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Die Hochwasser-Hilfe geht auch ungewöhnliche Wege. Von Oliver Schlicht, Elisa Sowieja und Rudi-Michael Wienecke Und der Papagei wird auch gerettet

05.06.2013, 01:18

Magdeburg/Barby/Stendal l In Zeiten der Not ist Solidarität die höchste Tugend. Das zeigt sich in den Hochwassergebieten vielerorts. Sogar um Esel und Frettchen wird sich rührend gekümmert.

"Das muss nicht ganz gerade sein. Machen Sie einfach viel und hoch. Egal. Um das Finanzielle kümmern wir uns später." Michel Roze, Direktor des noblen Herrenkrughotels in Magdeburg, dirigiert etwas aufgelöst die Bauarbeiten des Sandwalls rund um das historische Gebäude im Herrenkrug-Park. Er im grauen Anzug, die Arbeiter in Latzhosen. Roze weiß, was auf ihn zukommt. "7,5 Millionen Euro Schaden sind bei der Flut 2002 entstanden. Renovierung, Umsatzverlust durch mehrere Monate Schließung. Jetzt rufen die Gesellschafter fast stündlich an, um sich zu erkundigen", erzählt er. Aber egal, was passiert: "Das Hotel wird wieder eröffnen", verspricht Roze.

Eine über 200 Meter lange, 1,50 Meter hohe Sandmauer in Richtung der nur wenige hundert Meter entfernten Elbe soll die Wassermassen aufhalten. Alle Fenster der unteren Etagen sind mit Platten verschlossen. Mehrere Hochleistungspumpen wurden im Haus aufgebaut. Notstromaggregate sollen noch geliefert werden. Mittag stand die mobile Diesel-Tankstelle schon da. Der fünf Tonnen schwere Kessel fasst 5000 Liter.

149 Zimmer und 106 Mitarbeiter hat das Hotel. 98 Prozent Auslastung am Montag. "Der Juni war so gut gebucht", erzählt der Direktor und seufzt. Heute früh müssen die letzten Gäste das Hotel verlassen. Gestern waren die Hotelmitarbeiter - vom Küchenchef bis zum Zimmermädchen - fast allesamt damit beschäftigt, die unteren Etagen zusammenzuräumen. Sogar einige Gästebetten wurden abgebaut. Heute soll alles nach oben in den Ballsaal geräumt werden. Früher ging das nicht. Bis gestern Abend tagte dort ein Verdi-Kongress von Sparkassen-Gewerkschaftern. 94 Teilnehmer. Thema war unter anderem die psychosoziale Gesundheit.

Nur unweit vom Herrenkrughotel entfernt, wurde auf der anderen Elbseite eine von drei Magdeburger Einsatzzen-tralen der Feuerwehr eingerichtet. Auf einer Freifläche schippen Feuerwehrkameraden aus der Börde, aus dem Landkreis Salzwedel und Magdeburg.

An einem zweiten Standort verfüllen Kameraden aus Hannover, Wolfsburg und Braunschweig riesige Säcke. Neben den Feuerwehr-Helfern schippen dutzende Studenten und Bürger, die sich freiwillig gemeldet haben.

"270 Helfer sind allein im Wissenschaftshafen derzeit im Einsatz. Die Einsatzbereitschaft der Bürger ist super", freut sich Patrick Walbaum von der Einsatzzentrale. Die Solidarität fängt beim Schippen an und hört auf dem stillen Örtchen nicht auf. Weil die Dixi-Klos erst am Nachmittag kamen, öffnete die benachbarte Druckerei "SiebenMedien" ihre vier Toiletten für die knapp 300 Helfer. "Wir haben noch schnell dutzende Rollen Papier geordert. Da helfen wir doch gern", erzählt schmunzelnd Druckerei-Chef David Baatge.

