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Ceska-Pistole im Fokus Anklage sieht Vorwürfe gegen NSU-Mitangeklagte bestätigt

Drei Tage lang drehte sich das Anklage-Plädoyer im NSU-Prozess fast nur um Beate Zschäpe. Nun sind die mitangeklagten mutmaßlichen Helfer dran. Die Bundesanwaltschaft wird aber so schnell nicht fertig.

31.07.2017, 15:13
Bundesanwalt Herbert Diemer (l-r), Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München. Foto: Andreas Gebert/Archiv
Bundesanwalt Herbert Diemer (l-r), Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München. Foto: Andreas Gebert/Archiv dpa Pool

München (dpa) - Im NSU-Prozess sieht die Bundesanwaltschaft den Vorwurf der Beihilfe zum Mord gegen die beiden Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. "in vollem Umfang bestätigt".

Das sagte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten vor dem Münchner Oberlandesgericht, am mittlerweile vierten Tag des Anklage-Plädoyers. Inzwischen steht fest, dass die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer erst nach der Sommerpause des Gerichts beenden wird.

Nach Überzeugung der Ankläger steht fest, dass Wohlleben und S. Anfang 2000 eine Waffe mit Schalldämpfer für die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besorgt haben. Mit dieser Pistole vom Typ Ceska soll die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" zwischen 2000 und 2006 neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft erschossen haben. Nur für den Mord an einer Polizistin nutzte das Trio eine andere Waffe.

Wohlleben und S. hätten die "naheliegende Möglichkeit" erkannt, dass die Pistole benutzt werden würde, um damit Menschen nichtdeutscher Herkunft zu erschießen, betonte Weingarten. Und dennoch hätten die Angeklagten die Waffe damals beschafft, weil sie sich dem Auftrag der drei Untergetauchten "unbedingt verpflichtet" fühlten. Wohlleben sei zudem "steuernde Zentralfigur" der Jenaer Unterstützerszene gewesen. Dieser sitzt wie Zschäpe schon seit 2011 in Untersuchungshaft.

Carsten S., der vor längerer Zeit aus der Neonazi-Szene ausgestiegen ist, hatte bereits zu Prozessbeginn 2013 umfangreich ausgesagt. Er räumte ein, die Waffe in einem Jenaer Szeneladen gekauft und zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben. Den Auftrag und das Geld dafür habe er von Wohlleben erhalten. Dieser bestreitet das.

Weingarten machte aber deutlich, dass die Bundesanwaltschaft die Angaben von S. für glaubwürdig hält, da sich dieser freimütig selbst belastet habe, auch aus tief empfundener Reue. Ohne dessen Aussagebereitschaft wären "nach Lage der Dinge weder er noch Wohlleben Angeklagte dieses Verfahrens", sagte der Oberstaatsanwalt. Der Weg der Waffe hätte ansonsten nicht aufgeklärt werden können. Dagegen sei das Bemühen von Wohllebens Verteidigung "kolossal" fehlgeschlagen, die Glaubwürdigkeit von S. zu unterminieren.

Weingarten betonte dennoch, die Bundesanwaltschaft halte eine Verurteilung von S. für unabdingbar. Kritisch merkte er dabei auch an, S. sei nicht bereit oder in der Lage gewesen, seine Motive für die damalige Waffenbeschaffung rückhaltlos darzulegen.

Die Rolle der Mitangeklagten André E. und Holger G. werde erst nach den Ferien geschildert, sagte Weingarten. Erst ganz am Ende kommt Bundesanwalt Herbert Diemer zu den Strafmaß-Forderungen. Dienstag ist der letzte Prozesstag vor der Sommerpause des Gerichts. Die nächsten Verhandlungstage sind dann der 31. August, der 1. und 12. September.

Zschäpe lebte mehr als 13 Jahre mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund. Die Anklage wirft den dreien neben den zehn Morden zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle vor. Mundlos und Böhnhardt brachten sich nach einem fehlgeschlagenen Banküberfall im November 2011 um. Zschäpe muss sich als Mittäterin vor dem OLG verantworten: Sie habe sämtliche Anschläge gewollt und unterstützt, argumentiert die Anklage. Mit einem Urteil wird erst in einigen Monaten gerechnet.

Als "ganz zentralen Zeugen dieses Strafverfahrens" bezeichnete Weingarten den Betreiber des Jenaer Szeneladens. Der habe in zwei Vernehmungen verraten, woher er die Waffe hatte und an wen er sie weitergab. Allerdings habe er zuerst einen Jugoslawen als Zulieferer benannt, der zu dieser Zeit schon aus Deutschland abgeschoben war.

Als der Händler bei einer zweiten Vernehmung erfuhr, dass die Behörden den Jugoslawen identifiziert hatten, habe er geäußert, der sei "völlig irre". Da, so Weingarten, habe der Händler lieber den wirklichen Lieferanten genannt, einen Mann aus der Jenaer Szene, statt "die Vergeltung des völlig irren" Jugoslawen zu riskieren. Danach habe man nachzeichnen können, dass die "Ceska" aus der Schweiz stammte und über eine Kette miteinander befreundeter Männer im Jenaer Szeneladen landete. Der Händler habe sie dann an Carsten S. verkauft.