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Teil 5 der großen Volksstimme-Serie "Hier könnte ich froh sein!" – Das Liebesnest

Von Caroline Vongries 03.04.2009, 05:05

In den ersten sieben Jahren ihrer Ehe verschwinden Editha und Otto von der politischen Bühne. Das gibt den Historikern Rätsel auf. Vielleicht war das junge Ehepaar einfach privat unterwegs. Schließlich waren der amtierende König, Ottos Vater Heinrich, und dessen Frau Mathilde, noch voll im Geschäft. Eine Spurensuche in Frohse – heute ein Stadtteil von Schönebeck – lohnt sich. Dort soll sich das Liebesnest von Otto und Editha befunden haben.

Über dem Salzland hängen in diesen Tagen noch Nebelschwaden am frühen Morgen. Zumal in Richtung Elbe. Der Wind geht durch und durch. Nicht gerade ideale Umstände, ein sagenumwobenes Liebesnest wiederzuf nden. Auf dem Stadtplan ist Frohse ein Zipfel der Stadt Schönebeck, der in den großen Fluss hineinragt. 711 soll es hier, in Sichtweite Magdeburgs, bereits einen Turm gegeben haben. Ottos Vater, Heinrich I ., schreiben es die heutigen Einwohner zu, den Platz an der Elbe befestigt und den Burgturm zu einem Burgward – eine Befestigungsanlage – ausgebaut zu haben. Otto selbst soll dann einige Meter weiter entfernt einen prächtigen Königshof errichtet haben.

" Ja, die Burg von Otto ", sagt Herbert Boden, Frohsianer, ein freundlicher Mann in den Sechzigern, bedächtig und schaut Richtung Fluss. Sein Grundstück grenzt direkt an die Elbwiesen. Die Menschen in Frohse leben seit Jahrhunderten mit dem Fluss. " Hier die Bepfanzung hat man schon früher gegen das Hochwasser angelegt ", zeigt Boden. Allerdings nicht zu Ottos und Edithas Zeiten, denn da verlief das Flussbett der Elbe 500 Meter weiter östlich. " Die Burg, die soll’s hier mal gegeben habe, ja. " Und wo ? Boden schaut elbabwärts : " Gehn Sie mal da lang !"

Die Straße heißt tatsächlich Burgwall. Nach ein paar hundert Metern lande ich schließlich im Hafenbereich. Alles Asphalt und Platten. Im Hintergrund Silos, ein Kieswerk, ein Schrotthandel und schräg gegenüber – ein Puff. Nach einer für die Weltgeschichte folgenreichen Romanze sieht es hier nicht aus. Ebenso wenig nach Mittelalter.

Ein Schild weist Richtung Campingplatz. Noch ein Hinweis " Unbefugten betreten verboten ". Ein bellender Labrador verleiht der Botschaft Nachdruck. Der Herr über Hund und Grundstück pfeift den Hund zurück. " Yachthafen " ist mit der Hand auf eine große Plane geschrieben. Hier, wo der Solgraben in die Elbe mündet, kann man im Sommer in der Elbe baden. Auf der anderen Seite des Grabens die ehemalige Schifferschule.

" Hier gibt es keine Burg. " Der Campingplatzbetreiber ist sich sicher. " Auch vor tausend Jahren nicht. " Er setzt nach : " Höchstens vor zehntausend. " Auf dem Rückweg, diesmal über die grün schimmernden Elbwiesen, gibt doch noch eine Informationstafel Aufschluss über die Lage der Burg Frohse und die schöne Geschichte vom Stelldichein Ottos und Edithas.

Direkt am Hafenbecken soll der Königshof gelegen haben. 1924 wurde dort der Elbhafen Frohse fertiggestellt. Auch die Burg Frohse habe zur Morgengabe Ottos an Editha gehört, vermerkt der Elbuferförderverein. Das hohe Paar soll die ein oder andere schöne Stunde hier – abseits des höfschen Protokolls – verbracht haben.

Luidolf kam ein Jahr nach der Hochzeit

Auf einer Sandbank sitzen Hunderte von Möwen. Am Himmel kündigt eine Wildgänseschar vom Frühling. Eine charmante Vorstellung ist es, Editha und Otto, jung, verliebt, lebensfroh in dieser Kulisse auftauchen zu lassen. Etwas wärmer könnte es sein. Mit wehendem Schleier ist sie hier vielleicht entlang geritten oder gelaufen, mit Otto, ohne Otto, später mit den Kindern. Erst mit Liudolf, der planmäßig im Jahr nach der Hochzeit geboren wurde. Dann kam Luitgard. Glückliche Stunden, durchatmen : Königliches Entspannen in Frohse. Alles was zählt, ist der Augenblick, Leben. Alles scheint möglich.

Noch sind die Schatten nicht sichtbar : die harten, blutigen Kämpfe, die Otto zu bestehen hat – gegen den eigenen Bruder, Schwager, enge Verbündete, äußere Feinde, Slawen und Ungarn. Den Mann zu lieben, der im Zentrum all dieser Anfeindungen und Angriffe steht, muss später an die Grenzen des Erträglichen gehen. Ständige Gefährdung. Die Angst teilt Editha mit vielen Frauen – nicht nur ihres Zeitalters. Von der Mutter wird ihr die Sorge um den Krieg führenden Vater bereits vertraut gewesen sein. Wo hat sie ihre Zuversicht hergenommen ? Der Tod war im Mittelalter gegenwärtig. Auch deshalb machte man sich frühzeitig Gedanken um Seelenheil und Memoria, Andenken, über den Tod hinaus. Halt fanden die Menschen in ihrem Glauben.

