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Vertagung als Strategie? Prozess wegen Erdogan-Beleidigung: Deutscher will Freispruch

Die Prozesse gegen Peter Steudtner und Aret D. in der Türkei wurden vertagt - "Zermürbungstaktik" nennt Steudtner das. Er kann wegen der Terrorismusanklage bis heute seine Arbeit für Menschenrechtsorganisationen nur noch begrenzt machen.

21.03.2019, 16:03

Istanbul (dpa) - In einem Prozess wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei hat ein deutscher Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung einen Freispruch für sich gefordert.

Der Anwalt von Präsident Recep Tayyip Erdogan verlangte daraufhin vom Gericht, das abzulehnen. Die Verhandlung im Istanbuler Caglayan-Gericht wurde kurze Zeit später auf den 8. Oktober vertagt. Der Anklageschrift zufolge, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, hatte der Angeklagte Aret D. vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2018 in einem Tweet das Wort Ober-Dieb - "bascalan" - benutzt.

Das Wort - ein Spiel mit dem Begriff "basbakan" (Ministerpräsident) - wird von der Regierung mit besonderem Missfallen betrachtet. Es ging viral, nachdem 2013 im Internet Audio-Aufnahmen aufgetaucht waren, die massive Korruption durch den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Erdogan beweisen sollten. Der hat die Vorwürfe bestritten. Auf Präsidentenbeleidigung stehen bis zu fünf Jahre Haft. Die Anwälte des Präsidenten verklagen jedes Jahr Tausende Menschen.

Im Prozess sagte Aret D., er habe mit mehreren Tweets türkische Medien dafür kritisieren wollen, dass sie Übertragungen von Wahlkampfauftritten der Opposition für Reden des Präsidenten abgebrochen hätten. Den Beitrag mit dem umstrittenen Wort habe er schon zwei Stunden später wieder gelöscht. Da hatte ihn aber schon ein Follower aus deutsch-türkischen Kreisen in Deutschland angezeigt.

Die Naumann-Stiftung steht der FDP nahe. Als Prozessbeobachter war der FDP-Abgeordnete Thomas Hacker angereist. Er kritisierte den Prozess scharf. In Deutschland gehöre auch die Kritik an einem politischen Würdenträger zur freien Meinungsäußerung. In der Türkei werde man dafür angeklagt "und muss einen Prozess erleiden, der nach einer kurzen Beweisaufnahme dann auch noch lange vertagt wird. Lange Prozessdauern und unklare Anklagen - das ist das Gegenteil von einem Rechtsstaatssystem, wie wir es für richtig halten", sagte er. Im Saal saßen auch Beobachter vom deutschen Generalkonsulat.

Es steht Aret D. frei, nach Deutschland zu reisen. Die Ausreisesperre war schon vor dem Prozess aufgehoben worden, wie sein Anwalt Veysel Ok bestätigte. Auch der Anklagepunkt der Volksverhetzung gilt nicht mehr. Zur Vertagung auf Oktober sagte D.: "Das ist aber doch relativ lang hin." Der psychologische Druck werde damit aufrechterhalten.

Vertagt wurde am Donnerstag auch der Prozess gegen den Menschenrechtler Peter Steudtner wegen Terrorvorwürfen. Der Prozess, in dem insgesamt elf Menschenrechtler angeklagt sind, wird international aufmerksam verfolgt. Am 16. Juli soll es weitergehen.

Steudtner, der in Deutschland ist und an der Verhandlung nicht teilgenommen hat, sagte, die Vertagung solle die Angeklagten zermürben. "Es ist eine Methode, Menschen psychisch in Haft zu halten, ohne Urteile sprechen zu müssen." Steudtner hatte 2017 mehr als 100 Tage in türkischer U-Haft verbracht, bevor er ausreisen durfte. Bis heute könne er wegen der Terrorismusanklage seine Arbeit als Berater von Menschenrechtsorganisationen nur begrenzt ausüben. Die Hafterfahrungen lassen ihn nicht los: Derzeit arbeitet er gemeinsam mit anderen an einer "Handreichung für politische Gefangene", die Häftlinge, aber auch Anwälte und Angehörige unterstützen soll.

Der Fall Steudtner, der des ein Jahr lang inhaftierten "Welt"-Reporters Deniz Yücel sowie einige weitere Haftfälle mit "politischer Begründung" hatten ab 2017 die türkisch-deutschen Beziehungen schwer belastet. Auch die Prozesse gegen Yücel sowie die Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu und andere laufen seit Monaten weiter und weiter.