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Teil 1 der großen Volksstimme-Serie Ein ganz neues Interesse an Magdeburgs Seele

Von Caroline Vongries 28.03.2009, 05:30

Braut, Königin, Geliebte, durch Jahrhunderte verehrt wie eine Heilige. Editha ( 910-946 ), Frau von König Otto dem Großen, ist untrennbar mit der Geschichte von Magdeburg und Sachsen-Anhalt verbunden. Die Volksstimme geht in einer großen Serie auf Spurensuche.

Magdeburger Dom, Chorumgang, Januar 1999, es ist kalt. " Mama, wo ist Editha ?" Ein kleines Mädchen, viereinhalb Jahre, steht vor dem Sarkophag der Königin, den die Historiker damals noch Kenotaph nennen, Scheingrab. Der Domführer gibt Auskunft : Editha liege dort nicht begraben. Dabei ist das Grab ihres Gatten, Otto I ., genannt der Große, nicht weit. Und der wollte ausdrücklich neben seiner ersten aus England stammenden Frau bestattet werden.

Das weiß die kleine Hannah nicht. Dennoch ist sie unzufrieden : " Mama, warum ist Editha da nicht drin in dem Sarg ?" Gute Frage, Kind. Hannah legt den Finger an die Nase, lässt sich noch einmal hochheben, wirft einen ernsten Blick auf die lebensgroße steinerne Reliefabbildung der Königin auf dem Sarkophagdeckel, will wieder herunter, zieht die Mutter noch einmal zur Rotunde in der Mitte des Doms. Darin thronen, beleuchtet, die Gründerf guren.

Das Mädchen schaut der Königin prüfend ins Gesicht. " Das ist Editha mit Otto. " Laut Infotafel ist das wenig wahrscheinlich : Es soll sich um eine Darstellung der Ecclesia, also der Kirche, und Christus als König der Könige handeln. Das Rätsel um die Königin Editha bleibt an diesem Wintertag im Dom ungelöst.

Zehn Jahre nach dieser Begegnung mit der Magdeburger Herrscherin hält die so lange verschwundene und 1063 Jahre nach ihrem Tod wie wiedererschienene Königin das Land in Atem. Der spektakuläre Fund ihrer ( mutmaßlichen ) Gebeine in dem Steinsarkophag von 1510, ein Jahrhundert lang für ein Scheingrab gehalten, bewegt nicht nur die Magdeburger. Der Abtransport der im Inneren vorgefundenen Bleikiste und seines kostbaren Inhaltes nach Halle hat gerade in der Landeshauptstadt die Wellen hoch schlagen lassen.

Mysteriös bleibt einiges : Wurde das Grab nach dem Zweiten Weltkrieg von den Besatzungsmächten bereits geöffnet, wie es ein anonymer Mailschreiber mit dem Pseudonym Harald Schmitler der Volksstimme versicherte ? Hat gar jemand, wie gleichfalls behauptet, in den 1970 er Jahren einen ( verbotenen ) Blick unter den Sargdeckel geworfen ? In der Tat : Die Bleikiste ist stark ramponiert. Beschädigungen könnten auch aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen, als Magdeburg, die Stadt, die Otto I. seiner ersten Gemahlin am Tag nach der Hochzeit als Morgengabe geschenkt hatte, dem Erdboden gleichgemacht wurde. Kursiert doch noch ein Ring, ein Haarreif ? Oder wird uns gar die Krone der Editha mit einer Exklusivstory als nächste Sensation präsentiert ?

Welche Rolle hat diese Frau gespielt ?

Wer ist, wer war diese Frau, die 1100 Jahre nach ihrer Geburt nicht nur die Fachwelt beschäftigt und von der wir kaum etwas wissen ? Welche Rolle hat sie gespielt für die Konsolidierung der Herrschaft ihres Mannes gerade in den unruhigen und gefährlichen Anfangsjahren ?

