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Urteil am 21. Dezember Halle-Prozess: Angeklagter leugnet in Plädoyer den Holocaust

Der Prozess zum rechtsterroristischen Anschlag von Halle sollte zur großen Propaganda-Show des Angeklagten werden. Das wurde auch in seinem letzten Wort noch einmal deutlich. Gericht und Nebenkläger verhindern das.

Von Fabian Albrecht, dpa 09.12.2020, 14:59
Hendrik Schmidt
Hendrik Schmidt dpa-Zentralbild

Magdeburg (dpa) - Die Geschichte des Angeklagten im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle ist eine Geschichte des Scheiterns und Versagens. Der 28-jährige fand in seinem Leben keine Freunde, keine Freundin, keine Arbeit oder sonst irgendetwas, das seinem Leben hätte Sinn geben können.

Am 9. Oktober 2019 schlug dann sein Versuch fehl, möglichst viele Juden und Ausländer zu töten. Er selbst hat sich diesbezüglich offen als Versager bezeichnet. Am Ende - das wurde spätestens am Mittwoch deutlich - scheiterte der Mann auch mit dem Vorhaben, in dem Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg seinen kruden und absurden Verschwörungsmythen die große Bühne zu verschaffen.

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der massiven Tür, erschoss daraufhin die Passantin Jana L. und später in einem Döner-Imbiss Kevin S.. Auf der anschließenden Flucht verletzte er weitere Menschen. Der 28-jährige Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Verschwörungstheorien begründet.

Der Prozess vor dem OLG Naumburg läuft seit Juli, aus Platzgründen findet er jedoch in Magdeburg statt. Die Bundesanwaltschaft hat eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. Nach drei Tagen der Plädoyers der Nebenklage und dem mehrstündigen Schlussvortrag der Anklage plädierte am Mittwoch die Verteidigung. Außerdem bekam der Angeklagte das letzte Wort.

Mit düsterer Miene baute sich der sonst recht ausdruckslose Mansfelder mit kurz geschorenem Haar dabei vor dem Rednerpult auf und holte dann zu einem Rundumschlag gegen das Gericht, die Medien, die Gesellschaft und die Politik aus. Der Angeklagte konstruierte aus allem Leid seiner selbst und der Welt Verschwörungstheorien, die sich gegen Juden und Migranten richteten. Nach gut drei Minuten leugnete der 28-Jährige dann zum wiederholten Male den Holocaust.

Die Nebenklage reagierte sofort mit lautem Protest. "Das ist eine Straftat, dafür soll er noch mal sitzen!", rief Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens zu. Das Leugnen des Holocausts ist in Deutschland eine Straftat.

Mertens unterbrach daraufhin den Angeklagten. "Ich hatte Ihnen das erklärt, Sie dürfen das nicht wiederholen", sagte sie zu ihm, der schon mehrmals den Holocaust geleugnet hatte. Der brach daraufhin seinen Schlussvortrag ab. Mertens unterbrach die Sitzung, gab die Äußerung des Angeklagten auf Antrag der Nebenklage zu Protokoll und bot ihm daraufhin mehrmals an, seine letzten Worte fortzusetzen. Er wollte aber nicht.

So hatte der Mann den zutiefst bewegenden Schlussvorträgen der Nebenkläger am Ende nicht mehr entgegenzusetzen als drei Minuten absurder Verschwörungstheorien. Dabei ließ er nicht im Ansatz Reue erkennen - vielmehr machte er erneut klar, dass er weitermorden würde, wenn er nur könnte. Zuvor hatte am Mittwoch noch Pflichtverteidiger Hans-Dieter Weber plädiert.

Der Anwalt sprach Überlebenden und Hinterbliebenen sein tiefes Mitgefühl aus und distanzierte sich von der Tat seines Mandanten. Anders als der Angeklagte, der von einem Schauprozess sprach, lobte Weber ausdrücklich Mertens' Verfahrensführung. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit sei ihr ein fairer Prozess gelungen. Die Richterin habe richtigerweise den Opfern und Hinterbliebenen viel Raum gegeben, "ohne dabei jemals die Verteidigung zu beschränken oder zu behindern", sagte Weber nach der Verhandlung.

Mit dieser Einschätzung war Weber nicht allein im Gerichtssaal - fast alle Anwälte der Nebenklage und Nebenkläger, die selbst plädierten, hatten Mertens in ihren Schlussvorträgen gelobt. Die Richterin hatte die Opfer in dem Verfahren ausführlich zu Wort kommen lassen und so gut wie jeden von der Nebenklage beantragten Sachverständigen und Zeugen zugelassen.

Den Überlebenden und Hinterbliebenen war Mertens im Verfahren überdies immer zugewandt, verständnisvoll und herzlich begegnet. Sie zeigte in den rund fünf Monaten des Verfahrens das, was viele Überlebende zuvor laut eigener Aussage im Umgang mit dem deutschen Staat vermisst hatten: Empathie und Fingerspitzengefühl.

Gemeinsam mit den vier anderen Richterinnen und Richtern will Mertens nun rund eineinhalb Wochen beraten und am 21. Dezember ein Urteil verkünden. Anklage und Nebenklage beantragten die Höchststrafe, Verteidiger Weber forderte "ein gerechtes Urteil".

© dpa-infocom, dpa:201209-99-622259/5