Landesarmutskonferenz „Hungern oder Frieren“: Aktion für schnelle Hilfe für Arme
Lebensmittel, Gas, Strom - alles wird teurer. Das ist vor allem für arme Menschen bedrohlich, die am Ende vor der Wahl stehen könnten: Hungern oder Frieren? Wohlfahrtsverbände befürchten wachsende Armut in Deutschland. Die Folgen dürften immens sein.
Hannover - Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen hat angesichts stark steigender Energiekosten und hoher Inflation vor zunehmender Armut gewarnt. Unter Umständen könnten betroffene Menschen im Winter demnach wegen „völlig unzureichender Transfersätze und Niedriglöhne“ vor der Wahl stehen: „Hungern oder Frieren?“ Schnelle und nachhaltige Hilfe sei nötig, sagte der Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz, Klaus-Dieter Gleitze, am Montag bei der Kundgebung „Hungern oder Frieren“ vor dem Finanzministerium in Hannover.
„Früher hieß es für Arme: Spaghetti mit Tomatensoße essen. Bei Preissteigerungen von 154 Prozent für Spaghetti und 57 Prozent für Dosentomaten seit Anfang 2020 ist selbst das gefährdet“, sagte Gleitze. Die Landesarmutskonferenz sprach sich für einen mit einer Milliarde Euro ausgestatteten Härtefallfonds des Landes aus, um Menschen zu helfen, die Heiz- und Stromkosten oder Miete nicht mehr bezahlen können.
Außerdem forderte die Landesarmutskonferenz eine Deckelung der Energiepreise, ein Moratorium für Wohnungskündigungen und Energiesperren, die Verlängerung des 9-Euro-Tickets sowie eine deutliche Erhöhung von Hartz-IV-Regelsätzen und Grundsicherung im Alter. Superreiche sollten sich per Vermögensabgabe an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und mehrere seiner Einzelmitglieder sehen dringenden Handlungsbedarf.
Überlegungen zu Not- oder Härtefallfonds sind in anderen Ländern ebenfalls ein Thema. Die Schuldenbremse müsse dafür zeitweise ausgesetzt werden - die aktuelle Lage erfordere es, dass der Staat bei Bedarf zusätzliche Kredite aufnehmen können müsse, sagte Gleitze. Die Landesregierung diskutiert bereits über einen Härtefallfonds. Wie dieser genau eingerichtet werden könnte und um wie viel Geld es dabei geht, ist bislang noch nicht bekannt.
Gleitze machte klar: „Keiner darf wegen der Energiepreise in diesem Winter seine Unterkunft verlieren.“ Für einen Energiepreisdeckel müsse der Staat bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen - notfalls zur Rettung kleiner, kommunaler Versorger. „In der Corona-Krise hat die Politik für mehrere Unternehmen die Bazooka ausgepackt, Tui wurde schließlich auch gerettet“, sagte Gleitze. „Aber was ist hier wirklich systemrelevanter für den Großteil der Leute? Bei Energie und Wohnen geht es wirklich um Grundversorgung.“
Für die Kundgebung zogen die Teilnehmer symbolisch warme Kleidung an, sie hatten ein Zelt, einen Campingkocher und ein paar Scheiben trockenes Brot dabei. Mit Gießkannen protestierten sie gegen Pauschallösungen. „Förderungen wie zum Beispiel der Tankrabatt, von denen alle - also auch Einkommensstarke - profitieren, sind aus unserer Sicht Blödsinn“, meinte Gleitze. „Es gibt Leute, die diese Energiekrise als ärgerlich empfinden - daneben aber solche, für die das existenzbedrohend wird.“ Er forderte, Menschen mit wenig Geld zielgerichtet zu fördern.
Kürzlich hatte DGB-Landeschef Mehrdad Payandeh gewarnt: „Eine Mehrbelastung von mehreren Hundert Euro im Monat werden viele Menschen in Niedersachsen allein nicht stemmen können. Hier müssen Bund, Land und Gemeinden den drohenden sozialen Kollaps abwenden.“ Volker Bajus, der sozialpolitische Sprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag, nannte die Forderungen der Landesarmutskonferenz „völlig berechtigt“. Armutshaushalte dürften nicht noch weiter unter Druck geraten, sagte er. „Schlimm genug, wenn aktuell die Schlangen vor den Tafeln wachsen.“
„Wir sind sozialpolitisch in einer einzigartigen Situation“, sagte Gleitze. „Viele Menschen haben Angst davor, was sie im Winter und im nächsten Jahr finanziell erwarten könnte. Das ist eine Bedrohung, die bis in die Mitte der Gesellschaft hineingeht.“ Er warnte vor einer tiefgreifenden und dauerhaften Spaltung der Gesellschaft.