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Hochwasser: Existenzen dreier Unternehmerinnen im Elbe-Havel-Winkel bedroht Die vergessenen Opfer der Flut

Von Andrea Schröder 29.06.2013, 03:15

Kuhlhausen l Garz, Warnau und Kuhlhausen sind nach den Straßenschlitzungen abgeschnitten von der Elbe-Havel-Region. Zu erreichen sind die Dörfer nur noch aus dem Brandenburgischen über Rhinow/Strodehne. Selbständige sehen ihre Existenz bedroht und hoffen, als "stumme Flutopfer" dennoch erhört zu werden.

"Wir wollen nicht jammern. Wir wissen, dass wir Riesenglück hatten und ohne nasse Füße davongekommen sind", stellt Antje Schröder klar, dass sie nicht falsch verstanden werden möchte. Welches Leid den vielen Menschen im Elbe-Havel-Land seit dem Deichbruch bei Fischbeck widerfahren ist, ist ihr bewusst. Ebenso Sabine Schulze und Marion Buchholz. Die drei Unternehmerinnen aus Kuhlhausen, Warnau und Garz haben aber ein gemeinsames Problem: Ihre Orte sind nicht mehr so einfach zu erreichen, ihre Kunden müssen weite Wege in Kauf nehmen, wollen sie Schönheitsfarm, Gaststätte oder Physiotherapie besuchen.

50 Kilometer sind es jetzt von Havelberg nach Kuhlhausen, 45 Minuten benötigt man auf den Kreisstraßen durch etliche Dörfer mindestens. Normalerweise beträgt die Entfernung zwölf Kilometer. Das ist seit den Straßenschlitzungen auf der Landesstraße 2 in Richtung Jederitz und Rehberg anders. Der Havelwinkel ist nur noch aus dem Brandenburgischen zu erreichen. Darüber, dass die Straßenschlitzungen erfolgten, damit das aus Süden von Fischbeck aus strömende Elbewasser besser in die Havelpolder abfließt und ihre Dörfer nicht so stark bedroht, sind sie froh. "Sonst hätten wir alle im Nassen gesessen." Doch sehen sie sich nun auch als Flutopfer, als stumme Opfer der Flut.

"Den Alltag gibt es für mich nicht mehr. Das wird Monate dauern." - Antje Schröder

Antje Schröder hat in den vergangenen Tagen mit verschiedenen Institutionen gesprochen, ob es für diesen Fall auch Hilfe gibt. Doch gibt es die anscheinend nicht, auch nicht später. "Lebensenergie" heißt ihre Schönheitsfarm. "Viele meiner Kunden zum Beispiel aus Klietz, Neukamern, Kamern und Hohengöhren können mich nicht erreichen oder sind selbst betroffen", sagt sie. "Und selbst wenn die Straßen wieder repariert sind, werden sie anderes im Kopf haben, als zu mir zu kommen." Seit 1999 hat sie ihre Farm, die mit Massagen, Kosmetik, Whirlpool-Anwendungen und anderem mehr alles rings ums Wohfühlen anbietet. Ihr Handwerkszeug lässt sich nicht einfach in einen Koffer packen, um woanders zu praktizieren.

"Mach doch Urlaub", wurde ihr schon geraten, wenn sie von ihren Sorgen erzählte. Oder: "Geh doch wieder zum Alltag über." "Den Alltag gibt\'s aber für mich nicht mehr. Alles ist neu. Das wird noch Wochen und Monate dauern. Der Kampf beginnt jetzt grad erst. Es ist generell schwer hier in der Gegend. Ich kann hier nichts ansparen, ich lebe von Monat zu Monat", macht sie auf die finanzschwache Region aufmerksam. Urlaub gönnt sie sich nur manchmal für eine Woche.

