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Professor empfiehlt den Liberalen in vertraulicher Analyse: Priorität muss künftig nicht auf dem Konsens, sondern auf der Zuspitzung liegen Ex-Minister Paqué fordert neue FDP-Strategie

Von Michael Bock 05.04.2011, 06:28

Der frühere FDP-Finanzminister Karl-Heinz Paqué (2002 bis 2006) hat in einer als "vertraulich" eingestuften Analyse die Situation der sachsen-anhaltischen Liberalen beleuchtet. Das achtseitige Papier, das der Volksstimme vorliegt, soll einen Beitrag zur "überfälligen Strategiediskussion" (Paqué) innerhalb der Landes-FDP liefern.

Magdeburg. "Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität" – mit diesem Zitat des Sozialdemokraten Kurt Schumacher überschreibt Paqué seine Analyse.

Zur Realität gehört, dass die Liberalen bei der Landtagswahl am 20. März mit 3,8 Prozent der Zweitstimmen aus dem Parlament geflogen sind.

Paqué, der seit April 2008 Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist, beschreibt die Lage der FDP in der zurückliegenden Legislaturperiode (2006 bis 2011) so: "Die Zeit der parlamentarischen Opposition war durchweg geprägt von guter Arbeit der FDP-Landtagsfraktion. Das hohe fachliche Qualifikationsniveau und die rhetorische Präsenz der Parlamentarier im Plenum wurden weithin anerkannt."

Allerdings: "Trotz der guten fachlichen Landtagsarbeit, dem hohen Maß an Betriebsharmonie in Fraktion und Partei sowie dem fraktionsübergreifenden Respekt für das Führungsteam Veit Wolpert (Fraktionsvorsitzender, d. Red.) und Lydia Hüskens (Parlamentarische Geschäftsführerin, d. Red.) brachte die Landtagswahl ein sehr schlechtes Ergebnis."

Das führt Paqué im Wesentlichen auf vier Gründe zurück. So sei die politische Großwetterlage in Deutschland für die Landes-FDP "ungünstig" gewesen. Die Atomkatastrophe von Fukushima und die Reaktion der CDU/FDP-Bundesregierung darauf waren, so der Professor, "nicht hilfreich, für Sachsen-Anhalts FDP aber auch nicht wirklich entscheidend". Weit wichtiger sei die Entwicklung auf Bundesebene seit der Bundestagswahl 2009 gewesen. Paqué: "In diesen eineinhalb Jahren verlor die Bundes-FDP bei den Wählern sehr viel an Kredit, weil sie es bei zentralen Themen nicht schaffte, in der Regierungskoalition ihre liberalen Anliegen durchzusetzen. Und dort, wo sie es scheinbar schaffte, wurde es zu einem thematischen Fiasko wie bei der Mehrwertsteuervergünstigung für Hoteliers." Allerdings, so der 54-Jährige weiter, gab es in dieser Zeit "auch keinen beherzten Versuch der Landes-FDP oder der FDP-Landtagsfraktion, sich in irgendeiner Weise von der Politik der Bundes-FDP öffentlich abzusetzen".

"Eine Gruppe liberaler Funktionäre"

Nach Auffassung Paqués erwies sich die "fachlich gute Oppositionsarbeit im Landtag als völlig unbedeutend für die Wahrnehmung der FDP in der Öffentlichkeit". Dagegen sei klar erkennbar gewesen, dass die liberale Resonanz in der Breite abgenommen habe. "In bürgerlichen Kreisen jedenfalls wurde sie immer weniger wahrgenommen", schreibt Paqué. "Die ,Feldarbeit’, also vor allem die Gespräche mit Multiplikatoren und den Vertretern FDP-affiner Mi- lieus des Mittelstandes, rückte eher an den Rand. Schon bei öffentlichen Veranstaltungen der Fraktion und der Partei war in den letzten Jahren erkennbar, dass Zahl und Dichte der Kontakte abnahmen. Zunehmend entstand der Eindruck, die Fraktion sei eine Gruppe ,liberaler Funktionäre’ – fachlich gut, parlamentarisch fleißig, aber nicht nach außen orientiert."

Paqué, der im Jahr 2002 die Liberalen im Zusammenspiel mit Cornelia Pieper nach einem fulminanten Wahlkampf mit 13,3 Prozent in den Landtag gebracht hatte, kritisiert jetzt: "Es fehlte im Wahlkampf (und auch schon davor) fast ganz an markanten Themen, die zu einem Markenzeichen der FDP hätten werden können, um die Menschen zu motivieren, liberal zu wählen. Es fehlte an kraftvollen Botschaften, die sich auf die Zukunft des Landes richten – sei es in Form von konkreten positiven Zielen oder aggressiven Warnungen vor Fehlentwicklungen. Der Wahlkampf wirkte hilflos, bis hin zu der Plakatierung von Gemeinplätzen ("Leidenschaft") und zuletzt dem Rückgriff auf das Bild des Bundesaußenministers a.D. Hans-Dietrich Genscher ("Einer von uns")."

