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Ausstellungen Steinmeier: Koloniale Vergangenheit

Die Diskussion um Kunstobjekte mit kolonialem Hintergrund begleitet das Berliner Humboldt Forum. Zur Öffnung der ethnologischen Museen sieht Bundespräsident Steinmeier Bezüge zur Migration.

Von Gerd Roth, dpa Aktualisiert: 23.09.2021, 23:58
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht. Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den jüngsten Öffnungsschritt im Berliner Humboldt Forum zu einem Appell an gemeinsame Verantwortung für die Folgen von Kolonialismus genutzt. Auch Deutsche hätten als Kolonialherren Menschen unterdrückt, ausgebeutet, beraubt und umgebracht, sagte Steinmeier am Mittwoch während eines Festaktes zur Eröffnung erster Teile des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen, sei nicht nur Aufgabe für Historiker.

Vor dem Humboldt Forum protestierten etwa 100 Menschen, zum Teil aus den Herkunftsgesellschaften, für eine rasche Rückgabe von Objekten mit kolonialem Hintergrund. Die in den USA lebende nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie verwies in ihrer Rede darauf, dass die Länder Europas ihre koloniale Geschichte zwar nicht leugneten, sich aber der heutigen Verantwortung entzögen. Deutschland sehe sich als Land von Beethoven und Bach, aber stelle sich kaum seiner kolonialen Vergangenheit. Sie wünsche sich mehr Courage, nicht nur Kritik anzuhören, sondern auch in Handlung umzusetzen.

„Das Unrecht, das Deutsche in der Kolonialzeit begangen haben, geht uns als ganze Gesellschaft etwas an“, sagte Steinmeier. „Denn in unserem Land gibt es auch in der Gegenwart, mitten im Alltag dieser Gesellschaft, Rassismus, Diskriminierung, Herabsetzung von vermeintlich Fremden - bis hin zu tätlichen Angriffen und Gewalt.“ Er bleibe überzeugt: „Die tieferen Wurzeln des Alltagsrassismus werden wir nur dann verstehen und überwinden können, wenn wir die blinden Flecken unserer Erinnerung ausleuchten, wenn wir uns viel mehr als bislang mit unserer kolonialen Geschichte auseinandersetzen!“

Steinmeier ging auch auf die Folgen im heutigen Namibia ein, wo unter deutschem Befehl etwa 75.000 Herero und Nama getötet worden waren. Es habe zu lange gedauert, dieses Verbrechen überhaupt anzuerkennen. „Die Verbrechen von damals, sie wirken bis heute fort.“

Auch die Debatte um Rassismus und Judenverfolgung thematisierte Steinmeier. „Die Erinnerung an den Zivilisationsbruch der Shoah ist und bleibt einzigartig in unserem nationalen Gedächtnis“, betonte das Staatsoberhaupt. Gleichzeitig fügte er hinzu: „Die Erinnerung an den Holocaust steht der empathischen und bewussten Erinnerung an andere Ungerechtigkeit, anderes Leid nicht entgegen!“ Die Verbrechen der Kolonialzeit, Eroberung, Unterdrückung, Ausbeutung, Raub, Mord an Zehntausenden von Menschen, bräuchten einen angemessenen Ort in der Erinnerung. Dabei gehe es um das Zusammenleben in einem Land, „in dem die Weltkulturen zu Hause sind“.

Menschen aus aller Welt lebten hier und seien vielfach Deutsche geworden. „Sie gehören zu dem, was heute 'deutsch' bedeutet“, sagte Steinmeier. „Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund - wir sind ein Land mit Migrationshintergrund!“

Hermann Parzinger, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zuständig für die beiden Museen, sprach mit Blick auf mögliche Rückgaben davon, im Humboldt Forum würden jetzt Objekte präsentiert, die vielleicht morgen nicht mehr zu sehen seien. In das Forum sei „eine Lerngemeinschaft eingezogen“. Hartmut Dorgerloh, Intendant des Humboldt Forums, sieht dabei die Chance einer internationalen Diskussionsplattform. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bezeichnete das Forum als „bedeutendstes Kulturvorhaben des wiedervereinigten Deutschland“, das eine „Arena demokratischer Streitkultur“ werden könne.

Von den etwa 500 000 Objekten der zuvor im Stadtteil Dahlem präsenten Häuser Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst sollen rund 20 000 im Humboldt Forum gezeigt werden. Dazu gehören auch die als koloniales Raubgut geltenden Benin-Bronzen, die mit dem letzten Öffnungsschritt vermutlich von Mitte 2022 an zu sehen sein sollen.

Das 680 Millionen Euro teure Humboldt Forum war nach jahrelangen Diskussionen und einigen Verzögerungen im Juli in einem ersten Schritt eröffnet worden. Das rund 40.000 Quadratmeter umfassende Gebäude im Herzen Berlins teilen sich die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Land Berlin, die Humboldt-Universität und die Stiftung Humboldt Forum. Gezeigt werden Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien sowie Objekte zur Geschichte Berlins. Das Gebäude selbst ist wegen seiner historisierenden Barockfassade des alten Stadtschlosses umstritten.