Die Existenzangst bedrückt auch Marion Buchholz aus Garz. Zwar kann sie mit ihrer Liege seit dieser Woche an zwei Tagen in der Heilpraxis von Anja Joensson in Havelberg arbeiten, doch ist das nicht vergleichbar mit dem normalen Betrieb. "Am Montag habe ich mit Mühe und Not sieben Patienten zusammenbekommen. Normal sind 30", berichtet sie von ihren Zehn-Stunden-Arbeitstagen. Sie bekommt ihre Patienten, weil sie Rezepte vom Arzt erhalten. Doch viele verzichten aufgrund der weiten Wege jetzt lieber auf eine Behandlung bei ihr. Oder gehen woanders hin. Wer Angestellte hat, kann Kurzarbeit für sie beantragen. "Aber als Unternehmer stehst du alleine da." Seit 10. Juni hat Marion Buchholz nicht mehr praktiziert. Erst wurden Wohnhaus und Büros ihres Partners in Hohengöhren Damm geflutet, dann ging es ans Sichern im eigenen Haus in Garz, wo sie auch ihre Praxis hat. "Jetzt ist es schon die dritte Woche ohne Einnahmen, aber Bank und Krankenkasse wollen ihr Geld." Um was zu tun, hat sie allen Helfern im Havelwinkel Benefiz-Massagen angeboten. Sie versucht, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen. "Irgendwie wird es weitergehen."

"Der Sommer ist sonst dazu da, den Winter abzupuffern." - Sabine Schulze

Die "Fischerstube" von Sabine Schulze in Warnau hatte am 9. Juni zum letzten Mal regulär geöffnet. Dann bekam das Personal Pflichturlaub oder ging in Kurzarbeit. Sie übernahm die Versorgung der Helfer und Feuerwehr im Ort. Auf den Tisch stellte sie eine Spendenbox. 40 bis 120 Portionen wurden gekocht. Das frisch angestochene Fass Bier spendierte sie den Helfern. "Wir wussten doch nicht, wie lange wir noch Strom haben werden." Derzeit kocht sie für die Kita- und Schulkinder. "Vergangenen Sonntag haben wir die Gaststätte mal probehalber aufgemacht. 15 Gäste fanden den Weg zu uns, normal sind zum Mittag 100."

Die Evakuierung der Dörfer ist seit enigen Tagen aufgehoben. Doch auf viele Auswärtige können sie nicht hoffen, ist doch weithin der Weg Richtung Havelberg an sämtlichen Verkehrsschildern durchgestrichen. In Rhinow und Strodehne stehen Sackgassenschilder. "Das ist tödlich für uns." Sabine Schulze sieht auch noch ein weiteres Problem für die Region. "Selbst wenn die Straßen wieder repariert sind, werden nicht viele Leute herkommen. Auf der Terrasse sitzen und die Natur genießen, geht angesichts der Mückenplage und des modrigen Gestanks nur schwer." Die dreifache Mutter, die sonst voll Energie, Optimismus und Ideen ist, sagt: "Jetzt fällt mir erstmal nichts mehr ein. Der Sommer ist sonst dafür da, den Winter abzupuffern."

Die drei haben wie viele andere tage- und nächtelang Sandsäcke gefüllt. Erst in Havelberg. Dann, als es darum ging, die Dörfer mit Notdeichen vor der Flut aus dem Süden zu schützen, vor Ort. Jetzt hoffen sie, dass sie gehört werden. Wenn auch nicht gleich als Erste, weil sie kein Wasser im Haus haben und andere viel größere Probleme haben. Doch sollte auch ihre Situation Beachtung finden. "Auf der Internetseite des Finanzministeriums stand: Nach der Flut bleibt keiner allein. Ich hoffe, dass das so ist", sagt Antje Schröder. Mut macht ihr eine Kundin aus Rhinow. "Als sie von meinem Problem hörte, ließ sie sich für jede Woche einen Termin geben, damit ich Einnahmen habe. Da liefen mir die Tränen."

Die drei Frauen wollen durchhalten, freuen sich auf die Bundesgartenschau in zwei Jahren in der Havelregion. Sie sehen sich stellvertretend für andere Unternehmer mit ähnlichen Problemen. Und sie helfen sich gegenseitig, nehmen Termine bei der anderen wahr oder genießen ein Essen.