Auch zum Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten Veit Wolpert äußert sich Paqué. "Der Spitzenkandidat war viel zu wenig bekannt", meint er. "Und soweit er bekannt war, wurde Veit Wolpert wahrgenommen als ein honoriger, kompetenter Jurist, der durchaus in einem Kabinett als Innen- oder Justizminister oder als Landtagspräsident eine gute Figur machen würde. Gerade die starke Anerkennung in der Presse und beim politischen Gegner ließen Zweifel aufkommen, ob hier der nötige Schwellenwert an Charisma als Identifikationsfigur für einen landesweiten liberalen Durchbruch vorhanden war. Anders als ein Regierungsmitglied in Verantwortung braucht ein Spitzenkandidat der Opposition eben mehr als Seriosität; er muss die Gesellschaft mindestens gedanklich beschäftigen, wenn nötig auch spalten, bestenfalls aufregen und faszinieren."

Nehme man das alles zusammen, könne das sehr schlechte Wahlergebnis kaum überraschen, auch wenn das Ausmaß der "Bestrafung" durch die Wähler doch bestürzend sei, schlussfolgert Paqué.

"Substanz des Landesverbandes ist aufgebraucht"

Der Ausblick des Professors fällt ausgesprochen nüchtern aus: "Die politische Substanz des Landesverbandes aus der Vergangenheit ist aufgebraucht. Eine völlig neue Substanz muss aufgebaut werden. Das ist eine gigantische Aufgabe." Die Entwicklung habe eindeutig gezeigt, was dabei herauskomme, wenn die Partei keine markanten Themen, Botschaften und Personen habe, über die in der Öffentlichkeit – durchaus kontrovers – diskutiert werde.

Paqué: "Die FDP kann sich Langeweile nicht leisten, in den nächsten Jahren noch viel weniger als in den vergangenen. ,Politik, nicht politischer Dienst’, so muss intern das Motto der FDP lauten." Gerade in der außerparlamentarischen Diskussion sei es deshalb in den nächsten Jahren von zentraler Bedeutung, "dass die Priorität nicht auf dem Konsens, sondern auf der Zuspitzung liegen muss. Zentrale Themen, politische Botschaften und führende Personen müssen so ausgewählt werden, dass sie die Öffentlichkeit aufregen und gegebenenfalls auch spalten."

Gute Angriffsflächen bieten sich aus der Sicht Paqués vor allem beim Thema Bildung. "Die Erfahrungen (so zuletzt in Hamburg) zeigen, dass bei kaum einem anderen Thema die Emotionalisierung der Bürger stärker ist. Gerade ,klassische’ CDU-Wähler haben keinerlei Verständnis dafür, wenn ihre Partei in dieser Hinsicht weitgehende Kompromisse macht und deshalb auf längere Sicht die Zukunft des Gymnasiums aufs Spiel setzt." Die FDP könne bereitstehen, "den Widerstand gegen allfällige Reformen dieser Art außerparlamentarisch zu unterstützen und zu organisieren – bis hin zu Volks-initiativen".

Strategisch wichtig sei dabei: "Alle liberalen Themenschwerpunkte müssen sich zusammenfügen zu einem markanten Bild, in dem die FDP zum umfassenden Verteidiger und Fürsprecher der Werte des bürgerlichen Mittelstands wird. Ein solcher Mittelstand wächst auch in Sachsen-Anhalt, und er sucht eine politische Heimat. Es wird der CDU in der Koalition mit der SPD in den nächsten Jahren zunehmend schwerfallen, sich als diese Heimat darzustellen."

Eine solche Neuorientierung, so Paqué, "verlangt eine personelle Veränderung an der Spitze der Landes-FDP". Am 9. April wählen die Liberalen einen neuen Landesvorstand. Die bisherige Landesvorsitzende Cornelia Pieper hat bereits angekündigt, sie werde nicht mehr antreten. Es wird eine Kampfabstimmung um den Landesvorsitz zwischen Veit Wolpert und Ex-Sozialminister Gerry Kley geben.

Paqué positioniert sich in der Führungsfrage eindeutig. Wolpert, so sagt er, sei für diese Aufgabe "nicht geeignet", denn: "Er ist im jüngsten Wahlkampf mit einer ganz anderen, nämlich konsensorientierten Strategie gescheitert. Eine strategische Umorientierung könnte Veit Wolpert nicht glaubhaft vertreten."

Paqué setzt auf den Hallenser Gerry Kley. Nur dieser bringe in der Führungsriege der FDP "derzeit die Voraussetzungen mit, um die neue Strategie aufs Gleis zu setzen und die schwierige organisatorische Aufgabe zumindest anzugehen". Er sei ein ausgewiesener Bildungspolitiker, der vor keiner Zuspitzung zurückschrecke. Paqué: "Seine kantige Art könnte durchaus helfen, der Strategie die nötige Durchschlagskraft zu sichern."