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Agrarforscher Gerhard Jahns weiß unterschiedliche "Muuh"-Dehungen zu deuten Ein Wörterbuch für die Kuh-Sprache

Von Klaus Sievers 30.10.2010, 04:15

Kühe sind nicht sehr gesprächig. Sie kennen nur zehn verschiedene Laute und Rufe, um Stimmungen auszudrücken. Schweine sind dagegen viel lebhafter und kommunikativer, weiß der Agrarforscher Gerhard Jahns aus Wendeburg bei Peine. Er hat früher bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig gearbeitet und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der computergestützten Erkennung von Tierstimmen.

Braunschweig (dpa). Der Bioakustiker Jahns hat eine Software entwickelt, mit der verschiedenste Tierstimmen und -stimmungen verarbeitet werden können. Sie basiert auf Methoden der Spracherkennung beim Menschen. Das macht Sinn, weil die Lauterzeugung bei Wirbeltieren – vom Frosch über die Kuh bis zum Menschen – physiologisch sehr ähnlich ist.

Mit Kühen kennt sich Jahns inzwischen bestens aus. Er hat quasi ein Wörterbuch der Kuh-Sprache erstellt. Kühe sind laut Jahns deshalb so wortkarg, weil sie evolutionsbedingt als Beutetiere keine Schmerzenslaute kennen. "Sonst würden sie im Verletzungsfall nur weitere Jäger anlocken." Auch machen Kühe bei ihren Lauten keinen Unterschied zwischen Hunger und Durst.

Für die Entwicklung seiner Software hat Jahns zunächst viele Rufe und deren mögliche Bedeutungen gesammelt – mit Hilfe von Verhaltensforschern oder durch eigene Besuche in Kuhställen. Auch die Erfahrungen von Landwirten nutzte er. Aus 688 selbst aufgenommenen Klangproben von 39 Kühen filterte seine Software dann zehn Laute mit unterschiedlichen Bedeutungen heraus. Für jeden dieser Laute wurde mit Hilfe von 20 Merkmalen ein mathematisches Modell erstellt und gespeichert. Neu erfasste Laute können nun damit verglichen und so identifiziert werden. Dabei können sogar unterschiedliche Lautstärken, Stimmlagen und "Muuh"-Dehnungen berücksichtigt werden.

"Die Trefferquote des Systems ist sehr hoch"

"Die Trefferquote des Systems ist schon sehr hoch", berichtet Jahns. Hungrige und durstige Kühe wurden bei Tests zu 100 Prozent identifiziert, kranke, hustende Tiere zu 93 Prozent und Tiere mit übervollem Euter und Melkverzögerung zu 74 Prozent. Brünftige Kühe wurden zu 88 Prozent erkannt. Für Züchter sei es besonders wichtig zu wissen, wann die Tiere empfängnisbereit sind, sagt Jahns. Nur dann sei eine Besamung erfolgversprechend.

Bei erfolgreicher Ruf-Erkennung kann der Landwirt durch ein akustisches oder optisches Signal auf seinem Computer informiert werden und dann schnell handeln. Natürlich gibt es auch andere Überwachungssysteme für Kühe, etwa während des Melkens. Jahns meint jedoch: "Mein System ist besser und preiswerter. Es arbeitet rund um die Uhr, erfasst alle Tiere im Stall und ist berührungslos, schränkt nicht das natürliche Verhalten der Tiere ein."

Praxisreif ist das Jahnsche System allerdings noch nicht. So könnte die Fehlerquote durch eine größere Datensammlung noch reduziert werden, stellt der Forscher fest. Außerdem müsse das System trotz der vielen Nebengeräusche im Stall einwandfrei funktionieren und noch klarer deuten können, welche Rufe von jeweils welcher Kuh stammen.

Inzwischen beschäftigt sich Jahns auch mit anderen Tieren. So ist ihm in Zusammenarbeit mit Forschern der belgischen Universität Leuven ein Achtungserfolg gelungen: Sein System kann bei hustenden Schweinen erkennen, ob eine Lungenkrankheit vorliegt und welcher Erreger diese verursacht hat.

Dank internationaler Kontakte ist Jahns noch weiteren Tieren auf der Tonspur. Etwa dem kleinen Beutenkäfer (Aethina tumida) – das ist ein schlimmer Bienenparasit aus Übersee, der neuerdings auch in Europa vorkommt. Der dringt in Bienenkörbe ein und kann ganze Völker zerstören. Jahns hofft, die Eindringlinge frühzeitig im summenden Bienenkorb durch ihre Fressgeräusche identifizieren zu können, um so rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.

Zusammen mit britischen Wissenschaftlern will Jahns die Unter-Wasser-Laute von Orca-Walen entschlüsseln und, wenn möglich, einzelne Tiere einer Gruppe zuordnen. Hier steht der Bioakustiker allerdings noch ganz am Anfang.