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Juristische Prüfung Kopftuchverbot für Mädchen auch in Deutschland?

Österreich hat Kopftücher an Grundschulen verboten. Jetzt ist auch in Deutschland die Debatte über das Thema neu entbrannt. Ein Verbot wird juristisch geprüft. Es gibt aber viele Bedenken.

Von Jörg Ratzsch, dpa 17.05.2019, 16:10
Eine Muslima mit einem Kopftuch im Gebetsraum   einer Moschee. Foto: Boris Roessler
Eine Muslima mit einem Kopftuch im Gebetsraum einer Moschee. Foto: Boris Roessler dpa

Berlin (dpa) - Zieht Deutschland nach dem Kopftuchverbot an Schulen in Österreich nach? Ausgeschlossen ist das nicht: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), forderte zumindest die Prüfung eines Verbots.

Mehrere Unionspolitiker arbeiten auch bereits daran. Der Lehrerverband ist ebenfalls für ein Kopftuchverbot. Es gibt aber auch viele, die sich kritisch äußern und rechtliche Bedenken anmelden.

Der "Bild"-Zeitung (Freitag) sagte Widmann-Mauz: "Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, ist absurd - das sehen auch die meisten Muslime so. Alle Maßnahmen, die Mädchen davor schützen - vom Elterngespräch bis zum Verbot - sollten geprüft und angegangen werden". Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, würde ein Verbot befürworten. Seiner Ansicht nach sind Kopftücher in der Schule "integrationsfeindlich, weil sie zur äußerlichen Abgrenzung beitragen".

Die Debatte ist nicht neu. Nordrhein-Westfalen hatte schon vor einem Jahr angekündigt, ein Kopftuchverbot für junge Mädchen zu prüfen. In Deutschland tritt laut Gesetz mit dem 14. Geburtstag die sogenannte Religionsmündigkeit ein. Vorher könnten Mädchen nicht selbstbestimmt entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen wollen, lautete damals die Argumentation von Landes-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) für ein Verbot. Die NRW-Landesregierung hat nach eigenen Angaben ein Gutachten zum Thema in Auftrag gegeben, das noch ausgewertet wird.

Fraglich ist, ob Kopftücher für Schülerinnen überhaupt verboten werden dürften. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einer Einschätzung von 2017 zu dem Ergebnis, dass ein Kopftuchverbot für Schülerinnen, verfassungsrechtlich "wohl nicht zulässig" wäre und bezieht sich dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Lehrerinnen mit Kopftuch. "Ein Verbot ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar", sagte am Freitag auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Es geht bei der Frage unter anderem um das Recht auf Religionsfreiheit - Artikel 4 des Grundgesetzes.

Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sieht daneben Schwierigkeiten, ein Kopftuchverbot in der Praxis durchzusetzen - wegen der Schulpflicht. Man könne ja die Kinder nicht einfach vom Unterricht ausschließen, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Verschiedene Unionspolitiker sehen trotzdem Chancen für ein Kopftuchverbot - konkret für Mädchen unter 14 - und lassen das nach eigenen Angaben auch bereits juristisch prüfen: Man wolle das Problem auf Bundesebene angehen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des stellvertretenden Unionsfraktionschefs Carsten Linnemann (CDU), des für Religion zuständigen CDU-Politikers Christoph de Vries und des ehemaligen bayerischen Justizministers Winfried Bausback (CSU). Ansetzen könnte man nach Bausbacks Angaben beim "Gesetz über die religiöse Kindeserziehung", das die Beziehungen von Eltern und Kindern in Religionsfragen regelt.

Kritiker aber zweifeln am Sinn eines Verbots. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstag): "Wir müssen alle Mädchen darin stärken, zu selbstbewussten und unabhängigen Frauen heranzuwachsen. Ich habe Zweifel, ob eine Verbotsdebatte da hilft". Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der nach eigenen Angaben mehr als 160.000 Pädagoginnen und Pädagogen vertritt, lehnt im Gegensatz zum Lehrerverband ein Kopftuchverbot an Schulen ab. Ihm seien keine Beispiele bekannt, dass das Tragen von Kopftüchern bei Schülerinnen an sich schon zur Störung des Schulfriedens geführt habe, sagte VBE-Chef Udo Beckmann.

Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) ist ebenfalls gegen ein Verbot: Man müsse Muslimen die Möglichkeit geben, ihre Religion auch öffentlich zu zeigen und zu leben. Ablehnend äußerte sich auch Melanie Leonhard (SPD), Senatorin für Integration in Hamburg. Ihr sei wichtiger, dass alle Mädchen eine gute Schulbildung bekommen - mit Kopftuch oder ohne. "Die Glaubensausübung ist ein hohes Rechtsgut in Deutschland, über das man sich nicht hinwegsetzen sollte", sagte die brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am Freitag.

Genaue Zahlen, um wie viele Mädchen mit Kopftuch es eigentlich geht, gibt es nicht. Die baden-württembergische Bildungsministerin Eisenmann sagt, ihrem Ministerium sei bislang kein Trend bekannt, dass junge Mädchen immer häufiger bereits im Kindergarten oder in der Grundschule ein Kopftuch tragen. In Gesprächen mit Schulleitungen von Grundschulen und mit Trägern und Trägerverbänden von Kitas sei das Thema bislang nicht problematisiert worden.

Die spontane Nachfrage bei einer Grundschule im Ruhrgebiet am Freitag zeigt: Das Kopftuch bei Mädchen ist dort kein Thema. Felix Busch, Leiter der Hövelschule im Essener Stadtteil Altenessen-Süd mit 330 Kindern, davon 190 mit muslimischem Hintergrund, sagte der Deutschen Presse-Agentur: Bei ihm gebe es keine kopftuchtragenden Kinder. "Ich halte eine Regelung an Grundschulen für überflüssig, weil es einfach kein Thema ist".