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Unpopuläre Carrie Lam "Gerüchte" über Ablösung von Hongkongs Regierungschefin

In der größten Krise Hongkongs seit der Rückgabe 1997 an China wird über einen Rücktritt von Regierungschefin Lam spekuliert. Nach monatelangen Kontroversen ist ihr umstrittenes Auslieferungsgesetz auch formell am Ende. Ein mutmaßlicher Mörder kommt auf freien Fuß.

23.10.2019, 14:22

Hongkong/Peking (dpa) - Sind die Tage von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam gezählt? Wie die "Financial Times" berichtete, erwägt die chinesische Führung langfristig eine Ablösung der umstrittenen Politikerin, die Hongkong in die schwerste Krise seit der Rückgabe 1997 an China geführt hat.

Ihre kontroversen Pläne für die Auslieferung von Verdächtigten an China, die die seit Monaten anhaltenden Demonstrationen ausgelöst hatten, wurden am Mittwoch nach der Sommerpause im Parlament auch formell zurückgezogen.

Über die Zukunft der unpopulären Regierungschefin wird schon länger spekuliert. Falls sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für einen Wechsel entscheiden würde, könnte ein Nachfolger bis März eingesetzt werden und den Rest der Amtszeit bis 2022 übernehmen, schrieb die "Financial Times".

Die Lage müsse sich aber vorher stabilisieren. Peking wolle nicht den Eindruck erwecken, sich der Gewalt auf den Straßen zu beugen, zitierte die "Financial Times" Personen, die über die Pläne unterrichtet worden sein sollen.

Die Regierung in Peking dementierte wie erwartet: "Das sind politische Gerüchte aus niederen Motiven", sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying. Die Zentralregierung stehe voll hinter Lam und ihren Bemühungen, so schnell wie möglich die Unruhen zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen. Mögliche Nachfolger werden in Hongkong aber schon gehandelt: Norman Chan, einst Chef der Währungsaufsicht, oder Henry Tang, früher Verwaltungschef und Finanzminister.

Der Fall eines mutmaßlichen Mörders, der seine Freundin 2018 in den Ferien auf Taiwan umgebracht haben soll, hatte alles ins Rollen gebracht. Da es kein Auslieferungsabkommen zwischen beiden Seiten gibt, konnte er nicht von Hongkong ausgeliefert werden. Wegen eines anderen Delikts kam er ins Gefängnis, wurde aber am Mittwoch nach Ablauf seiner Haftzeit freigelassen. Er will sich jetzt den Behörden in Taiwan stellen, was aber auch nicht so einfach ist.

Ein Tauziehen ist zwischen Chinas Sonderverwaltungsregion und der demokratischen Insel Taiwan entbrannt, die Peking als Teil der Volksrepublik betrachtet. Erst wollte Taiwan, dass der Mann in Hongkong vor Gericht gestellt wird, doch sieht sich die Justiz dort nicht zuständig. Jetzt will der 20-Jährige aus freien Stücken nach Taiwan reisen, um sich zu stellen, doch fehlt ihm dafür eine Erlaubnis aus Taipeh. Taiwan wollte vielmehr Polizisten schicken, um ihn abzuholen, was Hongkong aus Statusgründen aber nicht erlauben will, weil China die Hoheit Taiwans nicht anerkennt.

Mit Hinweis auf das rechtliche Vakuum in dem Fall hatte Hongkongs Regierungschefin im Frühjahr das Auslieferungsgesetz vorgebracht. Es hätte aber nicht nur Auslieferungen nach Taiwan erlaubt, sondern auch nach China. Die Pläne stießen sofort auf Widerstand. Denn während das freiheitliche Taiwan ein unabhängiges Justizsystem hat, stehen die Gerichte und Staatsanwälte in der Volksrepublik unter Führung der Kommunistischen Partei und dienen auch der politischen Verfolgung. Kritiker warnen auch vor Misshandlungen.

Aus Angst vor dem langen Arm Chinas begannen die Proteste. Auch der Rückzug des Gesetzentwurfes konnte die Lage nicht beruhigen. Die Demonstranten haben ihre Forderungen seither noch ausgeweitet. Sie fordern jetzt zusätzlich eine unabhängige Untersuchung von Polizeibrutalität bei den Protesten, Straffreiheit für die mehr als 2000 Festgenommenen und freie Wahlen. Die Proteste, die häufig in Ausschreitungen enden, dauern bereits 20 Wochenenden in Folge an.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als Sonderverwaltungsregion autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.