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Volksstimme-Serie Teil 1: Wie sich der Klimawandel auf Sachsen-Anhalt auswirkt Es wird wärmer: Fluch oder Segen?

Von Jens Schmidt 04.04.2007, 14:01

In Mitteldeutschland steigen die Temperaturen in den nächsten 100 Jahren deutlich an, die Sommer werden trockener, die Winter feuchter. Drohen an Elbe und Saale mehr Hochwasser? Was passiert mit der fruchtbaren Magdeburger Börde? Wie verändert sich der Wald im Harz?

Magdeburg. Am 13. Januar zeigt die Lokalausgabe der Volksstimme in Staßfurt ein typisches Bild dieses Winters: Krokusse stecken ihre Köpfe aus der schneefreien Erde. Der Januar 2007 ist in Sachsen-Anhalt der wärmste Januar, den Wetterkundler je aufzeichneten. Solch einen Wärmerekord erzielten auch die vorangegangenen Monate Dezember, November, Oktober, September. Die außergewöhnlich lange Warmphase ist kein mitteldeutsches Phänomen, sondern wird in ganz Deutschland registriert. Ende Februar blühen nicht nur in Magdeburg die ersten Osterglocken – sechs Wochen vor Ostern. Erste Forscher sprechen schon vom wärmsten Winter der letzten 1500 Jahre. Klimawandel? Wir spulen ein Jahr zurück.

Im Februar und März 2006 freuen sich Hoteliers und Skifahrer im Harz über eine Saison, wie sie schon lange nicht mehr dagewesen war. Selbst in mittelhohen Lagen liegt ausreichend Schnee bis zum Frühlingsbeginn. Einige Jahre zuvor, im Winter 1996/1997, war der Frost weit ins Tiefl and gekrochen. Im Januar 1997 spazierten Magdeburger über die zugefrorene Elbe – wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Doch kein Klimawandel?

Jahrhundertsommer 2003, Schneemassen im März 2006, Jahrhunderthitze im Juli 2006: Das sind Wetterextreme, die allein Klima noch nicht beschreiben. Wetter ist das Sprunghafte, höchstens fünf Tage Vorhersagbare – im Klima hingegen spiegelt sich der Mittelwert aus dem Wetter vieler, vieler Jahre.

Der renommierte Ozeanograf und Physiker Stephan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimaforschung beschrieb den Unterschied zwischen Klima und Wetter so: "Veranschaulichen können wir uns das anhand eines Topfes mit brodelnd kochendem Wasser: Wettervorhersage gleicht dem Versuch zu berechnen, wo die nächste Blase aufsteigen wird. Eine Klimaaussage wäre dagegen, dass die mittlere Temperatur kochenden Wassers bei Normaldruck 100 Grad Celsius beträgt, im Gebirge auf 2500 Meter Höhe durch den geringeren Luftdruck dagegen nur 90 Grad." Trotz aller Launenhaftigkeit des Wetters ist jedoch ein Trend auszumachen. Dabei helfen die Aufzeichnungen aus der Vergangenheit. Die Forscher maßen einen Anstieg der globalen Mitteltemperatur um etwa 0,8 Grad in den vergangenen 100 Jahren.

Diese Zahl allein ist noch nicht schweißtreibend; frappierender ist da schon die Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten. In dieser Zeit stiegen die Temperaturen deutlich an, obwohl die Sonnenstrahlungsintensität seit den 40er Jahren – zwar hoch - aber nahezu konstant ist. Von den letzten 16 Jahren lagen 15 Jahre über dem langjährigen Mittel, 13 Jahre waren sogar deutlich zu warm. Kalte Jahre, wie sie in den Jahrzehnten zuvor zum normalen Bild gehörten, gab es seit 1988 nur eines (1996).

Wie geht es weiter? Forscher treffen keine Klimavorhersage, sie beschreiben Klimaszenarien. Die hängen von verschiedenen Annahmen ab: Sonnenstrahlung, Erdumlaufbahn, Stabilität des Golfstroms, Wolkenbildung, Methanausgasungen – und auch vom Kohlendioxidgehalt der Luft.

Klimaforscher füttern damit Computer und Klimamodelle. So werden zu erwartende Temperaturen und Niederschlagswerte errechnet. Die Güte dieser Klimamodelle wird zuvor getestet, indem bekannte Wetterdaten vieler Jahre eingegeben und die Ergebnisse mit dem tatsächlichen Klimaverlauf verglichen werden. Je besser der Vergangenheitstest, desto robuster das Zukunftsszenario. Verschiedene Rechnungen kommen auf einen Anstieg der globalen Mitteltemperatur von 1,5 bis 4 Grad. Im Februar vermeldet vom UN-Klimareport.