Die Geschichtsschreiber haben sich für Editha bisher nicht sonderlich interessiert. Reihenweise füllen Publikationen über ihren Ehemann, den zweiten Sachsen auf dem ostfränkischen Königsthron, unter dessen Vorherrschaft sich allmählich die Grundlagen des späteren Deutschlands herausbildeten, die Bücherregale. In der Schule wird gebüffelt : Otto gleich Begründer des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Seine Mutter Mathilde, seine spätere Ehefrau Adelheid und die Schwiegertochter Theophanu sind in den vergangenen Jahren stärker in den Mittelpunkt gerückt. Editha aber blieb im Hintergrund. Eine Broschüre über die Königin gibt es nicht.

Dennoch : Die Magdeburger haben ihre Königin nie vergessen. Nach einigen zeitgeschichtlichen Brüchen sind Otto und Editha, das hier verwurzelte Herrscherpaar des Mittelalters, im kollektiven Gedächtnis der Stadt wieder höchst lebendig. Mit " Entzücken " hat man viele hundert Jahre nach deren Tod " von dem großen Otto " und " seiner hochseligen Gemahlin " gesprochen, berichten die Stadtgeschichten und Legenden Magdeburgs. 1817 werden ausführliche Beschreibungen der feierlichen Umbettung Edithas und Ottos im Jahr 1510 veröffentlicht. Die farbenreich beleuchtete Prozession wird als gesellschaftliches Ereignis höchsten Ranges geschildert. Zwei eigenständige Züge habe es gegeben : Dem Sarg Ottos folgten Erzbischof, Burggraf und Domprobst. Dem Sarg der Königin der päpstliche Legat und der kaiserliche Botschafter, sowie die Prominenz der Stadt inklusive Zünfte und Handwerker. Die ganze Stadt war auf den Beinen.

Nebenbei erschließt sich beim Lesen des Textes, dass man offenbar bereits 1817 und früher davon ausgegangen sein muss, dass der ursprüngliche, ottonische Dom tatsächlich neben dem heutigen Dom stand. Das wurde in unserer Zeit erst durch die jüngsten Grabungen auf dem Domplatz ab 2001 als " neu " wiederentdeckt.

Beim Thema Editha bekommt heutzutage auch der Kultusminister leuchtende Augen : " Eine Frau mit Charisma ", so Jan-Hendrik Olbertz. Die gleiche Begeisterung herrscht vor bei Politikerkollegen, Professoren, eigentlich bei allen, die man fragt. Zum Beispiel diejenigen Magdeburger, Wanzleber, Wolmirstedter und andere, die auch heftiger Regen und Kälte nicht davon abhalten können, an der sonntäglichen Editha-F ührung in der Landeshauptstadt noch in der Wintersaison teilzunehmen.

Editha — das klingt wie eine Verheißung, ein Versprechen. Eine geheimnisvolle Frau, die wiederentdeckt werden will. " Editha ist Magdeburg ", darauf hatte das Stadtoberhaupt Lutz Trümper jüngst im Streit um die Grabkiste beharrt.

Auf Editha als Repräsentantin für Stadt und Land setzen die Marketingexperten. Auch der Editha-Taler ist Teil der Editha-Begeisterung, die die Landeshauptstadt erfasst hat. Indes nicht ganz : Im Souvenirshop am Domplatz glaubt man keineswegs ganz fest an eine Editha zum Mitnehmen. " Das ist vielleicht doch nur ein Strohfeuer ", sagt die Verkäuferin. Die Editha-Ecke im Kulturhistorischen Museum wiederum ist der Renner. Die Fachwelt ist ohnehin elektrisiert durch den " wichtigsten mittelalterlichen Fund der vergangenen Jahre ", wie es das Landesamt für Archäologie hat wissen lassen.

Unabhängig von Editha hat vor allem in den vergangenen zehn bis 20 Jahren ein reges Interesse an der Betrachtung weiblicher Führungsgestalten im Mittelalter eingesetzt, im Wissenschaftsbetrieb bis hin in die Öffentlichkeit. " Die Königin im mittelalterlichen Reich " heißt das grundlegende Standardwerk von Amalie Fößel, Professorin in Essen und Duisburg. Nicht zuletzt der Wirbel um Editha in Sachsen-Anhalt hat jetzt dem Thema einen weiteren Schub gegeben : In Magdeburg liebäugelt man für 2012 unter dem Motto " Otto imperator " Editha zum Anlass zu nehmen, die " Königinnen- und Kaiserinnengattinnen " einmal ordentlich unter die Lupe zu nehmen. Museumschef Professor Matthias Puhle nennt deren Rollen " immer noch unterbelichtet ".

