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In Magdeburg entsteht das erste stationäre Kinderhospiz Sachsen-Anhalts - Neuland für alle Beteiligten. Von Andreas Stein Kinderhospiz: Auch Kinder müssen sterben

06.07.2012, 03:20

Wenn am Montag bei Pfeiffers in Magdeburg der Grundstein für das erste stationäre Kinderhospiz Sachsen-Anhalts gelegt wird, ist das auch ein Sieg für Tabea Friedersdorf. Seit Jahren kämpft sie dafür, dass Tod und Sterben kein Tabu mehr sind. Mit Erfolg.

Magdeburg l Der Tod. Ohne ihn gäbe es kein Leben, und doch blenden die meisten Menschen das Ende der eigenen körperlichen Existenz selbst im Angesicht der Vergänglichkeit um sie herum konsequent aus. Bis das Ende naht. "Der Tod ist die absolute Beleidigung des Menschen und seiner Fantasie von der Allmächtigkeit", sagt Christoph Radbruch, Vorstand und Vorstandsvorsitzender der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg. Früher, als Tote noch zu Hause aufgebahrt wurden, habe das Sterben selbstverständlich zum Alltag gehört. Im Fortschrittsdenken der Moderne soll der Tod keinen Platz mehr haben - die Menschen reizen die Möglichkeiten von Medizin und Technik immer mehr aus, werden immer älter. Und sterben am Ende doch.

Auf dem Stiftungsgelände von Pfeiffers, in den roten Backsteinmauern des Luisenhauses, arbeitet Tabea Friedersdorf. Für sie und ihre Mitarbeiter ist der Tod ein alter Bekannter: Man grüßt ihn freundlich, statt die Augen vor ihm zu verschließen. Hier gibt es seit mittlerweile neun Jahren ein stationäres Hospiz für Erwachsene. Hunderte Schwerstkranke und Sterbende sind in dieser Zeit gekommen und nach ein paar Stunden, Tagen, Wochen oder Monaten wieder gegangen. Die Kapazitäten sind nahezu ausgelastet, die Wartelisten lang.

Tabea Friederdorf ist vom ersten Tag an dabei und hat mittlerweile das nächste Ziel ins Auge gefasst: Den Aufbau des ersten stationären Kinderhospizes in Sachsen-Anhalt. Nicht auf der grünen Wiese, sondern unter dem Dach des Luisenhauses sollen Ober- und Dachgeschoss bis November 2012 für 900000 Euro ausgebaut werden. Das Kinderhospiz hat einen anderen Anspruch als das der Erwachsenen, sagt sie: "Unten versterben die Leute. Die Kinder gehen zum Sterben nach Hause." Das Kinderhospiz soll darum eher eine Einrichtung zum Auftanken für die Eltern sein - und zum Lösen vom Kind, je nach Bedürfnis.

Fünf Zimmer mit acht flexiblen Betten soll es geben, zeigt die Hospizleiterin großformatige Bauzeichnungen. Ein Snoezelraum, eine Wohlfühloase mit Whirlpool und Beregnung, Wintergarten und Spielzimmer, ein großer Balkon, im Dachgeschoss ein Lager und die Besucherzimmer für Angehörige - Tabea Friedersdorf sieht die Räume schon vor ihrem geistigen Auge. Und auch sie wird als Bereichsleiterin dort ein Büro beziehen.

Wer genau hinhört, erkennt ein Sächseln, und in der Tat: Die 54-Jährige und ihr Mann stammen aus dem sächsischen Erzgebirge. In die Region Magdeburg kam die Familie, weil Friedersdorf hier eine Teeküche für Alkoholkranke aufbauen wollten. Das Soziale zieht sich durch das Leben der vierfachen Mutter und dreifachen Oma wie ein roter Faden.

Nach der Wende lebte die Familie mit Jugendlichen in einem Wohnprojekt in Wahlitz, Ortsteil von Gommern (Jerichower Land). Tabea Friedersdorf, die eine Ausbildung als Krankenschwester und kirchliche Fürsorgerin hat, arbeitete später als ambulante Krankenschwester und fand ihre Bestimmung, als die Pfeifferschen Stiftungen die Einrichtung des stationären Erwachsenen-Hospizes planten.

Zehn Jahre später steht Tabea Friedersdorf noch einmal vor einem Neuanfang: Ihr obliegt der Aufbau des Kinderhospizes. "Ich finde es toll, diese Idee zu verwirklichen und bin gespannt darauf", sagt sie. "Das ist eine Idee, für die ich lebe." Wenn man etwas wolle, finde man auch Wege, ist die forsche Blondine überzeugt und kämpfte beherzt für das Kinderhospiz - auch gegen Widerstände und Skepsis in der Öffentlichkeit.

"Das Kinderhospiz ist eine Idee, für die ich lebe."

Tabea Friedersdorf, Hospizleiterin

"Erst hieß es, dafür gäbe es keinen Bedarf. Aber er ist da. Es gibt Kinder in Magdeburg, die nicht so versorgt werden, wie sie versorgt werden sollten", ist Tabea Friedersdorf sicher. Eltern schwerst mehrfach behinderter Kinder fragten an beim Jugendamt der Stadt, beim Pfeifferschen Kinder- und Jugendheim Arche Noah, im Erwachsenen-Hospiz. "Die Bürger haben mich angepiekt", sagt Friedersdorf und lacht. Für ihren Chef Christoph Radbruch ist es nicht eine Frage des Bedarfs. Der sei da. Diskutiert werde höchstens die Bettenzahl. "Das Kinderhospiz ist bei uns Stiftungsthema. Da geben wir auch Stiftungsgelder rein", betont er. Die Wirtschaftlichkeit sei für ihn nur soweit von Belang, dass am Ende eine "schwarze Null" stehe.

