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Falsches Opfer rang mit Tod TV-Bericht über Pädophile soll Lynchjustiz ausgelöst haben

Erschreckender Vorfall in Bremen: Ein Mann wird in seiner Wohnung von einer Gruppe überfallen und lebensgefährlich verletzt. Zeugen zufolge hielten die Täter ihn für einen Pädophilen aus einem TV-Beitrag.

Von Irena Güttel, dpa 14.06.2018, 15:49

Bremen (dpa) - Ein Lynchmob dringt in eine Wohnung in Bremen ein und schlägt den Bewohner zusammen. Die Gewalt ist so hefig, dass der 50-Jährige zeitweise in Lebensgefahr ist. Zeugen zufolge hielten die Täter das Opfer für einen Pädophilen, der in einem Fernsehbericht zu sehen gewesen sei.

Die Ermittler wollen jetzt den Beitrag aus der RTL-Sendung "Punkt 12" genau unter die Lupe nehmen. Fest steht aber schon: "Er ist nicht derjenige aus dem Video gewesen", wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Passade, am Donnerstag sagte.

RTL entfernte den Beitrag aus dem Internet. Ein Sprecher wies aber darauf hin, dass man die journalistische Sorgfaltspflicht in jeder Hinsicht gewahrt habe. Im Beitrag habe es keinerlei Hinweise auf den Ort oder eine vermeintliche Adresse des mutmaßlichen Pädophilen gegeben, teilte der Sprecher weiter mit. Er betonte: "RTL verurteilt den brutalen Akt der Lynchjustiz in Bremen auf das Schärfste."

Die Täter glaubten nach Angaben der Ermittler, in dem Bericht den 50-Jährigen und auch das Haus, in dem er wohnt, wiedererkannt zu haben. Nach der Ausstrahlung am Dienstagmittag habe sich eine Gruppe von sieben bis zehn Menschen dort versammelt, sagte Passade. "Ob tatsächlich alle an der Tathandlung beteiligt waren, müssen wir klären." In welchen Verhältnis die Angreifer zum Opfer standen und ob ihre Identitäten bekannt sind, wollte er nicht sagen. Die Polizei konnte den 50-Jährigen kurz befragen, bevor er ins Krankenhaus kam. Er ist inzwischen nicht mehr in Lebensgefahr.

Dass Bürger Selbstjustiz üben, kommt immer wieder vor. 1981 erschoss eine Gastwirtin in einem Lübecker Gerichtssaal den mutmaßlichen Mörder ihrer siebenjährigen Tochter. Für viel Aufsehen sorgte auch die Tat eines Russen, der bei der Flugzeugkatastrophe von Überlingen am Bodensee seine Frau und zwei Kinder verloren hatte und 2004 deshalb einen Mitarbeiter der Schweizer Flugsicherung Skyguide erstach. Eine große Debatte über die Rolle der Medien löste 2012 der Mord an der elfjährigen Lena in Emden aus. Nach Lynch-Aufrufen im Internet belagerte ein Mob die Polizeiwache und forderte die Herausgabe eines 17-Jährigen, der sich später als unschuldig erwies.

Der Hamburger Soziologe Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung sieht die Verantwortung jedoch nicht allein bei den Medien. "Es hängt viel davon ab, wie die einzelnen Menschen über Gerechtigkeit und Bestrafung denken." Lynchjustiz komme in der Regel bei Verbrechen vor, die die Menschen erschütterten und wo das Gefühl entstehe, die Täter müssten hart bestraft werden - das betreffe besonders Straftaten, bei denen Kinder involviert seien.

"Allerdings lenken die Medien die Aufmerksamkeit auf solche Verbrechen", sagte Schmidt. "Die Art, wie über Missbrauch oder ein Tötungsdelikt berichtet wird und wie die Täter dargestellt werden, kann darauf Einfluss haben, ob Menschen den Impuls bekommen, das Recht selbst in die Hand zu nehmen."

In der RTL-Reportage hatte sich ein Reporter in einem bei Pädophilen beliebten Internetportal als Mädchen ausgegeben. Bei ihm meldete sich nach Angaben des Senders ein Mann, der sich mit dem Mädchen treffen wollte. An dem Treffpunkt auf einem Vorplatz von Geschäften tauchte ein Mann auf, der sich auffällig verhielt. Als der Reporter den Mann später konfrontieren wollte, war dieser plötzlich verschwunden.

Der Sender hat eigenen Angaben nach die Polizei nach der Sendung über die Recherchen informiert und belastendes Filmmaterial übergeben. Nachdem der mutmaßliche Fall von Lynchjustiz bekanntgeworden war, händigte RTL den Ermittlern weiteres Rohmaterial aus. Dieses werde jetzt intensiv geprüft, sagte Passade. Es könnte aber auch sein, dass der in dem Beitrag gezeigte Mann ein Unbeteiligter sei, der mit dem Ganzen nichts zu tun habe.

Polizei-Pressemitteilung