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Abbiege-Assistenten gefordert Radfahrer-Falle toter Winkel: Gefahr durch abbiegende Lkw

Zusammenstöße zwischen Lastwagen und Radfahrern enden für die Radler oft tödlich. Abbiege-Assistenten könnten viele Unfälle verhindern. Deshalb sind sich im Grunde alle einig: Die Systeme sollten verpflichtend werden. Aber so einfach ist das leider nicht.

Von Petra Albers, dpa 14.06.2018, 15:44

Köln (dpa) - Ein Müllwagen überrollt beim Rechtsabbiegen einen kleinen Jungen, der mit seinem Fahrrad unterwegs ist. Der Siebenjährige kommt dabei ums Leben. Der Unfall in Köln löste Ende Mai in ganz Deutschland Betroffenheit aus.

Diese Woche starb ein Achtjähriger an einer Kreuzung in Berlin, ein rechtsabbiegender Lastwagen hatte den kleinen Radler überfahren und getötet.

Immer wieder sterben Radfahrer bei Zusammenstößen mit abbiegenden Lastwagen. Oft geraten sie in den tückischen "toten Winkel", so dass die Laster-Fahrer sie nicht rechtzeitig sehen. Allein in diesem Jahr sind nach einer Auflistung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) bundesweit bereits mindestens 19 Radfahrer bei solchen Abbiege-Unfällen gestorben.

"Abbiegende Lkw sind eine Todesfalle für Radfahrende", sagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Er verlangt, dass Abbiege-Assistenten für Lastwagen verpflichtend vorgeschrieben werden. Eine Forderung, die auch in Politik und Wirtschaft breite Unterstützung findet.

Nach Angaben der Unfallforschung der Versicherer (UDV) könnten in Deutschland durch elektronische Abbiege-Assistenten jährlich fast 200 Unfälle mit getöteten oder schwer verletzten Radfahrern verhindert werden. Das Assistenzsystem warnt den Lkw-Fahrer mit einem Signalton, wenn sich ein Radfahrer oder Fußgänger neben dem Fahrzeug befindet. Im Idealfall würde es bei Gefahr sogar eine Notbremsung einleiten.

Das Problem: Deutschland kann nicht im Alleingang Gesetze über die Ausrüstung von Lkw erlassen - dafür ist eine EU-weite Regelung erforderlich. Die Bundesregierung hat schon im vorigen Jahr einen entsprechenden Vorschlag bei der zuständigen Europa-Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (UNECE) eingereicht. Dieser werde auch von den deutschen Nutzfahrzeugherstellern unterstützt, betont der Verband der Automobilindustrie (VDA).

"Ich habe kein Verständnis dafür, dass es auf internationaler Ebene immer noch keine verpflichtenden Abbiege-Assistenten gibt", teilt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf Anfrage mit. "Es kann nicht schnell genug gehen." Er habe das Thema auch auf die Tagesordnung des EU-Verkehrsministerrats setzen lassen.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass für neue Lastwagen und Busse Abbiege-Assistenten vorgeschrieben werden sollen. Die Bundesländer machen ebenfalls Druck. Der Bundesrat sprach sich jüngst zudem für eine Nachrüstpflicht für ältere Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen aus.

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung UDV, schätzt, dass eine EU-Regelung für Neufahrzeuge bestenfalls in etwa fünf Jahren in Kraft treten könnte. Bis dann letztlich fast alle Laster, die auf den Straßen unterwegs sind, mit Assistenzsystemen ausgestattet sind, würden weitere fünf Jahre vergehen.

Bis dahin sind Übergangslösungen gefragt - unter Beteiligung aller Seiten. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) sieht - wie der UDV und der ADFC - die Hersteller in der Pflicht, schnell serienreife Abbiege-Assistenten zu entwickeln. Bislang biete nur ein Hersteller für einen Teil seines Sortiments radargestützte Abbiege-Assistenten an, kritisiert der BGL.

Umgekehrt scheuen wohl viele Speditionen die Kosten für eine Nachrüstung ihrer Flotte. Das Bundesverkehrsministerium fördert bereits den Einbau von Abbiege- sowie Kamera-Systemen, um Radfahrer und Fußgänger zu schützen. Der Bundesrat hat sich zudem dafür ausgesprochen, dass die Versicherer den Unternehmen Rabatte für Nutzfahrzeuge mit Abbiege-Assistenten gewähren sollten.

Nach Auffassung des ADFC sollte der Bund auch Kommunen bei der Umrüstung ihrer Müllwagen und Baufahrzeuge unterstützen, denn an vielen schweren Lkw-Unfällen seien städtische Fahrzeuge beteiligt. Außerdem müssten Verkehrsführung und Ampelschaltungen besser auf die Sicherheit von Radfahrern abgestimmt werden, verlangt der Verein.

Entschließung des Bundesrats

Info-Aktion der Berliner Polizei: Der «tote Winkel» ist immer noch oft ein tödlicher Winkel. Foto: Stephanie Pilick
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dpa
Er starb, weil ein Fahrer die Autotür aufriss, ohne auf den Verkehr zu achten: Radfahrer gedenken in Berlin eines verstorbenen Radfahrers. Foto: Paul Zinken
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dpa
Spurensicherung nach einem schweren Unfall in Berlin - auch hier war ein Lkw im Spiel. Foto: Tim Brakemeier
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dpa
Das wäre im Ernstfall wahrscheinlich tödlich gewesen: Ein Lastwagen überfährt bei einem Crash-Test einen Radfahrer-Dummy. Foto: Guido Kirchner
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dpa
Das Rad einer Frau liegt in Berlin zwischen den Reifen eines Lkw. Die Radfahrerin starb noch an der Unfallstelle. Foto: Paul Zinken
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dpa
Rettungskräfte helfen auf der Straßenkreuzung am Potsdamer Platz in Berlin einem verletzten Radfahrer, der unter einem Lastwagen liegt. Foto: Daniel Reinhardt
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dpa