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Neuer UN-Bericht Menschenrechtsgericht wirft Türkei schwere Verfehlungen vor

Verhaftungen, Entlassungen, Folter - die Türkei erntet für ihr Vorgehen gegen Oppositionelle und mutmaßliche Staatsfeinde schon länger harsche Kritik. Nun gibt es ein Urteil und einen neuen UN-Bericht. Die Regierung hält ihn für ein Terror-Machwerk.

20.03.2018, 15:03

Straßburg/Genf/Istanbul (dpa) - Die Türkei steht wegen Menschenrechtsverletzungen im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte das Land am Dienstag wegen der Untersuchungshaft zweier prominenter Journalisten.

Dass Mehmet Altan und Sahin Alpay in Haft blieben, obwohl das türkische Verfassungsgericht ihre Freilassung angeordnet hatte, widerspreche "fundamentalen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit", hieß es.

Außerdem geißelten die Vereinten Nationen die Türkei wegen hunderttausendfacher Menschenrechtsverletzungen. Das türkische Außenministerium wies die Vorwürfe mit scharfen Worten zurück und warf dem zuständigen UN-Kommissar Terrorunterstützung vor.

Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016, für den die türkische Führung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, geht die Türkei hart gegen mutmaßliche Umstürzler vor. Im Zuge eines mehrfach verlängerten Ausnahmezustands kann Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan weitgehend per Dekret regieren. Zehntausende Menschen wurden inhaftiert.

Auch die beiden Journalisten, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagten, waren nach dem Putschversuch festgenommen worden. Mit ihrer Verhaftung habe die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt, urteilte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Journalisten einzusperren, weil sie ihre Meinung sagten, sei für eine demokratische Gesellschaft nicht angemessen.

Damit sind Alpay und Altan die ersten im Zusammenhang mit dem Putschversuch inhaftierten Journalisten, die in Straßburg mit Klagen Erfolg hatten, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Der türkische Staat muss ihnen jeweils 21.500 Euro Entschädigung zahlen. Binnen drei Monaten kann die Türkei Rechtsmittel einlegen.

Der Umgang der türkischen Justiz mit den beiden prominenten Regierungskritikern hatte international Empörung ausgelöst. In beiden Fällen hatte das Oberste Gericht der Türkei deren Freilassung angeordnet. Nachdem die türkische Regierung jedoch harsche Kritik an dieser Entscheidung geübt hatte, weigerten sich untergeordnete Gerichte, das Urteil auch umzusetzen.

Alpay ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt worden. Das Verfahren gegen den 74-Jährigen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation läuft noch. Altan sitzt weiter im Gefängnis. Er wurde im Februar wegen versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Neben den beiden Journalisten wurden nach Angaben der Vereinten Nationen zuletzt Hunderttausende Menschen in der Türkei Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Das reiche von der Einschränkung des Rechts auf Arbeit, Versammlung und freie Meinungsäußerung über willkürliche Festnahmen, Misshandlungen bis zu Folter, heißt es in dem vom UN-Menschenrechtsbüro in Genf veröffentlichten Bericht.

Gefangene seien teils in Gewahrsam von Polizei und Sicherheitskräften geschlagen, vergewaltigt oder mit Elektroschocks oder simuliertem Ertrinken gefoltert worden. Fast 160 000 Menschen seien nach dem versuchten Putsch festgenommen und 152 000 Beamte entlassen worden. Die Berichterstatter hätten mit 104 Opfern, Angehörigen und Augenzeugen gesprochen und nur verifizierte Informationen dokumentiert, betonte die Sprecherin des Büros, Ravina Shamdasani.

Die Türkei wies den Bericht scharf zurück und warf dem zuständigen Kommissar Terrorunterstützung vor. Der Bericht enthalte "verzerrte, voreingenommene und falsche Informationen", teilte das Außenministerium in Ankara mit. UN-Hochkommissar Al-Hussein habe den Text in "Zusammenarbeit mit Terror-Kreisen" vorbereitet.

Auch für die Haftbedingungen des Chefs der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, erntete die Türkei am Dienstag Kritik. Das Antifolterkomitee des Europarats bemängelte in einem Bericht, dass Öcalan weitgehend der Kontakt zur Außenwelt verwehrt worden sei. Der PKK-Chef sitzt seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali eine lebenslange Haftstrafe ab.