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BGH und Bundesanwaltschaft Garanten gegen den "Ungeist": 70 Jahre BGH

Seit 70 Jahren ist Karlsruhe die Residenz des Rechts: Anlass zum Feiern bei BGH und Bundesanwaltschaft - aber auch zur Selbstkritik. Wie gerecht ging und geht es bei der hohen Justiz selbst zu?

08.10.2020, 13:38

Karlsruhe (dpa) - Selbstbewusstsein, aber auch Selbstkritik zum Jubiläum: Der Bundesgerichtshof (BGH) und die Bundesanwaltschaft haben am Donnerstag in Karlsruhe ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert.

"Wir feiern damit zugleich eine Epoche der Rechtsstaatlichkeit, wie sie unser Land in seiner langen und wechselvollen Geschichte nie zuvor erlebt hat", sagte Stephan Harbarth, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Der große Festakt mit mehr als 1000 Gästen wurde wegen der Corona-Pandemie abgeblasen. Gefeiert und diskutiert wurde dafür mit einer Gesprächsrunde im BGH via SWR-Fernsehen und per Livestream im Internet.

Zum Jubiläum setzten sich BGH und Bundesanwaltschaft auch kritisch mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander: Die Nachkriegszeit sei zwar punktuell schon teils erforscht, sagte BGH-Präsidentin Bettina Limperg. Systematisch aufbereitet sei sie jedoch noch nicht. "Es ist an der Zeit, dass wir uns diesen Fragen stellen." Ein Forschungsvorhaben untersuche deshalb etwa, inwieweit persönliche Karrieren der NS-Zeit an dem am 1. Oktober 1950 gegründeten BGH fortgeführt wurden und inwieweit dadurch die Rechtssprechung beeinflusst worden sei. Auch Generalbundesanwalt Peter Frank lässt die Geschichte seiner Behörde durchleuchten.

Gerichte dürften nicht nur Recht sprechen - Gerechtigkeit müsse auch auf der Richterbank sichtbar sein, betonte Verfassungsrichterin Susanne Baer. Auch wenn mit Bettina Limperg der BGH seit sechs Jahren von einer Präsidentin geführt wird - was Frauen bei den höchsten Gerichten angehe, sei die Bilanz ernüchternd, meinte Baer. "Da ist noch Luft nach oben."

Die Justiz in Deutschland steht nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angesichts einer immer stärker differenzierten Gesellschaft oder der Digitalisierung aller Lebensbereiche vor großen Herausforderungen. Kritik mache auch vor der Justiz nicht halt. So bemängele der Richterbund überlange Verfahrensdauern mit der Folge, dass viele Verdächtige aus der U-Haft entlassen werden müssten. "Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Justiz, wie unlängst zu lesen war, Schwierigkeiten hat, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen", sagte der Bundespräsident in einer Video-Botschaft zum Jubiläum.

Verfassungsgerichtspräsident Harbarth ist dennoch überzeugt, dass der freiheitliche Rechtsstaat mit Institutionen wie dem BGH und Bundesanwaltschaft am Ende stärker ist als der wieder zu Tage getretene "Ungeist", der den Hass auf Menschen mit anderen Ansichten, anderer Herkunft oder Religion schüre.

Der BGH diene der Rechtseinheit und gewährleiste ein Maß an Rechtsschutz, wie es in weiten Teil der Welt seinesgleichen suche, meinte er. Der Generalbundesanwalt als oberster Verfolger bei Terror und Spionage wiederum schütze "unser aller Freiheit und Gemeinwesen". Bundesverfassungsgericht und BGH hätten unterschiedliche Aufgaben, doch dasselbe Ziel: "Der Gerechtigkeit zu dienen und unsere freiheitlich verfasste Rechtsordnung zu bewahren."

Der BGH wurde mit der bei ihm angesiedelten Bundesanwaltschaft am 1. Oktober 1950 als die oberste Instanz für Zivil- und Strafverfahren in Karlsruhe gegründet und mit einem Festakt am 8. Oktober 1950 eröffnet. Die Zahl der Richter wuchs von damals 64 auf inzwischen mehr als 150. In Leipzig gibt es eine Dependance. Mit BGH, Bundesanwaltschaft und Bundesverfassungsgericht gilt Karlsruhe als Residenz des Rechts in Deutschland.

© dpa-infocom, dpa:201008-99-873506/2

Mitteilung des SWR zur Sendung