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Zur Havelmündung Wettflug mit Libellen

Auf dem Elberadweg treffen sich Fahrrad-Enthusiasten aus halb Europa. Eine der Begegnungsstrecken erstreckt sich zwischen Sandau bis zur Havelmündung.

Von Oliver Schlicht 10.08.2012, 05:11

Havelberg l Kaum nach Sandau hineingeradelt, da fällt dem Radwanderer eine hölzerne Toreinfahrt auf, die Cowboy-Romantik verspricht: "Little Boom Ranch" steht da geschrieben. Das ist doch einen Abstecher wert. Vorbei an eingezäunten Koppeln, auf denen braune und weiß-gescheckte Pferde grasen. Ein Holzhaus, drinnen ein kleiner Saloon mit Theke und Cowboyhut-Ständer. Das Haus ist gerade eine Baustelle. Es wird erweitert.
Auf der Terrasse sitzt Burkhard Marthe und nippt am Kaffee. "Ich muss gleich zum Dienst." Der Mann führt ein Doppelleben: Polizei-Obermeister von Beruf, Cowboy im Privatleben.
Auf drei Hektar Wiese hatte er gemeinsam mit Ehefrau Liane und Sohn Enrico vor sechs Jahren begonnen, sich den ganz privaten Westerntraum zu erfüllen: Sieben Pferde, ein kleiner Saloon für Freunde, Feuerstelle, Klampfe. "Countyroad, take me home - to Sa-Han-Dau". Und dann kamen die Radfahrer und die Biker. "Erst haben wir ein Zimmer und dann noch ein zweites Familienzimmer für vier Personen eingerichtet", erzählt er. Nun baut er vor den Saloon noch ein kleines Café. Gerade sind wieder Gäste abgereist. "Auf meiner Ranch haben schon Schweden, Portugiesen, Holländer und sogar Texaner übernachtet." Wir spazieren zur Pferdekoppel. Der Hengst heißt "Buffalo Bill", das kleine Fohlen "Tecumseh". Burghard selbst war noch niemals in Texas. Fünf Jahre noch bis zur Pensionierung. Aber dann geht es auf in die USA? "Nee. Mir reicht meine kleine Westernwelt hier in Sandau", sagt er und krault Fohlen "Tecumseh" die Ohren.
Fünf Kilometer bis Havelberg an der Straße entlang. Angekommen in der Inselstadt, erfährt der Radfahrer sehr schnell, dass Havel-"Berg" seinen Namen zu Recht trägt. Auf holprigen Pflasters geht es hinauf ins Stadtgetümmel.
Vor der Stadtpfarrkirche St. Laurentius lesen Silvia und Heiko Meyer aus Altdorf bei Nürnberg ein Schild zur Kirchengeschichte. "Wir habe gestern bei Darchau in einem Fährhaus übernachtet. Ab 21 Uhr waren wir dort völlig allein. Nur ein Reh stand in der Dämmerung an der Elbe", schwärmen die Eheleute. Von der Nordsee nach Prag wollen beide fahren. Nicht vielleicht doch noch den Moldauweg nach Bayern zurück? Heiko Meyer schmunzelt: "Nun ja. Darüber habe ich mit meiner Frau noch nicht gesprochen."
Auf dem Marktplatz erfrischen sich Radfahrer am Brunnen gegenüber vom Rathaus, andere stehen beim Landbäcker an. Die Stadt scheint fest in der Hand der Pedal-Ritter zu sein. Auch oben am Dom sind die Fahrradständer dicht gefüllt.
Vier muntere Ü-60-Damen genießen dort am Geländer den Ausblick über Havelberg. "Wir kommen aus Berlin und fahren immer am Mittwoch raus zu einer Fahrradtour", erzählt Doris. Heute sind sie vom brandenburgischen Breddin nach Havelberg aufgebrochen, um von hier aus nach Norden ein Stück Elberadweg zu erkunden. Und geht das noch in dem Alter? Die nicht ganz ernst gemeinte Frage wird mit lautem Spottgelächter kommentiert. Auch die Älteste der Damen habe mit 79 Lenzen kein Problem in dem flachen Elbe-Terrain.
Keine Frage: Die Rentner-Generation hat das Radeln auch auf Fernwegen für sich entdeckt. Das bestätigt unten auf der "Campinginsel" Platzchefin Gabriele Behr: "Viele Radtouristen sind älter als 50 Jahre. Das ist die größte Gruppe." Der idyllisch von der Havel umgebene Campingplatz ist eine der schönsten Anlagen in Sachsen-Anhalt. Vor allem Reisecamper checken hier ein. 70 Caravan-Stellplätze und 30 Zeltplätze bietet die "Campinginsel".
Zuweilen sei der Radfahrer-Andrang extrem, erzählt die Leiterin. "Gestern Abend standen sie hier Schlange, als gebe es Bananen umsonst." 50 Anreisende mit Fahrrad zählte sie am Ende. Seit sieben Jahren leitet Gabriele Behr den Campingplatz. "Seit dieser Zeit hat der Anteil an Fahrradtouristen jedes Jahr stetig um 10 bis 15 Prozent zugenommen. Nur der Anteil an Urlaubern mit Wohnmobilen liegt mit jährlich knapp 20 Prozent Zuwachs noch höher." Ein Ende des Booms sei nicht absehbar.
Genug geredet, weiter geht die Fahrt. Ziel ist das Mündungsgebiet zwischen Elbe und Havel. Auf Betonwegen verläuft die Strecke durch eine weite Wiesenlandschaft. Von links kommt der langgestreckte Deich der Elbe immer näher, auf der rechten Seite ist der Havelstrom zu erahnen. Hier wohnt kein Mensch. Nur der Storch stolziert am Wegesrand durch einen kleinen Weiher. Von Zeit zu Zeit gesellt sich dem Radfahrer eine Libelle hinzu. Wettflug durch den Sommer.
Unweit der Mündung von Havel und Elbe haben sich die Hamburger Heike und Ingo Gentz eine Decke auf die Wiese gelegt. Das Paar genießt die Ruhe des Augenblicks auf dem Weg nach Havelberg. Den Moment der Zweisamkeit in diesem grün-blauen Paradies.
Der Elberadweg ist nur ein Weg am Fluss. Aber einer, der die innere Einkehr beflügelt. Auf dem sich Fremde grüßen als Gleichgesinnte. Und sich ältere Paare umschlungen halten wie Teenager. Sich auf diesen Weg zu machen, lohnt sich. Drei Dinge im Gepäck sind wichtig: Gute Laune, Flickzeug und Luftpumpe.