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Vorfall auf St. Pauli Haftstrafen für Angeklagten nach Schüssen auf Rockerboss

In einer Sommernacht auf St. Pauli werden auf eine Limousine fünf Schüsse abgeben. Der Fahrer ist ein Rockerboss, der dem Tod nur knapp entkommt. Nun wird das Landgericht Hamburg endgültig über den Fall - wohl ein Racheakt - entscheiden.

Von Magdalena Tröndle, dpa 23.04.2020, 17:19

Hamburg (dpa) - In einem Prozess um beinahe tödliche Schüsse auf einen Rockerboss in Hamburg-St. Pauli sind alle drei Angeklagten wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt worden.

Der 29 Jahre alte Hauptangeklagte, der nach Überzeugung des Hamburger Landgerichts den Schützen aus dem Gefängnis heraus mit der Tat beauftragt haben soll, wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Sein 73 Jahre alter Vater muss neun Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Der dritte, 27 Jahre alte Angeklagte - der mutmaßliche Schütze aus Bulgarien - wurde zu sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und soll in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden.

"Es handelt sich um einen feigen Racheakt basierend aus kulturell geprägten und übersteigerten Ehrvorstellungen", sagte Richterin Jessica Koerner bei der Urteilsverkündung.

In der Nacht zum 27. August 2018 waren fünf Schüsse auf einen Hells-Angels-Boss abgegeben worden, als dieser mit seinem Bentley vor einer Ampel am Hamburger Millerntor halten musste. Der damals 38-Jährige wurde lebensgefährlich an Kopf und Oberkörper verletzt und ist seitdem querschnittsgelähmt.

Gut zwei Jahre zuvor waren der heute 29 Jahre alte Hauptangeklagte - ein Deutscher - und dessen Freundin Opfer eines ähnlich heimtückischen Überfalls im Stadtteil Schnelsen geworden. Dabei hatten die beiden Deutschen schwere Schussverletzungen erlitten.

"Ein solcher Akt hat mit unserem Rechtssystem rein gar nichts zu tun, auch wenn man selbst Opfer eines solchen Verbrechens geworden ist", sagte die Richterin.

Der Hauptangeklagte entstamme "einem archaischen Wertesystem, bei dem vor allem Stärke und Männlichkeit im Vordergrund stehen". Er habe als ehemaliger Anhänger der "Mongols" nach dem Angriff auf ihn und seine Freundin nicht als Schwächling dastehen, sondern als Sieger aus der Situation hervorgehen wollen.

Die Anfang 2016 aufgelöste Rockergruppe ist mit den Hells Angels verfeindet. Der Hauptangeklagte und sein Vater, ein Deutsch-Afghane, der bei der Planung und Vorbereitung der Tat eine wichtige Rolle spielte, hätten im Verfahren jede Schuld von sich gewiesen und sich in Widersprüche verstrickt. Absicht der Tat sei es gewesen, den Hells-Angels-Boss entweder umzubringen oder ihn mit schwersten Verletzungen überleben zu lassen.

Das Verhalten des dritten Angeklagten und Schützen bewertete die Richterin hingegen als kooperativ und geständig. Seine Aussagen seien "konstant, in sich schlüssig und widerspruchsfrei" gewesen. Der 27-Jährige sei bedacht darauf gewesen, nur das wiederzugeben, woran er sich genau erinnere. "Ich habe gezielt auf seine Schulter - und dann fünfmal geschossen", hatte der Angeklagte seiner Dolmetscherin zufolge im Februar vor Gericht ausgesagt.

Dass er gegen eine Zahlung von 10.000 Euro auf einen Menschen schießen soll, habe er erst einen Tag zuvor erfahren. Für einen Rückzieher sei es da zu spät gewesen. Er habe sich Sorgen gemacht, dass seine Auftraggeber ihm etwas antun würden. Die versprochene Belohnung soll bei Mittelsmännern hängengeblieben sein. Der Mann leidet an einer psychischen Erkrankung und stand bei der Tat unter Drogeneinfluss.

Wegen eines Rechenfehlers musste der bereits im Juni 2019 beendete Prozess ein zweites Mal aufgerollt werden. Die zuständige Strafkammer hatte die schriftliche Urteilsbegründung einen Tag zu spät auf der Geschäftsstelle des Gerichts vorgelegt. In dem ersten Verfahren war die an der Tat beteiligte Freundin des Hauptangeklagten bereits zu zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Die Frau hatte den Schützen in der Nacht zum Tatort gefahren und das Opfer ausfindig gemacht.