekanntheitswerte sind höher als Böhmers vor dessen Wahl zum Ministerpräsidenten", sagt er trotzig. Auch Böhmer habe sich erst entwickeln müssen. Dann schiebt er schnell nach: "Ich habe größere Füße als Böhmer, Schuhgröße 43." Und überhaupt: "Es kommt nicht auf die Schuhgröße an, sondern auf das Profil. Ohne Profil rutscht man schnell aus."

Ja, mit dem Profil ist das so eine Sache. Böhmer hat Spuren hinterlassen. Er ist der Übervater der Partei, der unangefochtene Patriarch. Mit präsidialem Führungsstil, stoischer Ruhe und einer gewissen Eigenwilligkeit hat er sich viel Ansehen erworben. Er ist der "Herr Ministerpräsident", der "Herr Professor".

Haseloff hat mal gesagt: "Ich bin kein Böhmer light." Der promovierte Physiker ist für viele einfach nur "der Hasi". Das klingt putzig. Das weckt den Streichelreflex. Es gab tatsächlich mal Bestrebungen in der CDU-Landesspitze, den Kosenamen aus dem Unions-Sprachgebrauch zu streichen. Haseloff sagt: "Ich habe den Spitznamen schon seit meiner Kindheit. Als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium nannte man mich den ,Staats-Hasi’". Autorität kriegt man nicht durch das Verbot eines Spitznamens. Die muss man sich anders erarbeiten."

Haseloff ist ein harter, ein fleißiger Arbeiter, er hat sich entwickelt. Vor knapp einem Monat, es war beim Parteitag in Halle, erzählt Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Am Anfang habe ich gedacht, na ja, will er wirklich Ministerpräsident werden? Wenn man ihn über eine gewisse Zeit verfolgt, kann man sagen: Ja, er will." Und Böhmer sagt: "Von allen Anwärtern auf das Amt des Ministerpräsidenten ist er der am besten geeignete." Auf diese Worte des strengen politischen Ziehvaters hat Haseloff sehr, sehr lange gewartet. An jenem Tag wird er 57 Jahre. An jenem Tag will das Lächeln gar nicht mehr aus seinem Gesicht weichen.

Haseloff bringt langjährige Erfahrungen in der Parteiarbeit mit. 1976 tritt er in die damalige Blockpartei CDU ein. Nach der Wende wird er Stadtrat, Kreistagsmitglied, Mitglied im Landesvorstand. Die Sorgen und Nöte von Menschen, die ihren Job verloren haben, kennt er besser als viele andere: Von 1992 bis 2002 ist Haseloff Arbeitsamtsdirektor in Wittenberg.

Danach geht er als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium. Das Ministeramt übernimmt er nach der Wahl 2006. Er ist kreuz und quer im Land unterwegs, hat immer ein offenes Ohr für die Unternehmer und kümmert sich persönlich um die Firmen. Seine Zuverlässigkeit wird geschätzt, er gilt als ehrliche Haut. Es gibt kaum eine Betriebseröffnung oder Grundsteinlegung, bei der er sich nicht blicken lässt. Das war auch schon vor dem Landtagswahlkampf so.

"Es gibt eine lange Liste von Firmen, die ich vor der Insolvenz bewahrt habe", sagt er. Vieles geschieht geräuschlos. Manch einer nennt ihn schon "Mr. Überall".

Haseloff kommt zugute, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt seit geraumer Zeit positiv entwickelt: Die Arbeitslosigkeit ist niedriger als in den Vorjahren, auch die Zahl der Beschäftigten hat zugenommen. Haseloff will die Arbeitslosenquote im Land auf unter 10 Prozent drücken. Sachsen-Anhalt ist nicht mehr das Land der roten Laternen. Das wird auch dem Einsatz des Arbeitsministers zugeschrieben.

Von ihm stammt das bundesweit eingeführte Modell der Bürgerarbeit: gemeinnützige Arbeit bei erfolgloser Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt. "So haben wir 50 000 Menschen für drei Jahre in Arbeit gebracht", sagt Haseloff.

Er ist ein intelligenter, belesener Mann ("ich habe 5000 Bücher"), angenehm im persönlichen Umgang. Ein Volkstribun, der Bierzelte zum Kochen bringt, nein, das ist er nicht. Das will er auch gar nicht werden: "Ich bin, wie ich bin. Ich lasse mich nicht verbiegen." Haseloff ist ein Erklärer der ganz besonderen Art. Er dringt tief in Themen ein, er sieht Nuancen, argumentiert kompetent. Er neigt zu sehr ausgedehnten Antworten, ist detailverliebt; vieles, was bei der Frage noch ganz einfach schien, wird plötzlich fürchterlich kompliziert. Er denkt viele Sachverhalte parallel – und redet auch so. Da wird "politisch durchgesteuert", Probleme werden "identifiziert", alles Mögliche wird "umgeswitcht". Haseloff fragt in kleiner Runde: "Wie weit darf man Fachpolitik simplifizieren?" Seine Reden liefern die Antwort: am besten gar nicht! Nein, Vereinfachung ist sein Ding nicht. Für Haseloff, urteilt ein politischer Beobachter, "wurde der Begriff charismatisch nicht erfunden."

