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Verfassungsschutz Neonazi-Gewaltbereitschaft nicht unterschätzen

Einige Bereiche des Rechtsextremismus verlieren nach Einschätzung von Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidenten an Bedeutung. Bei anderen Aspekten ist die Entwicklung eine andere.

Von dpa Aktualisiert: 10.02.2023, 22:21
Dirk Pejril, Verfassungsschutzpräsident Niedersachsen, spricht bei einem dpa-Interview in seinem Büro.
Dirk Pejril, Verfassungsschutzpräsident Niedersachsen, spricht bei einem dpa-Interview in seinem Büro. Julian Stratenschulte/dpa/Archivbild

Hannover - Der Bedeutungsverlust des traditionellen Rechtsextremismus darf nach Einschätzung von Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidenten nicht dazu führen, die Gewaltbereitschaft von Neonazis zu unterschätzen. Dieser Bedeutungsverlust treffe etwa auf die NPD sowie neonazistische Kameradschaften zu, sagte Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril der Deutschen Presse-Agentur in Hannover.

Man habe es zeitgleich mit einer Enthemmung im Internet zu tun. Mit Blick auf Rechtsextremismus sagte Pejril: „Der ausufernde Hass kann in letzter Konsequenz für Akteure aus ihrer Sicht Gewalt legitimieren. Dazu kommt die Entgrenzung von nicht-extremistischem Protest mit extremistischen Akteuren und Aktionsformen.“

Ein Beispiel sei die in Teilen gewaltorientierte Mischszene aus Rechtsextremisten und Reichsbürgern. „Zu ihnen gesellen sich sogenannte Coronaleugner und Querdenker, die die Rechtmäßigkeit des Staates und seiner Organe bestreiten. In dieser Mischszene spielen Verschwörungstheorien als Verbindung zwischen den einzelnen Bereichen eine große Rolle.“

Weiter sagte Pejril: „In Bezug auf die Mischszene wird es aus meiner Sicht um die Frage gehen, ob es Rechtsextremisten gelingt, der absoluten Systemablehnung und der Gewaltbereitschaft dieser Szene eine ideologische Stoßrichtung zu geben.“ Einflussversuche gebe es sowohl von Neonazis als auch von sogenannten Neurechten.

„Gelingt eine Ideologisierung, dürfte sich das im Zuge der Anti-Corona-Proteste sichtbar gewordene demokratiefeindliche Potenzial verstetigen.“ Dabei bestehe die Gefahr, dass sich radikalisierte Coronaleugner und Querdenker am Gewaltverständnis von Rechtsextremisten und Reichsbürgern orientierten.

Mit Blick auf Linksextremismus habe in der Corona-Zeit ein bisschen die Plattform gefehlt, die Konfrontation mit dem politischen Gegner von rechts, sagte Pejril. „Man wollte sich nicht gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen stellen, sondern forderte sogar zu deren Einhaltung auf. Damit gehörten Linksextremisten in dieser Ausnahmesituation ungewollt zu den Unterstützern des ihnen verhassten Staates.“

Das Thema Klimakrise habe eine große Relevanz auch für den Linksextremismus. „Dort gibt es immer wieder Versuche an den demokratischen Klimaprotest anzudocken. Thematisch haben sich da ein paar Dinge verschoben.“

Zur Gewaltbereitschaft im Linksextremismus sagte der Verfassungsschutzpräsident, dass dort ein bisschen differenziert werden müsse. Im parteipolitischen Linksextremismus hebe man sich die Gewaltanwendung für die Revolution auf, bei den Autonomen sehe das anders aus. „Luft aus Reifen rauslassen bei vermeintlich klimaschädlichen SUVs wird momentan gerne praktiziert bis hin zu Brandlegungen, Polizeidienststellen angehen mit Farbschmierereien oder anderen Dingen und punktuell auch gezielte körperliche Angriffe gegen den politischen Gegner.“

Mit Blick auf befürchtete Unruhen durch die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, sagte Pejril: „Der Angriffskrieg Putins hat Auswirkungen auf die Sicherheitslage insgesamt.“ Die befürchteten Unruhen mit Blick auf die Energiekrise seien bislang ausgeblieben. „Und für diesen Winter ist damit auch nicht mehr zu rechnen. Wir haben jedoch eine Cyber-Bedrohungslage, das ist kein Geheimnis. Es gibt von russischer Seite Aktivitäten im Cyberraum, Cyberattacken auf Unternehmen, auf bestimmte Einrichtungen.“