Häftlinge und Mitarbeiter vom Gericht arbeiten Hand in Hand

In Barby (Salzlandkreis) kam eine ungewöhnliche Helfertruppe zusammen: Häftlinge und Gerichtsmitarbeiter. Sie evakuieren knapp die Hälfte der Akten im Grundbucharchiv Sachsen-Anhalts. Denn das lagert in einem Schloss direkt an der Elbe. Alles im Keller und in den unteren zwei Regalfächern des Erdgeschosses musste raus. Das sind etwa 6500 laufende Meter Papier.

Hopp, hopp, hopp - im Sekundentakt warfen sich mehr als 120 Helfer in Ketten Stapel mit vergilbtem Papier zu. "Ist doch selbstverständlich, dass ich mitmache. Das würde ich mir von anderen ja auch wünschen", erzählt eine brünette Frau in roter Latzhose, während sie Haufen für Haufen aus einem Metallregal zieht. Sie ist Insassin des Hallenser Gefängnisses. Am Morgen hatte sich die 34-Jährige freiwillig gemeldet, mittags war sie per Gefängnisbus angekommen. Auch aus Burg und Volkstedt (Mansfeld-Südharz) reisten Häftlinge an. Insgesamt stellten Insassen knapp die Hälfte der Truppe. Sie genießen bereits Haftlockerungen, etwa regelmäßigen Freigang.

Thomas Zastrau gehörte zur anderen Hälfte. Er ist Justizwachtmeister am Amtsgericht Stendal. Das liegt zwar nicht im Einzugsgebiet des Landgerichts Magdeburg, in dem das Archiv verwaltet wird.

Doch die Altmärker leisteten ihren Kollegen, die unter anderem aus Oschersleben und Haldensleben angefordert wurden, trotzdem Schützenhilfe. "Heute bleibt in Stendal wohl Post liegen. Aber das hier ist einfach wichtiger", sagt Zastrau.

Einige der Akten kamen in den zweiten Stock des Archivs. Der Großteil wurde auf Paletten gestapelt, mit Frischhaltefolie eingewickelt und in vier riesigen Lkw nach Magdeburg gebracht. Wohin genau, gibt die Archivverwaltung aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich bekannt. Im Laufe des heutigen Mittwochs sollen alle Akten gesichert sein.

Frettchen nach Magdeburg, Esel auf den Sportplatz

Eine ganz besondere "Flut-Episode" spielt sich derzeit in Weißewarte (Landkreis Stendal) ab. Der vom Hochwasser bedrohte Tierpark in der Gemeinde hatte Bürger dazu aufgerufen, Tiere in Pension zu nehmen. Gestern begann die Evakuierung. Rund 400 Tiere, die zu 80 Arten gehören, sollen in Sicherheit gebracht werden. "Die Hilfsbereitschaft ist riesig", freute sich Wildparkleiterin Annette Friedebold.

Die Zebus und Ponys bekommen übergangsweise in Uchtdorf ein neues Zuhause. Eine junge Frau aus Magdeburg holte die Frettchen und Chinchillas ab. Einige der Vögel fanden Platz bei Christian Kühn aus Tangerhütte. Der Tiergarten in Stendal nahm ebenfalls Vögel auf sowie die Rot- und Silberfüchse.

Der Magdeburger Zoo ist bereit, Luchse und Wildkatzen aufzunehmen. "Aber erst, wenn der Ernstfall eintritt", so Friedebold. Denn eine der Wildkatzen erwartet in diesen Tagen Junge. Wenn möglich, soll ihr der Umzugsstress erspart bleiben.

Ziegen, Schafe und Esel finden vorübergehend auf dem Sportplatz im Dorf Quartier. Der Begriff "Spielbetrieb" wird damit in Weißewarte vorübergehend eine ganz eigene Bedeutung bekommen. Viele Tiere müssen allerdings im Wildpark ausharren. Aber auch für sie wird gesorgt. Für Wildschweine, Wapitis, Rot- und Damwild haben die Tierpark-Mitarbeiter extra die bereits vorhandenen Rettungsinseln erhöht.