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Die Medienserie der Volksstimme (Teil 3): Das Gebühren-Fernsehen Trivial-TV wichtiger als die politische Debatte

Von Dana Micke 30.03.2010, 05:20

Rendite statt Qualität? Kulinarisch gesagt, sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für den Nährwert zuständig, die anderen für den Genusswert. ARD und ZDF sind auf dem besten Wege, sich selbst ins Aus zu katapulieren, wenn sie die Privatsender kopieren. Also herunter von der Rutsche des Kommerzes! Warum sonst noch Rundfunkgebühren zahlen?

Magdeburg. 7 600 000 000 – manche Zahlen entfalten ihre Wirkung erst in der ganzen Pracht ihrer vielen Nullen. 7,6 Milliarden Euro, mit so viel Geld wurden die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland 2009 subventioniert. Zur Erfüllung ihres Informations- und Bildungsauftrages: Meinungsvielfalt sichern, Demokratie stärken, unabhängigen Journalismus festigen.

Beim Fernsehen gibt es zwei Säulen: die öffentlich-rechtlichen und die privaten Sender. Das ist wie beim Essen, bei dem man zwischen Nahrungsmitteln und sonstigen konsumierbaren Waren unterscheidet. Die Öffentlich-Rechtlichen liefern quasi Brot, Wurst, Eier und Käse, also die "Grundversorgung", wie es das Bundesverfassungsgericht 2007 formuliert hat. Dafür dürfen sie Rundfunkgebühren eintreiben. Schließlich müssen ja die 23 Fernseh-, 68 Hörfunksender und die ausufernden Online-Aktivitäten irgendwie finanziert werden.

Spezialisiert auf Genuss und Verdruss

Die Privatsender dagegen haben sich auf Pommes, Chips, Cola und Cocktails spezialisiert, auf die Genuss- und Verdrussmittel. Sie finanzieren sich ausschließlich mit Werbung. Man nennt diese Einteilung "duales System": Die einen Sender sind zuständig für den Nährwert, die anderen sind für den bloßen Genusswert.

Funktioniert das? Sind die Öffentlich-Rechtlichen ihr, nein, unser Geld wert? 7 600 000 000 Euro?

Schauen wir mal bei der ARD rein. 5.30 bis neun Uhr Morgenmagazin. Ab 9.05 Uhr die Telenovela-Serie "Rote Rosen". Eine Stunde später darauf darf sich der Grundversorger-Konsument bei "Brisant" die neusten Skandale und Unglücke überall auf der Welt ins heimische Wohnzimmer holen. Mit der Wiederholung der "Roten Rosen" wird der Zuschauer ab 14.10 Uhr beglückt, "Sturm der Liebe" folgt eine Stunde darauf, und noch eine Stunde später "Nashorn, Zebra & Co."

Naja, jetzt könnte man sagen, tagsüber arbeiten ja noch viele Zuschauer, sind also somit verhindert. Andererseits haben viele gar keinen Job und sitzen vielleicht öfter vor der Glotze. Aber selbst wenn, reichen da nicht die vielen Soap-Serien, die in den Privatsendern hoch- und runtergespielt werden?

Nein, um 17.15 Uhr jedenfalls geht es bei der ARD weiter, tönt wieder der alltägliche Wahnsinn mit "Brisant". Und das Vorabendprogramm verlangt uns auch einiges ab: Soaps wie "Verbotene Liebe" und "Marienhof". Wer nun hofft, zur besten Sendezeit ein Spielfilm-Highlight als Unterhaltung zu sehen zu bekommen, der hat nur manchmal Glück. Dafür gibt es zuweilen heimatliche Klänge mit den Superstars der Volksmusik im Mutantenstadl.

An den Dienstagabenden in der Primetime laufen die Serien "Um Himmels Willen" und "In aller Freundschaft". Ja, ja, beim Gesamtpublikum hat die ARD da die Nase oft vorn, quotenmäßig. Ein bisschen viel Seichtes auf einmal. "Rosamunde Pilcher" wabert nämlich derweil durchs ZDF. Die Heimatserie "Die Bergwacht" verspricht viel Herzschmerz. Schwermütig die alpenländischen Gefühlsergüsse. Bei den Alpenmelodramen wie das "Gletscherblut" wird wenig geklettert, dafür umso mehr geschluchzt. Und zu allem Überdruss noch die Promi-Kochsendung, zur Dauerserie mutiert: "Lafer! Lichter! Lecker".

Die Trivialisierung der öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme scheint auf dem Tiefpunkt zu sein. Politische Hintergrundsendungen gibt es häppchenweise, meist später am Abend. Auch da staunt der Gebührenzahler, wenn er aus dem 382 Seiten starken Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) jetzt erfahren muss, für was die Sender unsere Gebührengelder (17,98 Euro monatlich) ausgeben.

Also bei den Polit-Magazinen kommt "Fakt" (MDR) mit 3284 Euro pro Sendeminute aus, "Monitor" in der ARD dagegen verbraucht 5009 Euro – 52 Prozent mehr. Ähnlich unterschiedlich sind die Kosten der Talkshows: "Anne Will" ist mit 3164 Euro der ARD viel teurer als "Menschen bei Maischberger" (1552 Euro) und "Maybrit Illner" (ZDF, 1893 Euro).