In den historischen Quellen kommt Editha vor allem bei Widukind von Corvey ( um 925 bis 973 ), Thietmar von Merseburg ( 975 bis 1018 ) und Roswitha ( Hrotsvit ) von Gandersheim ( 935 bis nach 973 ), der Kanonisse aus dem von den Ottonen gegründeten gleichnamigen Stift, vor. Adalbert von Weißenburg, ab 968 Erzbischof von Magdeburg, berichtet seinerseits. Einiges wissen wir von Liutprand von Cremona ( 920 bis 972 ). Manche Aufzeichnungen sind, wie für die Zeit üblich, im Nachhinein und vom Hörensagen entstanden. Es gibt zudem sieben Urkunden, die die Intervention der Königin vor allem zugunsten verschiedener Klöster ausdrücklich bestätigen. Es gibt Chroniken, Annalen, indirekte Hinweise. Magdeburg bewahrt die wunderbaren Legenden um die Königin Editha, der die zweite Gründung der Stadt an der Elbe zugeschrieben wird.

Nicht immer ging es um die historische Editha

Wer sucht, wie die Hallenser Historikerin Gerlinde Schlenker, die sich seit Anfang der 1990 er Jahre mit den " Ottoninnen " befasst, fand auch Maler, Dichter, Schriftsteller, sogar Musiker, die sich in späterer Zeit von der ersten Frau Ottos haben inspirieren lassen. Nicht immer ging es dabei um die historische Editha. Im Bestand der Magdeburger Stadtbibliothek befndet sich ein zweibändiges Epos von 1887 : " Otto und Editha ". Voller Pathos und detailreich ausgeschmückt werden dort erste Begegnung, Romanze, Hochzeit des Ottonenpaares, sowie erste politische Kämpfe beschrieben.

Überhaupt war dem historisierenden und national bewegten 19. Jahrhundert die erste Gemahlin Ottos, Editha, näher als die spätere Kaiserin Adelheid. Anders als in früheren und späteren Generationen. Die Beilage zur Magdeburgischen Zeitung veröffentlichte 1880 zwischen Betrachtungen zur Zahngesundheit bei Pferden oder der Frage, ob die Vorhersage des Wetters überhaupt Aufgabe der Wissenschaft sei, ebenfalls biografsche Notizen zu Editha. Dort ist die Benennung der höheren Töchterschule in Magdeburg nach der Königin Editha ausdrücklich erwähnt. Editha wird als Vorbild für den weiblichen Nachwuchs dargestellt. Gerade weil sie sich nicht ins Kloster zurückgezogen, sondern mitten im Leben ihre Frau gestanden habe.

Manche Historiker stilisierten nach den gescheiterten Bemühungen um eine nationale und demokratische Einheit in Deutschland nach 1848 den Aufstieg sächsischen Königtums und des ostfränkischen Reichs 800 Jahre zuvor gern ein wenig. Und werteten die frühen Herrschaftsjahre Ottos ( und die seines Vaters Heinrich I. sowieso ) höher als Ottos späteren Zug nach Italien, der ihn erst zum Kaiser machte. Editha erschien in dieser Lesart als die bodenständigere und heimatverbundenere Frau an des Königs Seite – " deutscher ", auch wenn sie ursprünglich aus England kam.

Im Nationalsozialismus wurde Otto, gerade was die Expansion Richtung Osten betrifft, endgültig ideologisch vereinnahmt. Für starke Königinnen jenseits der Mutterrolle hatte man – germanische Wurzeln hin oder her – aber auch unter Hitler nichts übrig. Der DDR passten die Ottonen, ob männlich oder weiblich, ohnehin nicht ins Bild. Im Gegenteil. Ein Blumenstrauß auf Ottos Grab in den 1970 er Jahren provozierte zwei Jahre angestrengte Ermittlungstätigkeit der Staatssicherheit.

