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Teil 6 der Volksstimme-Serie: Wie die Psyche der Abnehm-Motivation auf die Sprünge helfen kann Mit Köpfchen gegen den inneren Schweinehund

Von Anja Jürges 22.03.2014, 02:21

Wer schon einmal Pfunde abgebaut hat, kennt ihn: den inneren Schweinehund. Er ruft nach Eis, Sahnetorte und Schokolade. Mit einem Plan, umgekrempelter Belohnungsstrategie und einer Mischung aus Bewegung und Entspannung können Sie ihn jedoch in die Flucht schlagen.

Magdeburg l Möchte man mit der Psyche beim Abnehmen nachhelfen, muss man zuerst verstehen, welche Rolle die Psyche beim Zunehmen spielt. Denn Übergewichtige haben oft Essprobleme. "Wenn man begreift, woher diese Probleme kommen, hat man einen Schlüssel, um etwas dagegen zu tun", sagt Jörg Frommer. Er ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uniklinik Magdeburg. "Dieser Schlüssel ist bei Essstörungen eben das Essen."

Um zu verstehen, weshalb das Essen zur Krankheit werden kann, muss man auf die Ursprünge der biografischen Entwicklung eines Menschen zurückblicken. "Da ist die mütterliche empathische, liebevolle Fürsorge oft eng verknüpft mit der Nahrungsaufnahme", sagt Frommer. "Kinder bekommen die Zuneigung, eben weil sie Kinder sind." Als Erwachsener müsse man hingegen etwas dafür tun, um Beziehungen positiv und befriedigend zu gestalten. Versäumt man das, ist die Gefahr groß, sich über die Nahrung das zu holen, was gut tut. Der Liebeshunger muss gestillt werden - sei es mit Eis und Schokolade.

Ein Plan sorgt für Willensstärke

Die Versuchung ist groß in unserer Welt mit gefüllten Regalen. "Geht man durch die Innenstadt, findet man mehr als 50 Möglichkeiten zu essen", sagt Frommer. Selbst Geschäfte, die eigentlich etwas anderes verkaufen als Nahrungsmittel, setzen gezielt auf den Verkauf von Süßem - beispielsweise Tankstellen. "Abnehmen hat also auch etwas zu tun mit Widerstand gegen die Verführung", sagt der Psychosomatiker. Die Willensstärke, die dafür notwendig ist, gewinnt man durch einen Plan:

Entscheiden Sie konkret, was Sie künftig zu sich nehmen und was nicht.

Stellen Sie keinen reinen "Verzichtsplan" auf. Ein Programm voller Verbote führt zu Heißhungerattacken. Geht man diesen nach, meldet sich schnell der Jo-Jo-Effekt.

Ersetzen Sie die Hauptverführer und "Geschmacksträger" Zucker und Fett durch gute und interessante Geschmacksrichtungen. Diese können durch Gewürze oder qualitativ hochwertige Produkte erreicht werden. Haben Sie Mut und Fantasie, neue gesunde Nahrungsmittel auszuprobieren.

Bei allem dürfen Sie die Kalorien nicht aus den Augen verlieren. Entscheidend fürs Zu- oder Abnehmen ist die Tagesbilanz: Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig essen. Finden Sie ein gesundes Mittelmaß. Das haben wir in Teil 1 der Serie ausführlich erklärt.

Ernährungswissenschaftler empfehlen keine "schleichende" Umstellung der Ernährung, sondern einen harten Umbruch mit zwei bis drei "Zündungstagen". Während dieser Tage sollten Sie die Ernährung kurzzeitig drastisch auf ein Minimum herunterfahren. Für diese Tage gibt es allerlei Produkte zum Beispiel in der Apotheke. Ignorieren Sie jedoch die Angaben der Hersteller, die wochenlange Entbehrung empfehlen. Das provoziert den Jo-Jo-Effekt. Nach zwei bis drei Tagen sollten Sie nach und nach wieder mehr auf Ihren Speiseplan nehmen.

Während anfangs die Pfunde purzeln, zeigen sich die Fortschritte später nicht mehr so kontinuierlich. Wiegen Sie sich nicht zu häufig. Zwischenziele können außerdem helfen, die Motivation auf Trab zu halten. Ist eines erreicht, gibt es eine Belohnung.

