Prozess 22-Jähriger will nur vor Polizei aussagen
Vor Gericht sei man in Gottes Hand, heißt ein alter Spruch. Wie wahr das sein kann, war wohl selbst am Landgericht Hannover nicht ganz klar. Dort hat ein Angeklagter zu Beginn des Prozesses um einen tödlichen Schuss auf einen 34-Jährigen für Verwirrung gesorgt.
Hannover - Vor Gericht ist alles möglich, das ist bekannt, aber damit hatte vermutlich niemand gerechnet: Gleich zu Beginn des Prozesses nach dem tödlichen Schuss auf einen 34-Jährigen an einer Stadtbahnhaltestelle in Hannover machte der Verteidiger des Angeklagten klar, dieser wolle nur vor der Mordkommission aussagen. Das aber ausführlich. Die zuständige Kammer des Landgerichts Hannover stimmte zu, der Vorsitzende Richter Joachim Lotz sagte allerdings mahnend, eine Aussage vor der Kammer sei wertvoller. Am Donnerstagmorgen solle der junge Mann bei der Polizei aussagen.
Laut Anklage werden dem 22-Jährigen mit deutscher und syrischer Staatsbürgerschaft Totschlag und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Er soll am 28. Februar im Stadtteil Döhren mindestens zwei Mal mit einer halbautomatischen Kurzwaffe auf den 34-Jährigen geschossen haben. Ein Schuss durchdrang die Bauch-Aorta und verletzte Bauchspeicheldrüse und Magen des Opfers, wie die Staatsanwältin sagte. Der 34-Jährige verblutete. Der Verdächtige wurde etwa eine Woche später in der Wohnung seiner Mutter in Hameln festgenommen.
Schon vor der Tat habe es einen Konflikt zwischen dem 22-Jährigen und dem Bruder des späteren Opfers gegeben, sagte die Staatsanwältin in ihrer Anklageverlesung. Am späten Abend des Tattages habe der Bruder den Mann an einem Bahnsteig in der Innenstadt erkannt und den 34-Jährigen angerufen, dieser sei zur Haltestelle an der Fiedelerstraße gekommen. Dort habe sein Bruder Konflikte befürchtet, sei auf den 22-Jährigen zugegangen und habe ihn geschlagen. Der 34-Jährige wollte die beiden trennen, dabei wurde er erschossen.
Bei der Durchsuchung der Wohnung der Mutter des Tatverdächtigen seien eine weitere halbautomatische Waffe, ein Schießkugelschreiber und Munition gefunden worden, sagte die Anklagevertreterin. Der 22-Jährige soll den Tod der Brüder billigend in Kauf genommen haben.
Doch um die Anklage ging es zu Beginn der Hauptverhandlung nur am Rande. Auf den Antrag der Verteidigung, den 22-Jährigen bei der Polizei aussagen zu lassen, fragte die Staatsanwältin vor allem: „Warum?“ Der Anwalt des jungen Mannes entgegnete: „Vielleicht verstehen Sie uns, wenn Sie die Einlassung kennen.“ Auch ein Nebenklagevertreter reagierte verstimmt. Der 22-Jährige habe ausreichend Zeit gehabt, „sich vor der Polizei zu erklären“, sagte er. Der Sinn des Antrages erschließe sich nicht, auch sei er nicht informiert worden.
Die Staatsanwältin warnte zudem vor dem Risiko: Der 22-Jährige sei schon einmal geflüchtet. Die Kammer beschloss dennoch, die Vernehmung bei der Polizei zuzulassen - weil der Angeklagte keine Einlassung vor Gericht abgeben wolle, sondern eine polizeiliche Vernehmung wünsche.
Schließlich ging es doch noch um die eigentliche Tat: Eine Beamtin des Kriminaldauerdienstes beschrieb den Tatort - in der Nacht seien auf dem abgesperrten Hochbahnsteig mehrere Patronenhülsen auch mit Hilfe eines Diensthundes gefunden worden, außerdem beispielsweise Kleidungsstücke, ein Feuerzeug und Schlüssel.
Beim nächsten Verhandlungstermin am Freitag soll nach den Worten des Richters die zuständige Vernehmungsbeamtin zur Verfügung stehen. Der Prozess könnte sich hinziehen - insgesamt sieben Fortsetzungstermine sind geplant.