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Radsport „Sieger der Herzen“: Degenkolb zwischen Stolz und Frust

Pascal Ackermann ist entthront, John Degenkolb wird erneut knapp geschlagen: Der Radklassiker in Frankfurt endet für die Deutschen mit einer Enttäuschung. Stattdessen belohnt sich ein junger Belgier.

Von Patrick Reichardt, dpa Aktualisiert: 20.09.2021, 22:59
Der Belgier Jasper Philipsen (M) jubelt im Ziel vor John Degenkolb (2.v.l.).
Der Belgier Jasper Philipsen (M) jubelt im Ziel vor John Degenkolb (2.v.l.). Arne Dedert/dpa

Frankfurt/Main - John Degenkolb nannte sich am TV-Mikrofon selbst „den Sieger der Herzen“, die passenden Bilder lieferte der Radsport-Routinier im Ziel: Enttäuscht und überwältigt kamen Degenkolb bei Eschborn-Frankfurt die Tränen, der 32 Jahre alte Lokalmatador ließ sich von seiner Mama trösten. „Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Das war schon immer so. Wir sind Rennfahrer durch und durch“, sagte Degenkolb, der wie 2019 Zweiter wurde, im Hessischen Rundfunk. Damals besiegte ihn Landsmann Pascal Ackermann, diesmal war es der Belgier Jasper Philipsen.

„Das bedeutet mir sehr viel. Das ist ein super wichtiges Rennen“, sagte der Tagessieger nach 187,5 Kilometern, die er beim großen Finale in der Frankfurter Innenstadt als Sieger beendete. Beim Zweitplatzierten Degenkolb sah die Gefühlslage anders aus. Der Sieger von 2011 schlug mit seinem Vorderrad verärgert auf die Straße und wollte erst nach einer kurzen Pause sprechen.

„Der Druck war groß. Doch allen bewiesen zu haben, dass man es noch kann, ist aller Ehren wert. Aber die Emotionen waren direkt da, dass es in Anführungszeichen nur der zweite Platz ist“, sagte „Dege“. Es sei gerechtfertigt, „auch mal eine Träne zu vergießen“. Auch für Sprintstar und Titelverteidiger Ackermann reichte es diesmal trotz mühevoller Vorbereitung nicht zum Sieg, sondern nur zum fünften Platz.

„Wir haben hoch gepokert mit der großen Gruppe. Zum Schluss ist es nicht das Ergebnis geworden, das wir gewollt haben“, sagte Bora-hansgrohe-Teamkollege Nils Politt, der als Anfahrer für den 27 Jahre alten Ackermann fungieren sollte. Für den Pfälzer wäre es der siebte Erfolg seit Anfang Juli gewesen. Rang drei hinter Philipsen und Degenkolb ging an den Norweger Alexander Kristoff, der das Rennen 2014, 2016, 2017 und 2018 gewonnen hatte.

Der 23 Jahre alte Belgier meisterte das schwierige Rennen, das sich in diesem Jahr gleich in zwei Punkten von seinen vergangenen Ausgaben unterschied: statt am 1. Mai wurde diesmal pandemiebedingt im September gefahren. Zudem wurden die Menschen angehalten, das Rennen im Fernsehen zu verfolgen und nicht in zu großen Mengen an die Strecke zu kommen. Im Zielbereich waren immer wieder Volunteers mit Schildern unterwegs, auf denen geschrieben stand: „Bitte Abstand halten. Bitte Masken tragen.“ Gerade auf der Zielgeraden sammelten sich trotz aller Bitten aber ordentlich Leute.

Sportlich war ein Jahr nach der coronabedingten Absage wieder vieles wie gewohnt. Der Start in Eschborn, einmal über den Feldberg, viermal über den Mammolshainer Stich und zweimal über den Ruppertshainer Anstieg und dann ab nach Frankfurt: Das bedeutete immerhin 3200 Höhenmeter, die Sprintern wie Ackermann und Degenkolb ordentlich zu schaffen machten.

Wie in den vergangenen Jahren sorgten die Topteams aber auch diesmal dafür, dass es zu einem Massenfinale an der Alten Oper in der Mainmetropole kam. „Mein großer Traum war immer, das Rennen einmal zu gewinnen. Das habe ich erreicht, und jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren“, sagte Ackermann vor dem Rennen.

Zuvor hatte es die üblichen Ausreißattacken gegeben. Auch mehrere Klassikerspezialisten versuchten, an den Anstiegen die endschnellen Sprinter loszuwerden und das Peloton zu verkleinern. Am aussichtsreichsten war dabei die Attacke einer 17-köpfigen Gruppe um den Australier Michael Matthews und Simon Geschke, die sich am vorletzten Anstieg zum Mammolshainer Stich absetzte. Die Gruppe blieb lange rund 40 Sekunden vor dem Feld, doch hinten wurde so viel Druck gemacht, dass es doch wieder zum großen gemeinsamen Finish kam.