Es ist vor allem das Verdienst der großen Ausstellungen des Kulturhistorischen Museums Magdeburg nach der Wende, Stadt und Land in vernünftigem Maße wieder mit der Dimension der hier verwurzelten königlichen und kaiserlichen Politik im europäischen Zusammenhang vertraut zu machen. Ein Kapitel war schon zur ersten Otto-Ausstellung den Königinnen, ein weiteres den " starken Frauen der Ottonen : Edgith, Adelheid, Theophanu " gewidmet. Die Königin habe " an Stellung und Handlungsspielraum des Herrschers " in einer für uns heute schwer fassbaren Weise nicht nur teilgehabt, heißt es dort. " Sie erschloss dem Königtum auch weitere Möglichkeiten ", ist sich der Bayreuther Geschichtsprofessor Ludger Körntgen sicher. " Wir müssen uns von dem bis vor kurzem auch in der Wissenschaft gängigen Vorurteil verabschieden, das Mittelalter sei von Frauenfeindlichkeit gekennzeichnet gewesen ", bringt er es aus heutiger Sicht auf den Punkt.

Im Gegenteil. " Gerade das 10. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Frauen ", weiß Gerlinde Schlenker. Eine veränderte Stellung der Königin bis hin zur " consors regni ", der echten Teilhaberin der Macht bzw. des Königtums, stellt Professor Amalie Fößel fest : Bei den Karolingern sei die Frau noch auf die Sicherung der Dynastie, Haus- und Hofhaltung sowie auf reine Repräsentationspf ichten beschränkt gewesen. Unter den Ottonen habe sich dieses Spektrum " um politisch-öffentliche Aufgaben " erweitert.

Editha ist aber selbst für Fößel nur ein Randthema. Möglicherweise habe sie am politischenGeschehenteilgenommen und " vielleicht " habe sie auch versucht, darauf Einf uss zu nehmen. Dafür fehlten schlicht die Nachweise, meint die Expertin für mittelalterliche Königinnen. Andererseits bricht Fößel eine Lanze für Edithas Krönung und Salbung zur Königin. Die wurde nämlich von ganzen Wissenschaftlergenerationen entweder nicht ernst genommen oder ganz in Frage gestellt.

Noch sind es Mosaiksteine

Inzwischen hat eine ganze Anzahl von Wissenschaftlern begonnen, auch von Editha schärfere Bilder zu entwickeln. Noch sind es Mosaiksteine. Doch die Gestalt der Königin wird mehr und mehr erkennbar. Edithas Beitrag zur Dimension der Politik Ottos bleibt im Gesamtzusammenhang noch zu beschreiben. " Es ist an der Zeit, dass wir Editha neu entdecken ", betont Gerlinde Schlenker aus Halle. " Überhaupt wissen die Menschen so wenig über die Ottoninnen. " Dabei sei das Interesse an weiblichen Lebenszusammenhängen im Mittelalter erfreulich groß. Zunehmend werde Editha von Studierenden an den Universitäten des Landes als Prüfungsthema gewählt. " Die Hörsäle oder Vorträge zum Thema sind voll. "

Jenseits aller noch offener Fragen spricht man in Magdeburg wieder lebhafter über die eigenen historischen Wurzeln. Und außerhalb des Landes über Sachsen-Anhalt. " Editha ist ein Stück Magdeburger Seele ", sagt Gabriele Schuster, selbst gebürtige Magdeburgerin und gemeinsam mit ihrem Mann, dem Denkmalpfeger Hans Schuster, Mitbegründerin der Magdeburgischen Gesellschaft. Selbst im rheinischen Köln nimmt die Öffentlichkeit – Editha sei Dank – mittlerweile ein wenig vergrätzt zur Kenntnis, dass der ältere gotische Dom in Deutschland ein paar hundert Kilometer weiter östlich steht.