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Unifrauenklinik muss 17 Frühgeborene und 17 Frauen in Sicherheit bringen Umzug mit Hubschrauber und Brutkasten

Von Katja Tessnow 25.10.2013, 03:16

Magdeburg. Die Unifrauenklinik hatte Donnerstag zum ersten Mal eine Evakuierung zu bestehen. Bereits am frühen Morgen hoben Rettungshubschrauber ab. Schwangere Frauen wurden nach Halle ausgeflogen. Für Frühgeborene mussten über Nacht Transportbrutkästen beschafft werden.

Bis gegen 23 Uhr tagt bereits am Mittwoch ein Klinikkrisenstab. Nach dem Bombenfund am Nachmittag herrscht Zeitdruck. Bereits gegen 6 Uhr rollt gestern die Evakuierung von 64 Patienten an. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil bedeutet die Räumung Freude und Sorge zugleich. Sie - zum Teil Mütter mit ihren Kindern, zum Teil kranke Frauen - dürfen einen Tag "Heimurlaub" genießen. "Hier wird niemand einem Risiko ausgesetzt", konstatiert Dr. Jan Hülsemann. Der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums leitet den Krisenstab zur Evakuierung und betont: "Die kurzfristigen Entlassungen waren in jedem Fall medizinisch vertretbar."

Deutlich mehr unter Anspannung versetzt das Ärzte- und Pflegepersonal die Evakuierung der restlichen 34 Patienten, darunter solche von nicht einmal eintausend Gramm Körpergewicht. 17 Frühgeborene wurden aktuell in den beiden Neugeborenen-Intensivstationen der Klinik versorgt. Eine Verlegung solch winziger Patienten ist ein Ausnahmefall, weshalb das Haus für diesen Zweck über nur einen sogenannten Transportinkubator (Brutkasten) verfügt. "Damit hätte die Evakuierung aller Frühgeborenen aber viel zu lange gedauert. Wir haben also über Nacht drei weitere solcher Brutkästen aus anderen Kliniken besorgen müssen." Die Mehrzahl der winzigen Patienten wird im intensivmedizinisch ausgestatteten Babyreisebett in Kliniken auf dem Campus an der Leipziger Straße gebracht; Ärzte- und Pflegepersonal kommt zu deren Versorgung mit. Drei Frühgeborene ziehen ins Klinikum nach Olvenstedt um.

Auch die meisten Frauen - risikoschwanger, schwerkrank oder just operiert -, für die eine kurzzeitige Entlassung medizinisch nicht zu vertreten war, finden Aufnahme in den Unikliniken an der Leipziger Straße. Drei Frauen mit hochriskanten Schwangerschaften in einem noch sehr frühen Stadium müssen per Rettungshubschrauber nach Halle verlegt werden. Allein die beiden Unikliniken in Magdeburg und Halle sind in Sachsen-Anhalt auf die Betreuung solcher Patientinnen spezialisiert. Drei weitere schwangere Frauen werden ins kommunale Klinikum gefahren.

Wenngleich die Evakuierung Hochspannung für Patienten wie Personal bedeutet - von Panik ist gestern vor Ort nichts zu spüren. Ärzte, Pfleger und Sanitäter versuchen Ruhe auszustrahlen. Dennoch ist die Räumung eines Krankenhauses nie ohne Risiko; geschwächte Patienten werden Stress ausgesetzt. Bei manchen Müttern rollen, in Sorge um das neugeborene Kind, Tränen. Dr. Hülsemann räumt ein: "Wir müssen hochsensible Bereiche evakuieren. Ohne Emotionen geht so etwas nicht ab. Das ist nicht leicht."

Familie Saß indes strahlt übers ganze Gesicht - zumindest die frisch gebackenen Eltern strahlen, Töchterchen Jasmin schläft selig, als es zum ersten Mal die Klinikmauern verlassen darf. Das Mädchen kam vor einem Monat etwas zu früh mit 1740 Gramm zur Welt, hat es inzwischen aber auf 2400 Gramm gebracht und darf auf einen ersten Kurzausflug nach Hause. Die Eltern sind erleichtert. Freude und Sorge liegen gestern in der Unifrauenklinik dicht beieinander.

Gegen 15.30 Uhr ist die Evakuierung der Klinik abgeschlossen. Dr. Hülsemann bilanziert einen reibungslosen Ablauf. Wann Patienten und Belegschaft die Rückreise antreten können, weiß zum Zeitpunkt noch niemand. Der Entschärfer wird erst Stunden später mit seiner Arbeit an der Bombe unweit des Klinikstandortes beginnen.