Und Otto ? In den Momenten von Lebensgefahr – was hat es dem König bedeutet, neben dem Gott im Himmel, für den zu sterben täglich erforderlich sein konnte, zumindest einen Menschen auf der Welt zu wissen. Eine Frau, für die am Leben zu bleiben sich lohnte. In Zeiten, in denen Gewalt an der Tagesordnung war, brauchte es Rückhalt, Rückbindung. Das bedeutet wörtlich übersetzt im übrigen das lateinische Wort " religio ". Editha hat ihrem Mann offenbar menschlich einen solchen Ort geboten. Thietmar von Merseburg setzt es in Bezug : " Aus allen offenen und geheimen Gefahren ging Otto durch die Gnade des Herrn und die unablässige Fürsorge seiner heiligsten Gemahlin stets wohlbehalten hervor. "

Die ersten sieben Jahre Ehe, Zeit, dass Vertrauen wachsen konnte. Grundlage für alles, was folgen sollte. Die kleine Familie konnten sich fnden. Der späteren Rolle Edithas als Landesmutter geht das persönliche Muttersein voraus. Glaubt man der Historikerin Gerlinde Schlenker war Editha auch in dieser Beziehung eine Ausnahmefrau. " Sie ließ es sich nicht nehmen, ihre beiden Kinder, Liudolf und Liutgard, selbst zu erziehen. " Das sei nicht üblich gewesen. Natürlich Spekulation zu mutmaßen, das könnte eine Reaktion auf die eigene Kindheit Edithas sein, in der es durch den frühen Tod der Mutter für die insgesamt mehr als 14 Geschwister möglicherweise an mütterlicher Zuwendung gemangelt hat. In jedem Fall hat Editha mütterliche Qualitäten entwickelt. Genau dafür wird sie später von ihrem Volk bis über den Tod hinaus geliebt werden.

" Mama, erzählt uns von damals in England "

Wieso sollte sie die Bildung Liudolfs und Luitgards nicht selbst in die Hand genommen haben und ihre Kinder lesen und schreiben gelehrt, mit ihnen gesungen und musiziert, ihnen Geschichten vorgelesen haben ? " Mama, erzählt uns von damals in England ", werden die Kinder vor dem Zubettgehen gebettelt haben.

Die Königin wird sich dafür eingesetzt haben, dass ihre Kinder eine vernünftige Ausbildung bekommen. Von Liudolf wird das in den Chroniken auch berichtet. Ob Liudolf und Luitgard von der später so berühmten Klosterschule Sankt Mauritius in Magdeburg proftiert haben ? Das ist eher unwahrscheinlich. Das Kloster wird erst 937 gegründet. Die Schule kommt erst danach, entwickelt sich dann aber schnell zu einer angesehenen Einrichtung. Heute leitet das Ökumenische Domgymnasium Magdeburg seine Wurzeln daraus ab.

Wie zerbrechlich das Glück ist : Edithas früher Tod mit 36 Jahren ist in dieser unbeschwerten Anfangszeit nicht ahnbar. Hat der immense Druck, unter dem Königin und König später standen, die Verbindung beschädigt ? Die Quellen schweigen. Den Tod hat diese Liebe überdauert : Otto trauerte vier Jahr lang und bewies der ersten Frau auch bei der Wahl seines eigenen Grabes neben ihr die Treue.

Nach dem Tod der Mutter werden sich beide Kinder, Liudolf und Luitgard ( und ihr späterer Ehemann Konrad der Rote ), gegen den eigenen Vater wenden. Natürlich geht es dabei um persönliche Machtansprüche nach Ottos Heirat mit Adelheid, vier Jahre nach Edithas Tod. Vielleicht haben auch die Kinder dem Vater das zweite Eheglück nicht gegönnt. Wie Otto all die persönlichen Angriffe der ihm am nächsten stehenden Menschen weggesteckt hat – kaum zu ermessen. Heftige Konf ikte hatte er nach dem Tod seines Vaters auch mit seiner Mutter Mathilde. Manche Historiker haben Editha die Schuld am Konfikt Ottos mit seiner Mutter gegeben. Die englische Königin habe sich schwer damit getan, sich in die sächsische Familie zu integrieren.

Zunächst ist die Welt noch in Ordnung, ob in Frohse, Magdeburg oder wo sonst die junge Familie sich aufgehalten hat. Es tut gut, sich abseits der von Krieg und Gewalt nur so strotzenden Chroniken des Mittelalters hier eine Idylle vorzustellen, eine heile Welt der Ottonen, wenn auch nur für kurze Augenblicke. Hier in den Elbwiesen ist das Lachen der Editha zu hören. Eine strahlende Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, ihr Land und ihr Volk lieben lernt. Eine Frau mit praktischem Sinn, die sich traut, genau hinzuschauen und etwas zu tun. Soziales Engagement heißt das heute.

Noch einmal Frohse. " Hier könnt ich froh sein ", soll Editha beim Anblick der Elbe ausgerufen haben. " Froh Se. " Die Historiker rümpfen die Nase. " Sei es wie es wolle ", heißt es in der Dorfchronik des Fleckens an der Elbe, " so viel steht fest. Dass der Aufenthalt der königlichen Familie auf dem Königshof für Frohse eine Neugeburt wurde. "

Freilich ist historisch nicht gesichert, dass es sich bei dem in den königlichen Urkunden auftauchenden Königshof tatsächlich um das Frohse im heutigen Schönebecker Gebiet handelt. Es soll auch auf dem Magdeburger Terrain ein Frose gegeben haben, das später zerstört wurde. Die Geschichte vom Liebesnest abseits der Öffentlichkeit bleibt dennoch reizvoll. Und suchen wir nicht alle irgendein Frohse, einen Ort, an dem wir froh sein können ? Ganz gleich, wo der liegen mag.