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Wie der abgewählte FDP-Abgeordnete Jens Ackermann und seine Mitarbeiter den Absturz erleben Schafe hüten statt Gesetze eintüten

Die Pulverisierung der FDP-Fraktion im Bundestag greift tief in
persönliche Schicksale ein. Bis hinein in die sachsen-anhaltische
Provinz, wo Jens Ackermann in der Börde sein Mandat verloren hat.

Von Steffen Honig 04.10.2013, 03:11

Wanzleben l "Na Seppl, wie geht\'s?", begrüßt Jens Ackermann den betagten Wallach auf dem Familienacker am Rande von Bottmersdorf bei Wanzleben in der Börde. Der Freizeitbauer Ackermann kommt jetzt öfter: Seit die Freien Demokraten aus dem Parlament geflogen sind, hat der bisherige FDP-Bundestagsabgeordnete Ackermann Zeit, viel Zeit für sein Hobby.

Es gibt Kartoffeln und Rüben zu säen und zu ernten sowie eine kleine Schafherde mit Bock Anton an der Spitze zu versorgen. Ein besonderes Auge gilt Mutterschaf Charlotte, das gerade Nachwuchs erwartet. "Selbstversorgung wird immer wichtiger", meint Ackermann verschmitzt und fügt hinzu, dass die Euro-Krise schließlich noch nicht vorbei sei.

Ein wenig Galgenhumor darf sein, auch wenn dem 38-Jährigen wahrlich nicht zum Lachen zumute ist. Nicht nur die FDP-Abgeordneten, sondern eine Heerschar von Mitarbeitern sind nun auf der Suche nach einem neuen Job. Ein Auffangnetz gibt es nicht.

Für Jens Ackermann, verlobt und Vater eines Sohnes, sind die Ausstiegshärten abgemildert. Für jedes seiner acht Jahre im Bundestag erhält er ein Abgeordneten-Monatsgehalt. Seine Wanzleber Mitarbeiterin Bärbel Kollo steht hingegen vor dem beruflichen Nichts: "Mit Ende 50 - was soll da noch werden?", fragt sie resigniert. "Wir haben ja geahnt, dass es knapp werden würde, aber das Ergebnis war dann doch ein Schock."

Ackermann: "Das ist das größte Problem. Meine Mitarbeiter müssen Bewerbungen schreiben, ich habe schon Anfragen erhalten." Der Diplommedizinpädagoge kann sich gut vorstellen, wieder im sozialen Bereich zu arbeiten. Das müsse er aber gründlich mit der Familie - seine Eltern haben einen privaten Rettungsdienst - besprechen.

Erst mal wird reiner Tisch gemacht: Ackermann ist auch als Kreischef der Börde-FDP zurückgetreten. Begründung: "Die FDP-Fraktion ist für ihre schlechte Arbeit bestraft worden. Ich war Teil der Fraktion und ziehe daher die Konsequenzen. Es müssen jetzt jüngere Leute ran." Ganz zurückziehen aus der Politik will sich Hobby-Bauer Ackermann aber nicht. Er behält seinen Sitz im Kreistag und plant, bei den Kommunalwahlen 2014 erneut zu kandidieren. "Ich bin ein Mann der Basis, hier ist meine politische Heimat, die ich nicht aufgeben möchte."

Über das, was alles schief gelaufen ist bei den Freien Demokraten in der schwarz-gelben Regierung, grübelt Ackermann reichlich nach. "Auf jeden Fall ist es schizophren, dass Merkel an der absoluten Mehrheit kratzt, und die FDP kratzt ab."

Welche Gedanken FDP-Landeschefin Cornelia Pieper sich darüber macht, muss offen bleiben. Derzeit ist sie weit weg von den Problemen zu Hause - auf Dienstreise in Argentinien. Noch rufen die Regierungsgeschäfte einer Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Piepers Reise-Radius wird sich demnächst rapide verkleinern - Burgenlandkreis statt Buenos Aires.

Oder Magdeburg: Beim dortigen FDP-Verband hat Kreischefin Lydia Hüskens bei der ersten Vorstandssitzung nach der Wahlpleite schon eine Jetzt-erst-recht-Stimmung ausgemacht. "Wir konnten sogar zwei neue Mitglieder aufnehmen", freut sie sich.

Wird ungeachtet dieses kleinen Balsams für die geschundene Partei nun die Führungsdiskussion im Land, die im Frühjahr mit der Wahl Cornelia Piepers beendet schien, erneut ausbrechen? Hüskens hält sich zurück: "Wir haben im Augenblick keine Forderungen an den Landesvorstand." Ein Dauerbrenner bei den Liberalen in Sachsen-Anhalt ist die Finanznot. Dass sich die verschärft, befürchtet Hüskens jedoch nicht. "Bei den Finanzen war die Abwahl aus dem Landtag weitaus gravierender."

Jens Ackermann hatte seine Räume im Bundestag in Berlin schon zwei Tage nach dem schwarzen Sonntag für die Liberalen leergeräumt. Jetzt packt er im Wanzleber Büro seine Sachen. Ende Oktober muss er raus sein.

Zwei Monate später, am 1. Januar 2014, tritt das neue Rettungsgesetz in Kraft, an dem er eine entscheidende Aktie hat. Mindestens das bleibt von acht Jahren im Bundestag. Einmal noch trifft Ackermann seine Ex-Bundestagskollegen in Berlin: Am Dienstag, wenn sich die Fraktion selbst liquidiert.