Und das ist eine Herausforderung: Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung im Kinderhospiz ist teuer und aufwändig. Zwar zahlen die Krankenkassen für die medizinische Versorgung der Kinder, doch den Rest muss die Stiftung alleine tragen. 80000 Euro an Spendengeldern, rechnet Radbruch vor, sind jährlich für den Betrieb des Kinderhospizes nötig. Für den Ausbau sprudeln die Gaben indes nur so. 570000 Euro sind bereits zusammengekommen, 4813 Privatleute und 344 Firmen haben Geld gegeben. "Der Rückhalt in Magdeburg ist groß", freut sich Radbruch.

Dabei ist das Kinderhospiz noch wesentlich preiswerter zu betreiben als vergleichbare Einrichtungen, denn "Pfeiffers" lebt viel von Synergieeffekten. So kommt das Essen aus der Zentralküche, Musiktherapeuten und Kinderpsychologen aus anderen Einrichtungen der Stiftungen. Pflegepersonal ist bereits ausgebildet, gebraucht würden noch Pädagogen und Kinderkrankenschwestern.

"Wir profitieren definitiv von der Kompetenz und den Erfahrungen des bestehenden Hospizes. Ohne die hätten wir uns ans Kinderhospiz nicht rangetraut", sagt Vorsteher Christoph Radbruch. Den Hut vor den Hospizmachern zieht auch Professor Gerhard Jorch, Leiter der Universitätskinderklinik: "Kinder haben ihr Leben eigentlich vor und nicht wie viele ältere Erwachsene hinter sich. Das macht einen gewichtigen Unterschied aus", sagt er. Jorchs Klinik mit der Kinderintensivstation ist in Notfällen erster Ansprechpartner der Hospizmitarbeiter. "Die schwerkranken Patienten können bei Infekten, Krampfanfällen, Atemnot und Herzkreislaufproblemen immer wieder entgleisen."

"Was jetzt geschaffen wird, ist der letzte Baustein", sagt Tabea Friedersdorf. Die heilende Behandlung erfolgt im Krankenhaus, im Elternhaus die ambulante Pflege der Kinder. Nun wird es auch ein Hospiz geben, das die Eltern und Geschwister entlastet - zumindest vorübergehend. Dabei wollen sich die Pfeifferschen Stiftungen auch mit den SAPV-Netzwerken und ambulanten Hospizdiensten vernetzen, die eine ehrenamtliche seelsorgerische Begleitung anbieten. "Wenn die Qualität stimmt, darf es bei diesem Thema keine Konkurrenz geben", betont Christoph Radbruch. Nur wenn alle zusammenarbeiten und es ein Raster mit eindeutigen Zuständigkeiten gibt, werden Eltern kranker Kinder nicht zwischen den Institutionen zerrieben, ist Tabea Friedersdorf überzeugt.

Ist der Tod eines Kindes schlimmer als der eines Erwachsenen? "Der Schmerz der Angehörigen ist bei Tod eines 40-Jährigen genauso groß wie bei Zweijährigen. Da gibt es keine Wertigkeit", sagt Friedersdorf. Die Begleitung werde genauso herausfordernd. "Aber wir sind auch nicht auf Rettung gepolt. Wir wissen, dass wir palliativ arbeiten und die Kinder sterben." Im Kinderhospiz könnte es das eigene Kind sein, bei den Erwachsenen der eigene Mann, Vater oder Bruder. "Oder ich selbst", sagt Tabea Friedersdorf nachdenklich. Christoph Radbruch weiß: "Bei sterbenden Kindern ist das Ohnmachtsgefühl der Eltern noch größer."

"Die Grundfrage ist immer die gleiche: Was wird mit uns?"

Christoph Radbruch, Pfeiffers

Anteilnahme ist wichtig, professioneller Abstand noch wichtiger. Tabea Friedersdorf nimmt deshalb grundsätzlich keine Arbeit mit nach Hause. Die psychische Selbsthygiene, Supervision und Reflexion im Team seien das A und O. Ist der eigene Tod ein Thema für sie? "Jeder hat die Wahl, sich mit dem Thema zu beschäftigen oder auch nicht. Ich gehe nicht mal zum Arzt", sagt Friedersdorf im Scherz.

Sie ist gespannt, wie das Kinderhospiz angenommen wird, denn Ärzte, Pfleger und allen voran Eltern kämpften mit vielen ungeklärten Fragen: Wann gelten Therapien bei Kindern als ausgeschöpft? Dürfen die Kinder selbst entscheiden, ob und wie sie noch behandelt werden oder verlangen die Eltern in ihrer Verzweiflung doch wieder eine kurative Behandlung? "Solche Fragen können Familien ins Schleudern bringen", weiß Tabea Friedersdorf. Das Erwachsenenhospiz war nach einer Woche voll. Bei den Kindern werde das nicht so schnell gehen. Dennoch: "Jeder Mensch hat das Recht, vernünftig versorgt zu werden", sagt sie. Auch und gerade die Kinder. Dafür wolle sie in den nächsten Jahren kämpfen.

Für Christoph Radbruch ist Tabea Friedersdorf etwas Besonderes. "Sie brennt für den Hospizgedanken und hat das Thema Kinderhospiz zusammen mit den Mitarbeitern wachgehalten", lobt er. In zehn Jahren, so hoffen beide, sind Magdeburg und der Norden Sachsen-Anhalts ausreichend mit palliativmedizinischen Angeboten versorgt, Netzwerke etabliert. Der Tod, ist Vorsteher Radbruch sicher, werde die Menschen trotz allen Fortschritts auch in Zukunft beschäftigen. "Es ist die Grundfrage unserer Existenz: Was wird mit uns?"