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Schüler rätseln Was war doch gleich die DDR?

Die Ostdeutschen schrieben Geschichte, als sie 1989 die SED-Herrschaft stürzten und die Nachkriegs-Teilung Deutschlands beendeten. Doch nur 25 Jahre später wissen Schüler nur wenig über das System von gestern.

Von Hagen Eichler 16.06.2014, 16:23
ARCHIV - Besucher der Gedenkstätte Bautzen im ehemaligen Stasi-Knast der DDR betrachten am 10.09.2010 die Freiganghöfe. Besucher der früheren Stasi-Sonderhaftanstalt in Bautzen sollen den einstigen Haftalltag künftig stärker über die Sinne nachempfinden können. Foto: Matthias Hiekel dpa/lsn (zu Vorbericht lsn «Hörgang öffnet in früheren Stasi-Gefängnis» vom 04.06.2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
ARCHIV - Besucher der Gedenkstätte Bautzen im ehemaligen Stasi-Knast der DDR betrachten am 10.09.2010 die Freiganghöfe. Besucher der früheren Stasi-Sonderhaftanstalt in Bautzen sollen den einstigen Haftalltag künftig stärker über die Sinne nachempfinden können. Foto: Matthias Hiekel dpa/lsn (zu Vorbericht lsn «Hörgang öffnet in früheren Stasi-Gefängnis» vom 04.06.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++ dpa-Zentralbild

Magdeburg l "Die DDR? Hm..." Jonas Roseneck grübelt. Der Sechstklässler vom Magdeburger Albert-Einstein-Gymnasium ist ein aufgeweckter Junge, ein Schach-Ass. Was weiß er über die DDR? "Also in der Schule hatten wir das noch nicht", sagt er schließlich. Seine Eltern springen ein: "Na, was haben wir Dir denn erzählt?" Das Fragezeichen weicht nicht aus dem Gesicht des Schülers. Schließlich fällt ihm doch noch eines ein: "Oma und Opa hatten einen Trabi, das war ein sehr kleines Auto."

Die DDR? Was war das doch gleich? Viele Kinder und Jugendliche kommen ins Schwimmen, wenn sie nach dem Staat gefragt werden, in dem ihre Eltern und Großeltern aufgewachsen sind. Eine Studie des DDR-Forschers Klaus Schroeder von der FU Berlin brachte bereits vor zwei Jahren erschreckende Befunde. Der Politikwissenschaftler befragte deutschlandweit 4600 Schüler aus Abschlussklassen. Viele mussten bei Wissensfragen passen.

Entsprechend unsicher sind sie bei einer Bewertung. "Viele Jugendliche haben Probleme, die Trennlinie zwischen Demokratie und Diktatur zu erkennen", beobachtete Schröder. Jeder dritte Schüler glaubt etwa, dass es in der DDR demokratische Wahlen gegeben hat. Nach den Lehrplänen vieler Bundesländer ist das nicht verwunderlich. Auch in Sachsen-Anhalt behandelt der Geschichtsunterricht die Nachkriegsepoche als allerletztes Kapitel, direkt vor den Prüfungen.

Mancher Lehrer hält das für zu spät, um in den Jugendlichen eine Vorstellung vom Leben im Staatssozialismus zu wecken. "Das zweite Halbjahr ist sowieso sehr kurz, und wenn man Pech hat, fällt Geschichte auf Montag und Freitag", sagt etwa Jens Schößler, Geschichtslehrer am Fachgymnasium der Berufsbildenden Schulen II in Stendal. "Wenn dann noch ein Lehrer krank wird, kann die Behandlung der DDR leicht hinten runter fallen."

DDR wird erst kurz vor den Prüfungen behandelt

In den Fachgymnasien beginnt der Geschichtsunterricht in Klasse 11 mit dem Menschenbild in der Antike. "Das schreckt doch ab", findet Schößler, "in diesem Alter könnte man Jugendliche noch für deutsch-deutsche Geschichte interessieren." Der 47-Jährige wünscht sich, dass das Thema früher behandelt wird – das hat er auch dem Landesschulamt mitgeteilt. Gemeinsam mit seinen Stendaler Kollegen versucht er, den Unterricht zumindest anschaulich zu gestalten. Regelmäßig lädt die Schule Zeitzeugen ein: Vor den Schüler sprach der Schriftsteller Eugen Ruge ebenso wie der Autor Roman Grafe.

Der hatte im Januar eine heftige Kontroverse ausgelöst, als er in der Wochenzeitung "Die Zeit" über eine Lesung an einer Stendaler Sekundarschule berichtete. Eine anwesende Lehrerin habe ihm vorgeworfen, die DDR schlechtzureden, berichtete Grafe in der "Zeit". "Wenn man sich in Diktaturen an die Regeln hält, passiert einem nichts", soll die Pädagogin gesagt haben. Seither steht unter verschärfter Aufmerksamkeit, was im Schulunterricht zum Thema DDR passiert.

"Beim Thema DDR sind auch die anderen Schulfächer gefragt."

Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) sieht Handlungsbedarf. In einem Brief an alle Schulleiter mahnte er im Februar eine Erinnerungskultur an, "die unsere Schülerinnen und Schüler sensibilisiert und befähigt, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen". Der aus einem DDR-kritischen Pfarrhaus stammende Politiker setzt dabei auf die abschreckende Wirkung von Original-Schauplätzen.

Auf Dorgerlohs Initiative hin sind im Gedenkjahr 2014 Klassenfahrten zu Gedenkstätten kostenlos, die Landeszentrale für politische Bildung übernimmt Fahrtkosten zum Roten Ochsen in Halle ebenso wie zu NS-Gedenkstätten. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei dringend nötig, sagt Dorgerloh, weil Demokratie nicht vom Himmel falle.

Birgit Neumann-Becker, einst Friedens-Aktivistin in der DDR-Kirche und heute Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, fordert eine breite Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. "Das kann man nicht immer dem armen Geschichtslehrer aufbürden. Da sind auch die anderen Fächer gefragt." In Deutsch etwa könnten die Schüler die DDR-Staatsautorin Christa Wolf neben den verbotenen Texten von Reiner Kunze analysieren. In Musik könnte Wolf Biermann eine Rolle spielen.

Dass viele Schüler wenig über den SED-Staat wissen, ist für Neumann-Becker indes nicht verwunderlich. Bis 1989 seien offene Diskussionen verboten gewesen, danach hätten wirtschaftliche Verwerfungen den Menschen zugesetzt. "Es bringt nichts, das schwache Wissen von Schülern zu skandalisieren. Aber die Umfrageergebnisse sind ein Befund, an dem wir arbeiten müssen."