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Landgericht Magdeburg verhandelt gegen vier junge Männer / Staatsanwaltschaft wirft Quartett 15 Taten vor "Hausdiener" Tim gequält, erniedrigt und zum Stehlen gezwungen

Von Bernd Kaufholz 14.05.2011, 04:28

Magdeburg. So unterschiedlich die Aussagen der vier jungen Männer zu den angeklagten Taten gestern auch waren, in einem glichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Sie seien jeden Tag "breit gewesen", äußerten sie vor der 2. Großen Strafkammer des Magdeburger Landgerichts. Sie hätten gerade in jener Zeit vor drei Jahren Drogen und Alkohol in Mengen geschluckt, so dass sie sich an konkrete Vorfälle im Sommer 2008 überhaupt nicht mehr erinnern könnten.

Und das ist schon eine Leistung. Denn die Liste mit den Anklagepunkten ist ebenso lang wie einige der 15 Taten unbegreiflich sind.

Florian B. (21), Tobias S. (25), Patrick K. (24) und Norman A. (27) sollen zwischen dem 18. Juni und 19. Juli 2008 ihren "Hausdiener" Tim (21) in Magdeburg misshandelt, genötigt, bedroht, der Freiheit beraubt und zu Diebstählen getrieben haben, so Staatsanwältin Barbara Schulte-Frühling. Und das in unterschiedlicher Tatbeteiligung.

"Schwächstes Glied"

In der Nacht vom 18. zum 19. Juni sei der 21-Jährige, "das schwächste Glied in der Kette", wie Tim von den beiden Hauptangeklagten B. und S. gestern bezeichnet wurde, geschlagen und getreten worden. Der Streit soll wegen "qualitativ schlechter Drogen" ausgebrochen sein.

Das Opfer sei zudem gezwungen worden, seine EC-Karte und PIN herauszugeben. Damit ausgerüstet, ist Geld vom Tims Konto abgehoben worden.

Am 20. Juni sei die Tortur – diesmal in der Wohnung des Opfers – weitergegangen. Er könne sich sein "Grab schaufeln", wenn er abhaue, sei ihm angekündigt worden.

Am 17. Juli soll Tim dann mit Paketklebeband an einen Stuhl gefesselt worden sein. Später sei er mit einem Cuttermesser bis auf den Balkon getrieben worden, wo er mit der Klinge verletzt wurde. S. habe ihm dann noch ein Küchenmesser ins Bein gerammt. Die weiteren Vorwürfe: Tims Hand wurde über einem brennenden Feuerzeug festgehalten, er wurde mit Alkohol übergossen, und im Bad gezwungen, ein Glas voll Urin zu trinken. Er wurde mit einem Besenstiel geschlagen und mit Urin übergossen. Es wurden 500 Euro von ihm verlangt ("Sonst schneiden wir dir einen Finger ab") und er wurde mit massiven Schlägen zu Diebstählen angestiftet (Schnaps, Lederbauchtasche, Autoeinbrüche). Außerdem sollen die Angeklagten Tim gezwungen haben, Handyverträge abzuschließen und ihnen die Mobiltelefone zu übergeben.

Alle vier Angeklagten äußerten sich gestern zu den Vorwürfen. Der vom langjährigen Drogenkonsum gezeichnete Florian B. listete seinen damaligen Tageskonsum auf. Und diese Aufzählung veranlasste den anwesenden Gutachter zu den Worten: "Eine erstaunliche Drogenmenge": 15 bis 20 Gramm Cannabis, 4 bis 5 Gramm Speed, Amphetamine, Ecstasy, Kokain und LSD.

"Gruppenleben"

Der unruhig wirkende 21-Jährige beschrieb die Zeit vor drei Jahren als "gemeinsames Gruppenleben", an dem auch das Opfer teilgenommen habe. Die "Partywohnung" sei das Domizil für gemeinsamen Drogenkonsum gewesen. Und dafür habe man Geld gebraucht.

An Einzelheiten könne er sich nicht mehr erinnern. Allerdings bezeichnete er den rechts neben ihm sitzenden Tobias S. als "Rädelsführer".

Das mit der EC-Karte habe er "nur am Rande mitgekriegt", dass er geschlagen habe, daran könne er sich nicht erinnern. Es sei aber auch nicht auszuschließen.

Die Sache mit dem Feuerzeug gehe auf das Konto von Tobias S. und Norman A., so der Angeklagte, der seit seinem 10. Lebensjahr Cannabis raucht, wie er sagte. Mehr als 100 Euro pro Tag habe seine Sucht gekostet. Das Geld dafür? "Geklaut."

Der zweite Hauptangeklagte hatte ebenso viele Gedächtnislücken, hob jedoch hervor, dass er inzwischen ein ordentliches Leben führe: "Nachts Omas überfallen und so ‘nen Scheiß" sei vorbei.

2008 sei schlimm gewesen: "Wir haben uns vor Langeweile sogar Gras (Marihuana) in die Bolognese-Soße gestreut."

Seine Grundaussage: "Ich will mich nicht als Unschuldslamm darstellen, aber ich weiß nichts mehr." Es komme ihm so vor, als ob ihm "das Krasseste in die Schuhe geschoben werden soll". Woran er sich denn überhaupt noch erinnere, wollte Richterin Ina Lüer wissen. Die kurze Antwort: "An nix."

Die Diebstähle räumte er jedoch ein. "Wir sind spazieren gegangen und haben mitgenommen, was rumstand."

Auch die beiden anderen Angeklagten waren eine einzige große Gedächtnislücke. Wobei jedoch jetzt schon klar zu sein scheint, dass ihre Tatbeteiligung als geringer zu bewerten ist.