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Lehrer Robert Kiehl hat den Anschlag in der Erfurter Gutenberg-Schule überlebt - und jetzt ein Buch dazu geschrieben "Verhindern kann man einen Amoklauf nicht"

30.12.2011, 04:21

Im April jährt sich der Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium zum zehnten Mal. Robert Kiehl (36) unterrichtete damals in der Schule. Seine Sicht auf den Amoklauf, bei dem der ehemalige Schüler Robert Steinhäuser zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin, einen Polizisten und sich selbst erschoss, hat er im Buch "Todesschüsse im Gutenberg-Gymnasium" festgehalten.

Frage: Wie erlebten Sie diesen Anschlag?

Robert Kiehl: Ich war im Lehrerzimmer am Kopierer, als die ersten Knallgeräusche zu hören waren. Ich dachte an handwerkliche Arbeiten. Als ich mich mit einer Kollegin unterhielt, bildete ich mir ein, eine Person sei aus der ersten Etage nach unten gesprungen. Ich verließ das Lehrerzimmer, um nachzusehen. Von der gegenüberliegenden Treppe kamen Scharen schreiender Schüler in Panik heruntergelaufen. Ein Schüler lief auf mich zu und rief: Es wird geschossen! Er machte mir klar, dass ich nach draußen gehen müsse.

Frage: Haben Sie denn noch Kontakt zu dem Schüler, der Ihnen das Leben rettete?

Kiehl: Wenig, aber der Kontakt besteht. Ob er sich selbst als Lebensretter bezeichnen würde, weiß ich nicht. Ich habe mit ihm nie darüber geredet.

Frage: Warum veröffentlichen Sie Ihr Buch erst jetzt?

Kiehl: Direkt nach dem Amoklauf war das undenkbar, ich hatte dafür nicht die Muße. Dann gab es eine Zeit, in der ich weder darüber reden noch schreiben konnte. Ich war noch mitten in meiner Ausbildung, mitten im Referendariat. Ich durchlebte viele Findungsphasen, zog in meine Heimat, ins Saarland, zurück. Dort lebe ich bis heute und unterrichte seit sechs Jahren in Rheinland-Pfalz. Bei all den Veränderungen hatte ich keine Ruhe.

Frage: Sind die Schulen heute auf solche Ereignisse eingestellt?

Kiehl: In der Prävention wird viel getan, so dass die Schulen insgesamt besser eingestellt sind. Verhindern kann man solch eine Tat aber nicht. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass durch die Arbeit in den Schulen die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen im Vorfeld gesenkt werden kann und Amokläufe so vielleicht auch schon verhindert wurden. Die Gefahr an sich bleibt jedoch, das erkennen viele nicht und das ist eine weitere Gefahr.

Frage: Mit dem Buch machen Sie auf diese Gefahren aufmerksam, kommt ihre Botschaft an?

Kiehl: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich, entweder kommt mir ein sehr starkes Mitgefühl entgegen oder ich erlebe schweigende Ablehnung. (dapd)

Robert Kiehl, "Todesschüsse im Gutenberg-Gymnasium", Projekte-Verlag Cornelius, 93 Seiten, 10,50 Euro