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Bundeswehr-Experten inspizieren Bruchstelle: "Frühestens in fünf Tagen" / Krisenstab will heute sprengen lassen. Von Oliver Schlicht Breitenhagen: Verwirrung um Deichsprengung

14.06.2013, 01:18

Eine Deichsprengung zur Entlastung des Überflutungsgebietes zwischen Groß Rosenburg und Aken sorgte gestern für Verwirrung. Wird im Elbe-Saale-Winkel heute gesprengt?

Rosenburg l Christian Jung, für den Saaleabschnitt zuständiger Flussbereichsleiter beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW), inspizierte gestern mit zwei Sprengmeistern der Bundeswehr den gebrochenen Deich bei Breitenhagen. "Wir müssen durch eine gezielte Sprengung die Öffnung von jetzt 140 Meter um 200 Meter auf dann 340 Meter verbreitern", erklärt Jung. Hintergrund ist: Durch das Sinken des Pegelstandes in der Saale fließt das Wasser aus den Überflutungsflächen wieder zurück in den Fluss - nur viel zu langsam. Jung: "Das ist hier erst im September wieder trocken, wenn das Loch im Deich so klein bleibt."

Zum Deichbruch zu kommen, ist nicht ganz einfach. Die Feldflur steht dort großflächig unter Wasser. Mit einem Boot der Feuerwehr geht es zunächst durch die überfluteten Straßen von Groß Rosenburg - vorbei an mehreren Gruppen von Feuerwehr-Tierrettern. Vogelbauern mit Sittichen, Käfige mit Hühnern, Katzen und sogar eine Sau wurden gestern ins Trockene gebracht. Die Besitzer hatten sich bei der Einsatzleitung in Zuchau gemeldet, wo extra eine Tierrettungszentrale eingerichtet wurde.

Vorbei am Ortsausgangsschild von Groß Rosenburg geht es dann - ohne Übertreibung - auf die offene See. Ein riesiges Gewässer, wo sonst nur Felder stehen. Der Wind über dem flachen Land sorgt für reichlich Wellengang. "85 Quadratkilometer sind hier inzwischen überschwemmt. Das entspricht einer Wassermenge von etwa 114 Millionen Kubikmeter", erzählt Jung. Die Überfahrt zur Deichbruchstelle dauert 45 Minuten.

Ortswechsel. Fast zur gleichen Zeit versucht im nahen Aken Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) aufgebrachte Bürger bei einer Demonstration zu beruhigen. Die ebenfalls vom Hochwasser betroffenen Akener fordern lautstark die Inbetriebnahme des dortigen Schöpfwerkes. Im Normalfall entlastet dieses Werk die Hochwasserlage im Fluss Taube und damit auch in Aken. Derzeit - so sagt das LHW - würde der hohe Wasserstand dieses Schöpfwerk beschädigen. Salzlandkreis-Landrat Ulrich Gerstner (SPD) hatte zwar eine Stunde zuvor eine Teilinbetriebnahme des Werkes angekündigt - in Abstimmung mit dem Innenministerium. Doch Stahlknecht ließ sich in Aken von den LHW-Experten eines besseren belehren. Er sagte, dass eine Inbetriebnahme des Schöpfwerkes derzeit nicht möglich ist.

Buh-Rufe! Sogar eine Holzlatte wurde nach dem Minister geworfen - und verfehlte ihn. Die Latte traf einen Radio-Journalisten. Er trug eine Gehirnerschütterung davon, wie seine Redaktion auf Nachfrage später bestätigte.

Etwas Hoffnungsvolles für die Bürger von Aken

Holger Stahlknecht wollte den Bürgern von Aken auch etwas Hoffnungsvolles sagen. Er kündigte an, dass zwei Hochleistungspumpen in Betrieb genommen werden sollen, die das Schöpfwerk teilweise ersetzen würden. Und bereits morgen - also am heutigen Freitag - werde die Dammbruchstelle bei Breitenhagen durch eine Sprengung erweitert, wovon auch Aken profitieren werde.

Von all dem wussten Christian Jung und die beiden Bundeswehr-Sprengmeister zu diesem Zeitpunkt nichts. Sie legten am Deich an und hielten Expertenrat. Ergebnis: Es wäre eine logistische Herausforderung, wenn man an dieser abgelegenen Stelle den Deich um 200 Meter öffnen würde. Hauptfeldwebel Henning Rahlfs: "Das ist sehr lehmiger Boden. Und Lehm ist von sehr fester Beschaffenheit. Damit der Deich auf dieser Länge wirklich ohne Rückstände zerstört wird, sind etwa sieben bis zehn Tonnen Sprengstoff nötig."

Vorgeschlagen wurde, dass der THW vorbereitende Arbeiten übernimmt. Und die wären nicht von Pappe. "Wir benötigen etwa 80 bis 100 drei Meter tiefe und rund 20 Zentimeter breite Bohrlöcher, in denen der Sprengstoff eingefüllt wird", so der Hauptfeldwebel. Wichtig sei, dass die Explosion mit einmal passiert, um keine instabile Oberfläche zu hinterlassen, auf der dann nicht weiter gearbeitet werden kann.

Für die Sprengvorbereitung müssten über den "Seeweg" Werkzeug, ein kleiner Bagger und die THW-Kräfte an die Deichbruchstelle gebracht werden. "Also frühestens in fünf bis sieben Tagen kann hier etwas gesprengt werden", waren sich am Ende die beiden Bundeswehr-Sprengmeister sicher. Dann stiegen sie wieder ins Boot und schipperten zurück nach Groß Rosenberg.

Drei Stunden später. "Das glaube ich nicht. Das ist doch völlig absurd." Mit diesen Worten kommentierte am Abend Flussbereichsleiter Jung eine Mitteilung des Krisenstabes der Landesregierung. Durch eine Sprengung heute solle die Öffnung des Deichbruchs von Breitenhagen "um zunächst 50 Meter erreicht werden". Auch auf Nachfrage bestätigte der Krisenstab die Richtigkeit der Mitteilung. "Der THW sprengt. Freitag abend oder spätestens Sonnabend früh", so Anke Reppin, Sprecherin im Krisenstab.

Das wird man sehen - und hören.