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Doch der Druck steigt Umworbene Grüne geben sich entspannt

Hat die SPD mit ihrer Scholz-Nominierung die Karten neu gemischt? Die Grünen-Spitze will davon nichts wissen - und bleibt vorerst stoisch bei ihrem Kurs der Eigenständigkeit.

Von Teresa Dapp, dpa 16.08.2020, 21:49

Berlin (dpa) - Das Machtzentrum der Grünen ist eine Baustelle. Und zwar im Wortsinn. In der Berliner Parteizentrale werden Wände herausgerissen, ganze Stockwerke umgestaltet, um die 1500 Quadratmeter fit für den Wahlkampf zu machen - da gehören Staub und Chaos dazu.

Das personelle Machtzentrum dagegen gibt sich derzeit betont geordnet und entspannt. Kanzlerkandidatur? Entscheiden wir, wenn wir es für richtig halten, sagen die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock. Regieren lieber mit der Union oder lieber mit SPD und Linken? Außer mit der AfD ist alles möglich, sagen sie, wir treten eigenständig an. Und sie betonen wieder und wieder ihren "Führungsanspruch für dieses Land".

An diesen seit Wochen immer gleichen Aussagen hat sich auch nichts geändert, seit die SPD-Spitze Vizekanzler Olaf Scholz auf den Kanzlerkandidaten-Schild gehoben und ihm zugleich ein Linksbündnis mit Grünen und Linken nahegelegt hat. Noch am Tag von Scholz' Nominierung sagt Habeck, er halte das "in keinsterlei Hinsicht für irgendeinen Fingerzeig" für seine Partei.

Die Grünen-Strategen betonen, dass sie mit dem Kurs der Eigenständigkeit schon eine ganze Weile sehr gut fahren. Sie regieren in elf Bundesländern in bunten Kombinationen mit CDU, SPD und FDP zusammen, aber auch dreimal mit SPD und Linken. Kurz gesagt: So ziemlich in jeder Kombination außer mit der AfD.

Das sei auch aus demokratischer Sicht richtig so, erklärt Habeck gern. Die Zeiten des Lagerwahlkampfs seien vorbei. Demokraten müssten untereinander bündnisfähig sein, "Auschließeritis" führe zwingend zu Blockaden oder Wortbruch in Zeiten einer starken AfD. Selbst Union und Linke müssten untereinander gesprächsfähig sein.

Nicht erst seit dem Chaos nach der Wahl in Thüringen sehen das auch in der CDU manche so, etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther - andere starteten in den vergangenen Tagen umgehend eine "Rote-Socken-Kampagne" und warnten, wer auf SPD und Grüne setze, bekomme nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 die Linken dazu.

Das könnte für die Grünen noch zum Problem werden. Sie wollen keinen Lagerwahlkampf - aber was, wenn ihn die anderen trotzdem führen? Dann könnten sie zwischen Union und SPD zerrieben werden, weil die Wähler, je nach Neigung, einen weiteren CDU-Kanzler oder aber ein Linksbündnis verhindern wollen. Und wie überzeugend ist es, nicht einmal fest zuzusagen, dass man im Fall einer grün-rot-roten Mehrheit auf jeden Fall den ersten grünen Kanzler - oder die erste grüne Kanzlerin - der bundesdeutschen Geschichte stellen wolle?

Helfen könnte ausgerechnet Olaf Scholz, der ähnliche Interessen hat. Er äußerte sich nach seiner Nominierung schnell skeptisch über die Linkspartei. Schließlich will und muss er Merkel-Wähler gewinnen, die nach dem Abtritt der Kanzlerin neu überlegen. Genau darauf arbeiten auch Baerbock und Habeck hin, seit sie an der Grünen-Spitze stehen. Rhetorisch, indem sie sich und die Partei zu "Verfassungsschützern" erklären, von Heimat sprechen, die Nationalhymne zitieren. Aber auch inhaltlich, indem sie neben Umwelt- und Klimaschutz auch an ihrem wirtschafts- und außenpolitischen Profil feilen.

Hauptgegner im Wahlkampf der Grünen soll die Union sein - nicht die SPD, die in den jüngsten Umfragen nun immer mal wieder vor den Grünen landet. Den ersten Platz wollen sie der Union nicht kampflos abtreten, deren starke Umfragewerte, so die Hoffnung von Grünen und SPD, Corona- und Merkel-bedingt sein könnten und nicht von Dauer.

Und dann ist da noch die K-Frage, die für die Grünen heißt: Habeck oder Baerbock - oder doch keiner? Man kann davon ausgehen, dass die beiden das unter sich ausmachen, und ihre Entscheidung von der Partei akzeptiert wird. Auch wenn die einen für den bundesweit bekannteren und beliebteren Habeck sind, die anderen Baerbock für geeigneter halten oder mahnen, wenigstens die Grünen müssten eine Frau in die allererste Reihe schicken.

So oder so: Solange die Union keinen Kandidaten hat, dürfte es für die Grünen recht leicht sein, dem Druck standzuhalten und mit einer Entscheidung zu warten. Sie wollen als letzte entscheiden und beugen damit auch einer Blamage vor, falls ihre Umfragewerte im Frühjahr abrutschen sollten. Ausgeschlossen ist das schließlich nicht. Würde die Wiederwahl des einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg im März scheitern, wäre der Einstieg in den Bundestags-Wahlkampf gehörig vermasselt.

© dpa-infocom, dpa:200816-99-185456/4