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Bedrohliche Situation in vielen Dörfern südlich von Schönebeck / Stadt Calbe sagt Neujahrsempfang ab Hochwasser von vorn, Drängwasser von hinten

Von Oliver Schlicht, Daniel Wrüske, Thomas Linßner und Andreas Pinkert 18.01.2011, 04:25

Die Hochwassersituation südlich von Schönebeck spitzt sich zu. Im Unterschied zur Lage im Sommer 2002 geht die Gefahr diesmal weniger von den Flüssen Elbe und Saale direkt aus, sondern von Dräng- und Grundwasser, das vom Hinterland kommend mehrere Ortschaften bedroht.

Schönebeck. Im kleinen Ort Tornitz an der Saale unweit von Calbe herrscht Ausnahmezustand. Gleich am Ortseingang steht die Feuerwehr und pumpt das bedrohlich nah an den Gehöften stehende Wasser von einem Feld ab. Nur 100 Meter weiter wurde am Straßenrand Sand abgekippt. Frauen und junge Männer der Jugendfeuerwehr schippen Sandsäcke voll und stapeln sie auf Holzpaletten. Steven erzählt: "Wir haben schulfrei, um hier mithelfen zu können." Seit acht Uhr früh schippen sie nun schon. Die gefüllten Säcke werden dringend gebraucht.

Ein Haus musste in Tornitz bereits geräumt werden. Inzwischen bedroht das Drängwasser von den umliegenden Feldern auch andere Grundstücke. Das Haus von Familie Schütze ist fast komplett von der dreckigen Brühe umgeben. Sohn Maik und Vater Michael haben eine kleine Mauer von Sandsäcken und Folien gebaut. "Mein Haus hat glücklicherweise keinen Keller", erzählt der Vater.

30 000 Euro Schaden

Aber das ganze Erdgeschoss im Gebäude wird mit einer Fußbodenheizung beheizt. "Da ist kein Beton drüber, sondern ein Spezialestrich. Wenn da das Wasser hinkommt, habe ich einen Schaden von 30 000 Euro", sorgt sich Michael Schütze. Nicht ohne Grund. Denn das Wasser steht nur noch etwa drei Meter von seiner Wohnzimmertür entfernt. Die Gräben hinten auf den Feldern in Richtung Glinde seien nicht ausreichend gesäubert worden, glaubt Schütze: "Wenn das richtig freigehalten worden wäre, würde das Wasser uns hier in Tornitz nicht bedrohen."

Zur Ableitung des Drängwassers in den Gebieten von Tornitz, Barby, Pömmelte und Glinde kommt dem Langen Siel bei Glinde eine besondere Bedeutung zu. Hier mündet der Landgraben in den sogenannten Buschhauspolder, der durch einen Sommerdeich von der Elbe abgetrennt ist. Im Hochwasserstab der Einheitsgemeinde Barby zieht man den Einsatz von Hochleistungspumpen in Betracht, um das Hinterland noch effektiver zu entwässern. "Sie sollten zumindest schon deswegen aufgebaut werden, um den Drängwasserpegel wenigstens zu halten", sagt Glindes Ortsbürgermeister Norbert Langoff (parteilos) gestern. In Glinde steht, wie in vielen Kellern der Einheitsgemeinde Barby, das Wasser zentimeterhoch.

Der Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) sieht für den Einsatz solcher Hochleistungspumpen jedoch derzeit noch keine Notwendigkeit. "Es ist in den Poldern noch genügend Raum", so der LHW-Flussbereichsleiter Christian Jung. Außerdem fließe der Landgraben noch auf natürliche Weise durch das Siel.

In Calbe wird gestern vorsorglich die Heger-Sporthalle als Evakuierungsstätte hergerichtet. 100 Betten stehen dort zur Verfügung. Auf der Saale ist der Fährbetrieb inzwischen eingestellt. Einige Bürger aus Tippelskirchen und Gottesgnaden hatten ihre Häuser verlassen. Eine Familie aus Gottesgnaden wird evakuiert und in eine dafür bereitgestellte Wohnung der Calbenser Wohnungsbaugesellschaft gebracht. Teile der Saaleinsel Gottesgnaden werden überschwemmt, genau wie das Naherholungsgebiet "Grüne Lunge", das Bootshaus, die Tennisanlage, Reitsport- und Fußballplätze und viele Grundstücke von Calbensern. In gefährdeten Gebieten von Calbe wird die Straßenbeleuchtung abgestellt. Der Abwasserzweckverband "Saalemündung" pumpt derzeit täglich 12 000 Kubikmeter Drängwasser aus dem Stadtgebiet.

Alarmstufe 4 in Calbe

Der Pegel der Saale übersteigt gestern Abend die neun Meter. Das bedeutet Alarmstufe 4. Der Salzlandkreis hat für Calbe aber dennoch bislang keinen Katastrophenalarm ausgerufen. Doch in Calbe sieht man den nächsten Tagen mit Sorge entgegen. Die Stadt hat ihren Neujahrsempfang abgesagt. Die Prognosen gehen von einem Pegel von bis zu 9,25 Meter aus. Dann wäre das Hochwasser höher als in den Jahren 2003 und 1994.

Auch die Stadt Schönebeck rüstet sich. Gestern wurde dort erstmals der "Stab für Außergewöhnliche Ereignisse" einberufen. In ihm wird die weitere Hochwasserlage koordiniert. Dabei geht es zunächst darum, die Deiche auf einer Länge von rund 26 Kilometern in regelmäßigen Abständen verstärkt zu kontrollieren. Zu Kontrollgänge unterwegs sind zunächst Stadtbedienstete und Stadträte. Doch das wird nicht reichen. Das Rathaus ruft gestern Freiwillige auf, sich an den Kontrollgängen entlang der Deiche zu beteiligen.

Am Elbepegel Barby wird am Montag ein Wert von 6,13 Metern gemessen, was weiterhin die Alarmstufe 3 bedeutet. Schon in den vergangenen Tagen hatte die Wasserwehr die mobilen Schutzwände am Schönebecker Innenstadt-Elbufer aufgebaut. Im Stadtteil Grünewalde werden seit gestern Stege errichtet, damit Anlieger trockenen Fußes ihre Häuser erreichen.

In Frohse arbeitet die Stadt indessen eng mit der dortigen Freiwilligen Feuerwehr zusammen, um vorbereitende Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. "Die Lage insgesamt ist in Schönebeck bisher stabil. Das Ziehen des Pretziener Wehres hat dazu beigetragen", sagt Stadtsprecher Hans-Peter Wannewitz. Am Sonnabend hatte das Ziehen der Wehranlage die Lage an der Elbe nicht nur in Magdeburg, sondern auch in Schönebeck entspannt.

Drängwasser von den Fel-dern bedroht allerdings auch Randgebiete von Schönebeck. Durch den Rückstau des Wassers im Solegraben kann es zu Überschwemmungen vor allem in vielen Gartenanlagen kommen, warnt das Schönebecker Rathaus.