Manchmal überrascht er. Bei einem Parteitag vor einem Jahr spricht Haseloff kurz und knackig, er würzt seine Aussagen mit einer gehörigen Portion Witz. Mit Blick auf die Spitzenkandidatur sagt er seinerzeit: "Das wird kein Spaziergang, für mich sowieso nicht. Meine Frau ist vorsorglich mitgekommen, um zu erleben, wie man sozusagen sein Privatleben beenden kann."

Haseloff hat auch einen Hang zur Selbstironie: In Magdeburg hängt ein Riesenplakat mit seinem Bild und den Worten: "Unser Bester" (siehe Foto). Da steigt einem gleich Kaffeeduft in die Nase. Eine Zeitung schlug vor, den Kaffee "Black Hasi" zum Kandidaten anzubieten. Jetzt verteilt die Union im Wahlkampf Tütchen mit Mona-Kaffeepulver und einem Konterfei Haseloffs. "Black Hasi" ist – zumindest hier – der absolute Renner.

In der Partei ist er fester verankert als Böhmer, der die CDU oft schurigelte. Im Oktober wählte ihn ein Parteitag mit 97 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten. Ein sehr klares Votum für den Wittenberger, der selbst in den eigenen Reihen dafür kritisiert wird, oft zu zaudern und sich nicht festlegen zu wollen. Als Beispiel dafür wird gern angeführt, dass er ein 30-köpfiges Wahlkampfteam benannt hat.

Der Ruf eines Technokraten haftet ihm nach wie vor an. Technokrat – mit dieser Beschreibung kann der praktizierende Katholik überhaupt nichts anfangen. "Da wird ein völlig falsches Bild von mir wiedergegeben. Hören Sie sich doch mal in der CDU um. Da gelte ich bei vielen als Herz-Jesu-Marxist. Denen bin ich viel zu sozial, verfolge zu wenig die ordnungspolitische Linie der CDU." Er sagt: "Ich bin unter den Spitzenkandidaten das einzige Arbeiterkind. Wir waren wirklich arm." Aus dem Glauben zieht Haseloff Kraft: "Er gibt mir Rückhalt und Orientierung und lässt mich so manches durchstehen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass man scheitern kann, das Leben aber weitergehen kann und muss."

Ja, Haseloff wirkt dennoch auf viele kühl. Er, der Blackberry und iPhone kaum aus den Händen legt, den seine Frau als "Multitasking"-Mann bezeichnet. Er macht Wahlkampf mit Youtube, Twitter, Facebook.

Wer erleben will, wie der Fußballanhänger des FC Bayern München in Sekundenbruchteilen von null auf hundert schießt, braucht nur das Thema "Die Linke" anzutippen. Dann ist es aus mit der Contenance. Im Umgang mit den "Kommunisten" fehlt ihm die Gelassenheit Böhmers. Nein, man lasse sich von denen "einlullen", auch die Journalisten, schimpft er. "Die wollen den Systemwechsel, wir sind das letzte Bollwerk." Hochemotional wird Haseloff, verbissen.

Er hat den Kurs gegenüber der Linken verschärft. Beide liefern sich die zentrale Auseinandersetzung im Wahlkampf. Haseloff sagt: "Mir ist Deutschland zu schade für ein erneutes sozialistisches Experiment. Es ist für mich eine Herausforderung, das Land vor dem Zugriff der Linken zu bewahren."

Im Wahlkampf ist zu beobachten, dass der Wittenberger zuweilen gereizt und hektisch wirkt, dass er sich verzettelt, zu viele Termine übernimmt. Er sei gelegentlich unorganisiert, mache vieles mit sich selbst aus, heißt es in der eigenen Partei. Einige fühlen sich zu wenig in die Planungen Haseloffs eingebunden. Auch Böhmer, der jüngst die Wahlkampfführung der CDU rügte, kennt Haseloffs Terminplan nicht genau. Auf die Frage, wie es in diesen Wahlkampftagen denn so laufe, erhält man selbst von führenden Christdemokraten häufig die Antwort: "Privat gut ..." Haseloff, der eigentlich viel Wert auf Teamarbeit und einen kooperativen Führungsstil legt, steht oft als Einzelkämpfer da.

Auch in Wirtschaftskreisen regt sich Unmut: "Bei der CDU liegen die Nerven blank", sagen selbst manche, die es gut mit der Union meinen. Haseloffs finanziell nicht untersetztes Zehn-Punkte-Wunschprogramm, das er eine Woche vor der Landtagswahl vorgestellt hat, wird als "Aktionismus" empfunden. "Damit überholt er die Linken links", wird im kleinen Kreis kritisiert.

Auch der Koalitionspartner SPD schäumt: "Torschlusspanik im Wahlkampfendspurt." Haseloff verfüge "über keine seriöse Wahlkampfstrategie".

Bei aller Aufregung im Wahlkampf – seine innere Ruhe findet der Beatles-Fan in der Familie. Seiner Frau Gabriele, einer Zahnärztin, die im Wittenberger Stadtrat Vize-Fraktionsvorsitzende ist, schickt er täglich fünf, sechs SMS: "Damit sie weiß, wo ich gerade stecke." Manchmal auch nur, wie er sagt, um sie daran zu erinnern, dass die gelbe Tonne rausgestellt werden muss.