Die Spanne ist groß, da
- noch unklar ist, wie sich die
Bewölkung künftig auswirkt
- das Klima maßgeblich mit davon abhängt, ob die Kohlendioxidkonzentration drastisch oder nur mäßig steigt.

Die Zahlen sind nicht neu, diese wurden schon in den 70er Jahren veröffentlicht. Geändert haben sich seither nicht die Zahlen, geändert hat sich aber die Art der Debatte. Klimaszenarien werden ernster genommen, vor allem, seitdem die Forscher den Blickvom Globalen hin zum Regionalen zu schärfen vermochten. 2006 legte das Max-Planck-Institut für Klimaforschung Hamburg die erste große regionale Studie für Deutschland (REMO) vor. Im Januar 2007 präsentierte das Umweltbundesamt Dessau in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung eine verfeinerte Version. Die Forscher teilten Deutschland hierfür in elf Naturräume.

Sachsen-Anhalt gehört größtenteils zum Südostdeutschen Becken- und Hügelland. Der Harz wird in einem Extra-Naturraum (Zentrale Mittelgebirge) betrachtet. Für den mitteldeutschen Raum wurde bis 2100 ein Anstieg der mittleren Jahrestemperatur um 2 bis 2,3 Grad errechnet. Was zunächst nach viel aussieht, wird an anderen Werten deutlicher: In der Region Magdeburg wird sich die Zahl der Frosttage (Tagestiefswert 0 Grad) halbieren. Die Zahl der Sommertage (Tagesmaximum 25 Grad und mehr) und heißen Tage (30 Grad und mehr) wird sich in etwa verdoppeln.

Die Sommer werden noch trockener, es wird etwa 20 Prozent weniger regnen. Die Studie des Umweltbundesamtes sagt: "Das heißt, dass der sommerliche Niederschlagsrückgang insbesondere dort ausgeprägt ist, wo bereits weniger Niederschlag fällt." Dazu gehört ein Großteil Sachsen-Anhalts, der im Schatten des Harzes schon heute wenig Regen abbekommt. Zum Vergleich: In Magdeburg fallen im Jahresmittel 494 Millimeter, in Stendal 485 Millimeter; in Remscheid (Nordrhein-Westfalen) 1305 Millimeter.

Die Winter werden deutschlandweit feuchter, im Mittel zwischen 20 und 30 Prozent. Die regionalen Differenzen sind jedoch enorm: So errechnete man für Eifel und Hunsrück (Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) ein Plus von bis zu 80 Prozent, für den Osten Deutschlands aber nur eine geringe Zunahme.

Einzig im Harz dürfte etwas mehr herunterkommen, allerdings im Westharz mehr als im geschützten Osten. Ob das die Tourismusregion schneesicherer macht, ist fraglich. Denn auch im Harz wird die Zahl kalter Tage weniger. So sinkt die jährliche Zahl der Frosttage im Hochharz (Station Braunlage) von durchschnittlich 125 auf etwa 70 und die Zahl der Eistage mit Tageshöchstwerten von null Grad von 44 auf etwa 17. Angenehmer haben es die Sommerurlauber, da sich auch im Harz die Zahl der Sommertage verdoppeln wird. Welche Auswirkungen hat ein Klimawandel auf Wirtschaft, Natur und Wasserhaushalt?

In den nächsten sieben Folgen wird die Volksstimme Fakten zusammentragen sowie Fachleute, Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker zu Wort kommen lassen. Werden niedrige Pegelstände wie 2003 das Bild der Elbe dominieren, als der Schiffsverkehr zusammenbrach und Magdeburger im trockenen Flussbett der Alten Elbe im Sommer Picknick machten? Unterbrechen gewaltige Hochwasserwellen wie 2002 und 2006 diesen Trend? Studien liegen vor, die zeigen, was passiert, wenn alle Deiche brächen.

In der Landwirtschaft ist der Anbau von Gemüse wie Paprika oder Tomaten künftig möglich. Auch der wärmeliebende Mais, als Bioenergie-Rohstoff begehrt, könnte Landwirten gute Geschäfte bringen. Dagegen spricht aber die zu erwartende Trockenheit. In der Börde geht man deshalb dazu über, den Boden nicht mehr tief zu pflügen, um die Verdunstung zu minimieren. Vor großen Umstellungen steht die Energie- und Verkehrsbranche. Gelingt es Braunkohle-Stromerzeugern, das problemtische CO2 unterirdisch zu speichern, könnten sie ökologisch
bestehen.