Schelte kam Ende 2009 selbst von Ex-"Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert. Der 66-Jährige rügte ARD und ZDF in scharfer Form, weil sie in seinen Augen nicht genug auf Nachrichten, sondern zu stark auf Unterhaltung setzen. In einem Beitrag für die FAZ schrieb er, dass - angefangen bei der Sprache - viele Redakteure von "Tagesschau", "Tagesthemen", "heute" und "heute-journal" nicht einmal den Satzbau beherrschten und Substantive wie "grobes Meersalz zwischen kurze Sätze" streuten.

Ist Herr Wickert da nicht pingelig? Nein, "es fehlt offenbar an einem Verständnis für die politische Grundversorgung". Die wird immer mehr nach arte, Phoenix und 3Sat, also in die Spartensender, abgeschoben.

Nachrichtensendung ist nicht gleich Nachrichtensendung. Das Morgenmagazin von ARD und ZDF suggeriert dem Zuschauer eine gehobene Boulevardsendung. Moderatoren mit Halbwissen und anzüglichem Geplauder. Nachrichten oft entpolitisiert. Entertainment eben. Gefühlsmanagment statt politischer Journalismus. Professioneller rühren, ausdauernder fesseln, kurzum besser unterhalten, mal mit mal ohne Scham und Würde – das können die Privatsender eigentlich besser.

Die nationale Aufgabe mit ProSieben

Und weil man es insgeheim auch bei der ARD mitbekommt, hat der öffentlich-rechtliche Riese einem kleinen Privatsender zu einer "historischen Zusammenarbeit" überzeugt: ProSieben-Quotenmacher Stefan Raab durfte den Grand Prix zur nationalen Aufgabe erklären – auf ProSieben und in der ARD. In der Castingshow "Unser Star für Oslo" ließ der Entertainer aus 20 Kandidaten das TV-Volk über den deutschen Teilnehmer für den Eurovision Song Contest im Mai abstimmen. Handwerk statt Ekstase: kein Entblößungsprogramm auf dem pop-musikalischen Catwalk, sondern Leistungsschau von Talenten.

"Der ewige Gottschalk" titelte kürzlich euphorisch Spiegel-Online. Thomas Gottschalk ist ein großer Entertainer, ein echtes Aushängeschild für das ZDF. "Wetten, dass...?" hat Geschichte geschrieben. Auch wenn es Ende Februar in ein Quotentief stürzte. Sofort werden Fragen laut: Hat sich das Format abgenutzt? Ist Gottschalk zu verbraucht? Da scheiden sich die Geister.

Unstrittig ist, dass bei der Jagd nach Quote sehr oft die Qualität auf der Strecke bleibt. Warum messen sich staatlich alimentierte Sender überhaupt an Quoten?

In Krisenzeiten wird eben alles schwieriger. Da reden alle nur noch vom Sparen. Aber nicht das ZDF, das sich 2009 ein neues Studio für "heute" und "heute-journal" geleistet hat, ein hypermoderner Nachrichtensalon – für 30 Millionen Euro Gebührengelder. Eine Finanzkrise lässt sich so sicher besser erklären, mit der digitalen Technik tiefer einleuchten. In diesem Jahr zieht die ARD nach mit einem neuen News-Saloon der "Tagesthemen".

BBC in England hingegen muss jetzt schon sparen. Und kündigt massive Kürzungen an. So will der Sendekonzern in drei Jahren 25 Prozent weniger Geld in seine Internetauftritte investieren. Die Hälfte seiner Web-Seiten soll bis 2013 aus dem Netz raus. Auch einige seiner Radiosender sollen weg. Und weniger Geld für Sportrechte. BBC Worldwide zieht sich aus dem Zeitschriftengeschäft in Großbritannien zurück. O-Ton von BBC-Generaldirektor Mark Thompson zum Spiegel: "Die BBC kann nicht alles machen und muss ihre Grenzen kennen."

Der Sender will jetzt mit der freiwilligen Einschränkung einer Reform durch die Politik zuvorkommen. Politiker und Konkurrenten hatten der BBC immer wieder vorgeworfen, mit Gebührengeldern den Privaten das Leben schwer zu machen. Eine Debatte, die auch in Deutschland tobt. Verlage und TV-Ketten wie RTL und ProSiebenSat.1 laufen besonders gegen die breite Internetpräsenz von ARD und ZDF und die Werbemöglichkeiten der öffentlichen Sender Sturm.

Klar, dass die Privatsender in Deutschland nun auf eine ähnliche Tendenz für die Öffentlich-Rechtlichen spekulieren. RTL und Co. fordern einen stärkeren Fokus auf die Kernkompetenzen bei ARD und ZDF. Und eine neue Debatte um Auftrag und Finanzausstattung von ARD und ZDF.

Wo aber beginnt die Grundversorgung der staatlich alimentierten Sender? Und wo hört sie auf?