Landgericht Potsdam Prozess um Medikamenten-Skandal: Angeklagte will sich äußern
Der illegale Handel mit teuren Krebsmedikamenten führte im Sommer 2018 zum Rücktritt von Brandenburgs Gesundheitsministerin Golze. Nun beginnt der späte Prozess vor dem Landgericht Potsdam mit einer überraschenden Wende.
Potsdam - Gut fünf Jahre nach dem Medikamenten-Skandal um den Brandenburger Pharma-Großhändler Lunapharm hat die juristische Aufarbeitung begonnen: Vor der 4. Strafkammer müssen sich seit Mittwoch die Geschäftsführerin von Lunapharm und ein mutmaßlicher Mittäter wegen illegalen Handels mit Krebsmedikamenten verantworten. Das Verfahren gegen einen dritten Angeklagten, der die Medikamente illegal an Lunapharm geliefert haben soll, wurde vom Gericht zum Auftakt des Prozesses wegen Verhandlungsunfähigkeit des 75-Jährigen abgetrennt.
Die Staatsanwaltschaft verlas anschließend die Anklage. Demnach soll die Geschäftsführerin zwischen 2015 und Juni 2018 die Krebsmedikamente über eine Apotheke in Griechenland bezogen und in Deutschland vertrieben haben. Diese Apotheke hatte den Angaben zufolge aber keine Großhandelserlaubnis. Nachdem dieser Handel daher im Mai 2017 behördlich verboten worden war, seien bis Juli 2018 weitere Lieferungen von der griechischen Apotheke über Rechnungen eines Großhändlers aus Zypern verschleiert worden. So der Vorwurf. Dann hatte ein Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“ den Skandal öffentlich gemacht.
Die Staatsanwaltschaft warf der Geschäftsführerin sogenannten Parallelhandel vor: Die 56-Jährige habe teure Medikamente, die in europäischen Ländern zu unterschiedlichen Preisen gehandelt wurden, aus dem Ausland bezogen, teilweise neu verpackt und gekennzeichnet. Dann seien die Medikamente von Lunapharm in Deutschland an Apotheken oder Großhändler weiterverkauft worden.
Die Verteidiger der Geschäftsführerin kündigten an, die 56-Jährige werde am zweiten Verhandlungstag am Freitag kommender Woche umfassend zu der Anklage Stellung nehmen. In einer schriftlichen Erklärung betonte die Verteidigung, dass die Medikamente ohne Beanstandungen gewesen seien: „Irgendeine Täuschung oder gar Gefährdung von Patienten lag nie vor und wird der Geschäftsführerin auch nicht vorgeworfen.“ Untersuchungen von Rückstellproben hatten nach Angaben des Landesgesundheitsministeriums keine Beanstandungen ergeben.
Dennoch war infolge des Skandals im August 2018 Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) gestürzt, weil das Landesgesundheitsamt angeblich trotz frühzeitiger Hinweise nicht rechtzeitig eingeschritten sein soll. Eine Expertenkommission hatte schwere strukturelle und organisatorische Mängel in dem Amt festgestellt. Dafür übernahm Golze die politische Verantwortung.
Laut Anklage soll Lunapharm mit dem illegalen Handel Einnahmen in Höhe von 1,1 Millionen Euro erzielt haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden bei Lunapharm und anderen Beteiligten daher Vermögenswerte in Höhe von rund 890.000 Euro vorläufig gesichert. Wegen der falschen Angaben über die Vertriebswege gelten die Medikamente als gefälscht, auch wenn diese nicht unwirksam oder schädlich für die Patienten waren. Die Anklage lautet auf Vergehen gegen das Arzneimittelgesetz.
Die lange Zeitdauer zwischen der Erhebung der Anklage im September 2019 und der Eröffnung des Prozess gut vier Jahre später begründete ein Gerichtssprecher mit dem „sehr komplexen Verfahren“. Allein die Anklageschrift umfasst mehr als 100 Seiten. Für den Prozess sind daher noch 19 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte frühestens in einem halben Jahr im März gesprochen werden.