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"Völlig im Zeitplan" Umstrittene Castoren erreichen ohne Störung Biblis

Im Vorfeld hagelte es Kritik nicht nur von Atomkraft-Gegnern. Castoren mit Atommüll begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot, geht das in einer Pandemie? Ja, sagten Sicherheitsbehörden und ließen die brisante Fracht binnen Stunden durch Deutschland rollen.

Von Oliver Pietschmann (Wort) und den dpa-Fotografen 04.11.2020, 13:42
Sina Schuldt
Sina Schuldt dpa

Biblis (dpa) - Bilder von gewaltsamen Auseinandersetzungen, angeketteten Aktivisten und einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Atomgegnern und Einsatzkräften wie einst in Gorleben blieben aus.

Fast ohne Zwischenfälle ist der seit Jahren erste Transport von hoch radioaktivem Atommüll durch Deutschland vom niedersächsischen Hafen Nordenham am Mittwoch im südhessischen Biblis eingetroffen. Um 10.10 Uhr habe sich das Tor des Geländes des früheren Kernkraftwerks hinter dem 600 Meter langen Zug geschlossen, sagte der Sprecher des für den Transport zuständigen Unternehmens Gesellschaft für Nuklear-Service, Michael Köbl. Hier sollen die sechs Behälter bei aller Kritik nun bleiben - bis es dann in Jahren ein Endlager für die noch Generationen strahlende Altlast deutschen Atomstroms gibt.

Ein Zug, bewacht von mehr als 11.000 Beamten der Bundespolizei, der Landespolizeien aus Hessen und Niedersachsen sowie Verstärkung aus anderen Bundesländern - inmitten der Corona-Pandemie. Im Gepäck der Einsatzkräfte ihr gesamtes Arsenal, nach Angaben der Bundespolizei erstmals auch Drohnen zur Überwachung aus der Luft. Auch in Biblis stand schon am Morgen ein Großaufgebot, um den Zug mit seiner brisanten Fracht zu sichern. Ihnen gegenüber versuchten knapp zwei Dutzend Aktivisten einen lauten Protest.

Wo sich früher zum Abschluss solcher Transporte Scharen von Gegnern versammelten, kamen bei diesem letzten Transport ins südhessische Biblis gerade mal eine Handvoll. Statt Gewalt war der Umgang doch eher freundlich - Beamten wurde die Nutzung von Toiletten angeboten. Verbale Attacken und Handgreiflichkeiten blieben aus. Warum die Mobilisierung so gering war, ob wegen Corona, dem Atomausstieg oder weil Aktivisten anderenorts wie bei den Rodungen für den Weiterbau der A49 in Hessen unterwegs sind, für die Gegner ist das Virus verantwortlich. "Corona ist nicht alle Tage - wir kommen wieder - keine Frage", bilanzieren die Gegner von Castor-stoppen. Aufgrund der Pandemie-Lage seien die erwarteten Teilnehmerzahlen erreicht worden.

Auf der Hunderte Kilometer langen Strecke gab es vereinzelt Mahnwachen. Fünf Gegnern gelang es am Mittwoch noch vorübergehend das Gleis in Richtung des abgeschalteten Kraftwerks Biblis zu blockieren. Sie wurden nach Angaben der Polizei schließlich davongetragen. Gegen einen werde wegen Widerstandes ermittelt. Einfluss auf den umstritten Transport hatte das nicht mehr. "Der ganze Transport ist völlig im Zeitrahmen geblieben", sagte Köbl.

"Der Inhalt ist hochgefährlich, den sollte man nicht spazieren fahren", sagte der Mitorganisator der Proteste, Georg Dombrowe. Man hätte ihn in Sellafield stehen lassen sollen, sagte er mit Blick auf die Suche nach einem Endlager. Ihn nach Biblis zu bringen, wo die Behälter nicht repariert werden könnten, sei "Unfug". Die Castoren waren vergangene Woche von der Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield aus gestartet.

Kritikpunkt an dem im Frühjahr verschobenen Transport waren neben dem Einsatz Tausender Beamter in einer Phase steigender Corona-Infektionen vor allem das Zwischenlager an dem Alt-Akw in Südhessen. Umweltschützer wie Greenpeace oder der Bund für Umwelt- und Naturschutz bemängeln die fehlenden Möglichkeiten, Castoren bei Undichtigkeiten zu reparieren, als "Sackgasse". Die Kritik wies der Sprecher der zuständigen BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung, Burghard Rosen, am Mittwoch zurück. "Wir haben für alle erdenklichen Szenarien ein Reparaturkonzept."

Für Deutschland ist es der erste große Rücktransport von Atommüll in Castoren seit neun Jahren gewesen. Nach Angaben der Bundesregierung muss Deutschland aufgrund internationaler Verpflichtungen seinen im Ausland aufbereiteten Atommüll zurücknehmen - aus der britischen Anlage Sellafield wie aus der französischen Anlage La Hague. "Mit dem Rücktransport von sechs Castorbehältern mit hoch radioaktiven verglasten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung ins Zwischenlager Biblis rückt das Ende derartiger Transporte näher", sagte der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König.

In Biblis lagern nun 108 Castoren, drei weitere Transporte folgen in den kommenden Jahren noch in andere Zwischenlager. Die beteiligten Polizeien werteten den Einsatz und das Hygienkonzept angesichts der Pandemie als vollen Erfolg und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war voll des Lobes: "Auf unsere Polizei ist Verlass."

© dpa-infocom, dpa:201104-99-200699/8

Sina Schuldt
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dpa
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