Doch Vorsicht: Belohnen Sie sich nicht mit Schokolade oder Eis. Es gibt viele Belohnungen, die nicht dick machen. Das können zum Beispiel sein:

das Hemd oder die Hose, die schon jahrelang nicht mehr gepasst haben, endlich wieder tragen zu können

sich ein schönes neues Kleidungsstück kaufen

Bewegung (hinterher fühlen Sie sich sicher wohl)

Musik hören oder einen Film ansehen

Konzerte besuchen

vernachlässigte Beziehungen auffrischen

telefonieren

den Garten oder Balkon gestalten

Heimwerken

sich kreativ betätigen (malen, basteln, fotografieren)

"Insgesamt sollten Sie mehr in zwischenmenschliche Beziehungen investieren", rät Jörg Frommer. Dann benötigen Sie weniger Aufmerksamkeit aus Zucker und Fett.

Außerdem lohne es sich zu überlegen, was früher Interessen waren. "Für diese Dinge sollte man sich wieder Zeit nehmen", sagt Frommer.

Entscheidend ist letztlich das Körpergefühl. "Viele Menschen haben die Beziehung zu ihrem Körper verloren", sagt Frommer. Gründe dafür sind zu wenig Bewegung und die stets temperierten Räume. Wir müssen uns weder körperlich anstrengen noch Temperaturschwankungen ausgleichen. Mit der Folge einer gestörten Körperwahrnehmung.

Ins Lot bekommen wir diese durch Bewegung. "Bewegung hat zwei Vorteile beim Abnehmen: Kalorienabbau und ein besseres Körpergefühl", erklärt Frommer. Dabei müssen Sie weder Marathon laufen noch Leistungssport treiben. "Ein ausgedehnter Spaziergang im Freien, Schwimmen oder Radfahren genügen völlig."

Geeignet sind auch "Entspannungs-Sportarten" wie Yoga und Tai Chi. Dabei wird sanfte Bewegung mit Konzentrations- und Entspannungsübungen verbunden. "Das kann zum Wohlbefinden beitragen", sagt Frommer. "Jedoch sollte man sich dabei keine Ideologie überhelfen lassen, an die man gar nicht glauben möchte."

Bewegung bringt das Körpergefühl ins Lot

Yoga ist jedoch kein Patent zum Abnehmen. "Es hilft dabei, das Bewusstsein für den Körper und die Ernährungsgewohnheiten zunächst zu wecken und zu verändern", sagt Yogalehrerin Gisela Bosrup. Dazu trage auch die Möglichkeit bei, im Alltag entspannen zu lernen. "Dadurch richtet man sich mental so aus, dass man sich nicht ausschließlich mit dem Fasten oder Abnehmen beschäftigt."

Yoga könne dabei helfen, eine gewünschte Verfassung, Ausrichtung oder Eigenschaft in positiver Formulierung im Unterbewusstsein zu verankern. "Das ist wichtig, denn das Unterbewusstsein ist viel stärker als irgendwelche Pläne", sagt Gisela Bosrup.

Der Intellekt hat die überschüssigen Pfunde vielleicht schon eingesehen, doch das Unterbewusstsein will Fett und Zucker. Hier könne Yoga eine Brücke schlagen, so Bosrup. "In der Tiefenentspannung des Yoga Nidra sind wir sehr aufnahmefähig für positive Affirmationen in diese Richtung. Damit füttern wir unser Unterbewusstsein."

Ist man noch nicht vertraut mit den Praktiken des Yoga, sollte man zunächst gut überprüfen, welche Yogarichtung oder -tradition angeboten wird. "Nicht alles, wo Yoga draufsteht, ist tatsächlich traditionsgebundenes Yoga."

Motivierend können ebenfalls Sportgruppen sein. Feste Termine sagt man seltener ab, als die Verabredung zum Laufen allein. Wer aus dem Motivationsloch ohne Essen trotz aller guten Vorschläge nicht mehr herauskommt, sollte sich ärztliche Hilfe holen. "Denn dann könnte eine depressive Störung vorliegen, die behandelt werden muss", sagt Jörg Frommer.

Teil 7 am Donnerstag (27. März): "Angeboren oder angefuttert?" - Mit Hilfe genetischer Untersuchungen soll die Ernährung fein justiert werden

Bereits erschienen: "Der verdammte Jo-Jo-Effekt" (6.3.); "Runter vom Zuckerberg (8.3.); "So kriegen Sie Ihr Fett weg" (13.3.); "Frühjahrsputz für Körper und Geist" (15.3.); "Volle Kanne Vollkorn" (20.3.)