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Podiumsdiskussion zum Thema " 20 Jahre friedliche Revolution – eine Bilanz " Der siebte und der achte Gast

Von Georg Kern 07.11.2009, 04:51

Zwanzig Jahre Mauerfall – Ihre Bilanz bitte.

Uff, es ist schon ein weites Thema, über das am Donnerstagabend sechs Podiumsgäste der Konrad-Adenauer-Stiftung im Magdeburger Ratswaagehotel debattieren. 20 Jahre Mauerfall – wo fängt man da an ? Bei Menschenrechten ? Wirtschaft ? Umweltschutz ?

Moderatorin Susanne Arlt, Journalistin beim Deutschlandfunk, löst das Problem charmant : Zunächst fragt sie, wie Podiumsteilnehmer den Mauerfall erlebt hätten. Sie hätte das historische Ereignis schlicht verschlafen, sagt Sabine Bergmann-Pohl, die 1990 zur Präsidentin der demokratisch gewählten Volkskammer wurde, und bringt damit die rund 100 Besucher zum Kichern.

Besonders bewegend aber die Ausführungen Rainer Prachtls, lange Jahre Landtagspräsident in Mecklenburg-Vorpommern. Aus " bestimmten Gründen " könnten er und seine Frau keine Kinder kriegen, erläutert er. Lange hätten sich die beiden in der DDR daher bemüht, ein Kind zu adoptieren. " Nie hat es geklappt. " Er habe sich immer wieder gefragt warum, bis ihm jemand gesteckt habe : Als aktiver Katholik habe er keine Chance auf ein Kind. Man habe ihm gesagt : " In der DDR suchen sich die Kinder immer noch ihre Eltern aus und nicht umgekehrt. "

Es sind vor allem persönliche Anekdoten, von denen die Veranstaltung anfangs lebt. Aber ist das erstaunlich ? Der 9. November 1989 – er ist eben nicht nur der Aufstand der Massen. Er ist auch ein extrem persönliches Datum. Jeder Ostdeutsche, der damals schon klar denken konnte, vermag wohl zu sagen, wie er den 9. November erlebt hat. Es sei eben nicht nur schön gewesen, sagt Bergmann-Pohl einmal, sondern auch " irrwitzig ".

Das sitzen sie, sechs Gäste und die Moderatorin, oben auf der Bühne. Und manchmal scheint es, als sei die Erleichterung im Saal mit den Händen zu greifen. Sie ist der siebte Gast heute Abend. Man meint zwischendurch, der 9. November 1989 sei erst gestern gewesen.

Und damals, so erinnert sich Stephan Hilsberg, sei es undenkbar gewesen, dass jemand, dessen Stasi-Tätigkeit bekannt gewesen sei, in ein demokratisches Gremium gewählt wird. Hilsberg muss es wissen. Er trieb die Wende aktiv voran, als Mitgründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR ( SDP ) und als Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer. Heute sei das anders, und das enttäusche ihn sehr.

Da ist er plötzlich – der achte Podiumsgast heute Abend. Die Debatte drohte schon, ins Gefühlsduselige zu kippen. Und dann steht der Zweifel auf der Bühne. Er kommt mit der Frage, weshalb viele Ostdeutsche heute so politikverdrossen sind, wenn sie sich zur Wende doch so sehr Mitsprache gewünscht hätten. Er kommt mit der Debatte über die Erfolge der Linken im Osten und weshalb DDR-Geschichte heute oft so positiv bewertet werde.

" Da kann man gar nicht tief genug nach den Ursachen forschen ", entfährt es dem SPD-Politiker Hilsberg fast spontan. Die Debatte streift die Aufarbeitung der NS-Geschichte in der DDR. Jemand bemerkt, dass man in Ostdeutschland Selbstkritik nicht so eingeübt habe wie im Westen. Aber das sei ja auch leicht gesagt, erläutert Curt Becker, Ex-Justizminister von Sachsen-Anhalt. Der Zweite Weltkrieg sei eben viel länger her als der Mauerfall. Da seien noch viele Wunden frisch.

Politikverdrossenheit als Folge mangelnder Selbstkritik ? Das will dann auch Rainer Jork, ebenfalls einst Mitglied der demokratisch gewählten Volkskammer, nicht so stehen lassen. " Ich bin gar nicht glücklich darüber, wer heute in die Politik geht. Ich wünsche mir eine andere Zusammensetzung der Parlamente. " Sie müssten wieder zum Querschnitt der Bevölkerung werden.

Hilsberg stimmt zu, beklagt aber, dass gerade in den ländlichen Regionen engagierte Menschen fehlten. " Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir leistungsfähige demokratische Institutionen haben, haben wir ein Problem. "

Den Erfolg der Linken begründet Hildigund Neubert, Thüringens Stasiunterlagen-Beauftragte, übrigens auch mit der Personalie Manfred Stolpe. Nachdem der SPD-Politiker wegen seiner Stasi-Kontakte angegriffen worden war, habe er eine folgenreiche Verteidigungsstrategie aufgebaut, die Neubert so beschreibt : " Wer über Stasi redet, macht alle DDR-Bürger schlecht. " Diese Argumentation wirke bis heute spaltend zwischen Ost und West.

Ist in Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall also das zusammengewachsen, was, wie Willy Brandt sagte, zusammen gehört ? Mit einigen Abstrichen ja – da ist sich die Runde am Ende einig. Zweifler sollten sich doch bitte ernsthaft an die desolaten Verhältnisse in der DDR erinnern, sagt Bergmann-Pohl. Alles andere sei Schönfärberei, und die meisten wüssten das.

Da hat der achte Gast das Podium längst wieder verlassen.